Sie sind hier

Abo

Rotes Biel

Der Gründer der Zukunftsstadt

Heute vor 100 Jahren wurde Guido Müller erster sozialdemokratischer Stadtpräsident von Biel. Unter seiner Führung blühte die Arbeiterschicht wieder auf. Und er verlieh der Stadt das Gesicht, das sie bis heute prägt.

Bild: mémreg

Françoise Steiner/pl

Wir schreiben das Jahr 1920: Guido Müller amtiert als Stadtpräsident von Nidau und Stadtschreiber von Biel. Am 9. September des gleichen Jahres beschliessen die Stimmbürger von Nidau und Biel die Fusion ihrer beiden Gemeinden. Der Volksentscheid muss noch vom Grossen Rat bestätigt werden. Inzwischen beantragt der Bieler Gemeinderat bei der Kantonsregierung die Verlängerung der laufenden Legislaturperiode bis März 1921. Damit soll Zeit für die Neuwahl der Behörden der kommenden Fusionsgemeinde geschaffen werden.

Die Sozialdemokraten schicken Guido Müller als Kandidaten für das Amt des Gemeindepräsidenten ins Rennen. Aber sie haben ihre Rechnung ohne den Segen des Kantonsparlaments gemacht: am 2. März 1921 schickt der Grosse Rat die geplante Fusion mit 102 zu 35 Gegenstimmen bachab. Die bürgerliche Mehrheit will die Entstehung einer grossen Arbeiterstadt im Norden des Kantons verhindern.

Die Bieler Gemeindewahlen finden im April 1921 ohne Guido Müller statt, denn dieser wohnt noch in Nidau. An seiner Stelle tritt der Fürsprecher Hermann Kistler für die Sozialdemokraten an und gewinnt den Kampf um das Stadtpräsidium. Die Linken erobern die Mehrheit im Stadt- und Gemeinderat: Das «Rote Biel» war geboren. Kistler demissioniert nur sechs Monate später zugunsten von Guido Müller, der inzwischen in Biel Wohnsitz genommen hatte. Am 6. November wird er an der Ersatzwahl zum Stadtpräsidenten gekürt.

 

Trauriges Erbe

Der neue Stadtvater tritt sein Amt in einer problembeladenen Zeit an. Ein grosser Teil der Bevölkerung leidet an Arbeitslosigkeit und Inflation. Zudem dümpeln Biels Finanzen seit 1916 in einem erbärmlichen Zustand. Guido Müller spricht in seinen Erinnerungen von «einer traurigen Erbschaft». Er stellt fest, dass Fabrikanten von den Kriegsjahren profitiert und die Landwirtschaft in Zeiten der Nahrungsmittelknappheit die Preise erhöht hatten. Dagegen trügen Arbeiter und Angestellte die Folgen der Misswirtschaft, so Müller.

Nur die Aufnahme von Krediten vermag das Leid der Bevölkerung zu lindern. Aber die Banken weigern sich, einer «roten» Verwaltung Geld zu leihen. Deshalb bleibt dem Gemeinderat nur ein drastischer Sparkurs. Sogar die Löhne der städtischen Angestellten werden gesenkt.

 

Umsichtige Bodenpolitik

Es vergehen Jahre, bis das von den Sozialdemokraten versprochene Erneuerungsprogramm zum Wohl der Arbeiterklasse umgesetzt wird. Trotz der grossen Wirtschaftskrise von 1929 und ihrer dramatischen Auswirkungen nimmt Guido Müller seine Umgestaltung in Angriff. Es gelingt ihm, Verantwortliche der Wirtschaft in sein Projekt einzubinden. Fortan wird Biel zur «Zukunftsstadt».

Dem visionären Politiker gehen die prekären Lebensumstände der Arbeitschaft seit jeher nahe. Mit seinem Bruder Alexander und dem gemeinsamen Freund Otto Wyssbrod gründet er bereits 1911 die erste Wohnbaugenossenschaft in der Region: die Bahnarbeitersiedlung Hofmatten in Nidau.

Der frühe Erfolg beflügelt den späteren Stadtpräsidenten für seine Gemeinde im grossen Stil, Grundstücke zu erwerben. Darauf entstehen Wohnbaugenossenschaften und Produktionsstätten für Unternehmen, die sich in Biel ansiedeln. Diese umsichtige Bodenpolitik hat bis heute Bestand.

Unter Guido Müllers Führung verändert die Stadt ihr architektonisches Gesicht. Das Bahnhofsquartier zeugt von der modernen Raumentwicklung in dieser Epoche.

 

Für Industrie und Arbeiter

Das Bieler Stimmvolk steht hinter dem Gestaltungswillen seines Stadtvaters. 1929 werden zwei zukunftsträchtige Projekte gutgeheissen: Das eine betrifft den Landverkauf an die Gesellschaft Hotel Elite AG, das andere einen Baurechtsvertrag mit der Genossenschaft für die Errichtung des Volkshauses. Das Hotel Elite bietet Industrievertretern den Rahmen für den Empfang ausländischer Gäste; das Volkshaus ist als Begegnungsort für die Arbeiterwelt gedacht.

Das Wirken Guido Müllers hat die Stadt Biel nachhaltig geprägt. Bis 1947 blieb er im Amt. Als Mann der Öffnung und Toleranz wirkte er auch im Nationalrat. Früh erkannte er die Gefahren der Hitler-Diktatur und stimmte gegen seine eigene Fraktion für Militärkredite. Er war es, der sich als erster gegen den berüchtigten «J»-Stempel in den Pässen von Juden auflehnte, den die Schweizer Regierung genehmigt hatte. Guido Müller verstarb 1963. Der Platz zwischen Biel und Nidau, wo er als Gemeindepräsident wirkte, ist seinem Andenken gewidmet.

Stichwörter: Biel, Historie, Geschichte, Region

Nachrichten zu Biel »