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Biel

«In der Krise zeigt sich, dass häusliche Gewalt 
ein grosses Problem in der Gesellschaft ist.»

Es könnte die Ruhe vor dem Sturm sein: Bei der Opferhilfe des Frauenhauses Biel gehen derzeit nicht einmal mehr halb so viele 
Telefonanrufe ein wie zuvor. Gleichzeitig ist man besorgt, dass das Coronavirus die Situation von Opfern häuslicher Gewalt verschärft.

Symbolbild: Keystone

Deborah Balmer

Gefangen in der eigenen Wohnung: In Zeiten von Corona ist es für Opfer von häuslicher Gewalt noch schwerer als zuvor, auszubrechen und Hilfe zu holen. Gleichzeitig herrschen aktuell Verunsicherungen, etwa finanzielle Ängste. Fehlende Ausweichmöglichkeiten bei Konflikten führen dann dazu, dass es in Familien und Paarbeziehungen zu Gewalt kommen kann.

Und wer weiss schon, was in Beziehungen wirklich abläuft? Der Blick hinter die Fassade ist durch die Selbstisolation noch schwerer geworden als zuvor.

«Wir erhalten derzeit deutlich weniger Hilfeanfragen im ambulanten Bereich», sagt die Geschäftsleiterin des Bieler Frauenhauses und der Opferberatungsstelle Myriame Zufferey. Die Anfragen (dabei handelt es sich um einen ersten Schritt, um Hilfe zu holen) hätten praktisch von einem Moment auf den anderen aufgehört und machten jetzt nicht mal mehr die Hälfte von vorher aus. Der Zusammenhang mit den «Bleiben sie Zuhause-Massnahmen» des Bundes sei eindeutig.

«Wir befürchten deshalb, dass es derzeit in Biel und der Region mehr Frauen als sonst gibt, die nicht mehr den gleichen Freiraum haben wie zuvor, um Hilfe zu holen», sagt sie. Viele hätten vielleicht Angst, dass es danach für sie innerhalb der Beziehung noch schlimmer wird. «Sie halten sich deshalb vorerst still. Auch wenn das wieder ändern kann.» Gleichzeitig befürchte man, dass es aktuell zu mehr häuslicher Gewalt kommt als sonst. «Auch wenn das nur eine Annahme ist. Wie es wirklich ist, werden wir erst in etwa zwei bis drei Monaten erfahren, wenn die Massnahmen des Bundes wieder aufgehoben wurden», sagt Zufferey. Doch Fakt ist: Auch ohne Pandemie ist die Dunkelziffer von häuslicher Gewalt hoch, sie liegt nach Expertenschätzungen bei bis zu 80 Prozent. «In der Krise zeigt sich einfach, dass häusliche Gewalt ein schwerwiegendes Problem in unserer Gesellschaft ist», sagt Zufferey. Und weiter: «Es ist ganz wichtig, dass jemand, der Gewalt erlebt, Hilfe holt – auch jetzt in der Krisenzeit.»

Sie appelliert dabei aber auch an Nachbarn, die vielleicht einen heftigen Streit mitbekommen. «Sie sollen lieber einmal zu viel als zu wenig die Polizei rufen.» Neben der Polizei und dem Frauenhaus könnten Betroffene auch bei einem Arzt oder in der Apotheke Hilfe erhalten.

 

«Intimer Terror»

Gewalt komme in allen Gesellschaftsschichten vor – oftmals steckten patriarchale Strukturen dahinter. Neben körperlicher Gewalt gebe es auch die Form einer extremen Kontrolle in den eigenen vier Wänden, die jetzt auch nochmals zunehmen könnte: Wenn ein Mann beispielsweise kontrolliert, wie lange sich seine Partnerin im Badezimmer aufhält oder mit wem sie telefoniert hat. In der Fachsprache «intimer Terror» genannt.

Im Frauenhaus selber gibt es derzeit bei der Notaufnahme noch keine gesteigerte Nachfrage. Allerdings laufen laut Zufferey die nötigen Prozesse viel langsamer ab als sonst. So würden Strafprozesse verschoben, Anwälte nur für Notfälle arbeiten. Auch sei es schwerer geworden, Wohnungen für betroffene Frauen zu finden, die daheim ausziehen möchten. «Gleichzeitig müssen wir im Frauenhaus darauf achten, dass sich nicht zu viele Frauen auf engem Raum aufhalten, um eine Ansteckung mit dem Coronavirus zu vermeiden», sagt Zufferey.

 

Geld von der Stadt Biel

Auch die Stadt Biel ist alarmiert: Der Gemeinderat hat diese Woche als Sofortmassnahme zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt einen Verpflichtungskredit von 30 000 Franken bewilligt. Er dient dem Frauenhaus dazu, die Strukturen zu verstärken und eine Knappheit an Unterbringungsmöglichkeiten für betroffene Frauen und Kinder zu vermeiden. Biels Direktor für Sicherheit und Soziales, Beat Feurer (SVP), sagt: «Wenn von einem Tag auf den anderen Menschen näher und länger miteinander leben, gibt es auch in ganz normalen Familien Momente, die nicht einfach zu bewältigen sind.» Erst recht an Brisanz gewinne aber durch die aktuelle Lage das Zusammenleben in Familien, die bereits stark belastet seien. «Da ist die Gefahr gross, dass es zu häuslicher Gewalt kommen kann.» Dabei könne häusliche Gewalt für Frauen und auch für Kinder schwerwiegende Konsequenzen haben. Auch Feurer betont, dass Fachleute mit einer Akzentuierung des Problems rechnen.

 

Lernprogramm für Täter

Droht der Druck in Familien oder Paarbeziehungen zu gross zu werden, stehen im Kanton Bern verschiedene Beratungs- und Hilfsangebote von kantonalen und privaten Fachstellen bereit. Nicht immer steht das Opfer im Zentrum. Unter anderem gibt es die Berner Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt, die sich an gewaltausübende Personen, meistens Männer, richtet. Die melden sich freiwillig oder werden von den Behörden einem Lernprogramm zugewiesen. «Wir haben noch keinen Anstieg an Neuanmeldungen festgestellt, befürchten aber ebenfalls, dass die aktuelle Situation zu mehr Gewalt in Familien führen kann.» Das sagt die stellvertretende Leiterin der Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt, Laura Elmiger.

Link: www.frauenhaus-schweiz.ch

 

 

 

 

Stichwörter: Gwalt, Biel, Gesellschaft

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