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Kolumne

Der Leberberg und die "Jurassische Einheit"

Mit der Gründung des Kantons Jura wurde 1979 der bernische Jura wieder in einen nördlichen und einen südlichen Teil aufgeteilt. Diese Teilung ist historisch gesehen der Normalfall.

Tobias Kaestli

Heute wird der Name Leberberg noch für Teile des Solothurner Juras verwendet. Einst war damit der ganze Jurabogen gemeint, der aus der Sicht der nach Norden blickenden Seeland- und Mittellandbewohner einfach «der Berg» war (Leber/ Lewer von hleo = Berg oder Hügel). Als die Berner nach 1815 das ehemalige Fürstbistum Basel in Besitz nahmen, gründeten sie eine Leberbergische Kommission, die für die Eingliederung des neuen Kantonsteils in den alten Kanton besorgt sein sollte. Die neuen bernischen Bezirke hiessen auf Deutsch die «Leberbergischen Ämter», auf Französisch aber «Bailliages du Jura».

Der Leberberg ist ein geografisches Gebiet mit einer besonderen Tektonik, nämlich das aufgefaltete Gebirge zwischen dem schweizerischen Mittelland und den Vogesen. Die Kelten nannten es Jor, die Römer Juris, was Waldland bedeutet. Daraus wurden Jorat und Jura. Die Kalkschichten des Juras sind einer bestimmten Periode der Erdgeschichte zuzuordnen. Deshalb führte Alexander von Humboldt Ende des 18. Jahrhunderts «Jura» als erdgeschichtlichen Begriff in die geologische Wissenschaft ein.

Für das begrenzte Gebiet, das heute einerseits zum Kanton Bern gehört, andererseits den Kanton Jura ausmacht, war früher der Name Jura nicht gebräuchlich. Bis 1798 handelte es sich um das Hoheitsgebiet des Bischofs von Basel, der in Pruntrut residierte. Deshalb sprach man von Bistum, französisch Évêché, oder von den Stiftslanden. Das Gebiet bestand aus verschiedenen Herrschaften und der Propstei Moutier-Grandval, in denen Landvögte in Vertretung für den Fürstbischof die Aufsicht führten. Die Stadt Biel, die ebenfalls zu diesem «Bistum» gehörte, war ein Meiertum mit weitgehender Autonomie. Sie übte ihrerseits Herrschaftsrechte im Erguel aus, dem Herrschaftsgebiet, das vom Vallon de St-Imier hinunter bis nach Reiben an der Aare reichte. Die seit dem 16. Jahrhundert reformierten Gebiete Biel, Erguel und Moutier Grandval galten, weil mit Bern verbündet, als Teile der Eidgenossenschaft, während die nördlichen (katholischen) Teile dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zugerechnet wurden. Der Bischof war gleichzeitig Kirchenfürst und weltlicher Fürst. Sein kirchliches Gebiet war viel grösser als sein weltliches Herrschaftsgebiet. Die reformierten Gebiete anerkannten den Bischof nur als weltlichen Fürsten oder «Fürstbischof», nicht als kirchliches Oberhaupt.

1792 annektierten die Franzosen die nördlichen Teile des Fürstbistums, 1797/98 dann auch die südlichen Teile samt Biel. Ende 1814 wurden die Franzosen von den Österreichern vertrieben. Was sollte mit dem ehemaligen Fürstbistum geschehen? Wiederherstellung der fürstbischöflichen Herrschaft, Umwandlung in ein österreichisches Fürstentum, Anschluss an Neuchâtel, Aufteilung in einen Kanton Biel im Süden und einen Kanton Pruntrut im Norden, teilweiser Anschluss an Solothurn oder Anschluss an Bern? Der Wiener Kongress entschied sich 1815 für die Berner Lösung. Jetzt entstanden die Leberbergischen Ämter bzw. die Bailliages du Jura. Weiterhin wurde volksmündlich vom «Bistum» oder vom «Évêché» gesprochen. Allmählich wurde aber der Name «Jura» gebräuchlich, und er wurde zur Klammer für die nördlichen und die südlichen Bezirke des neuen Kantonsteils. Die viel beschworene Einheit des Juras, die es faktisch nie gegeben hatte, entstand als Idee also erst in der Zeit der bernischen Verwaltung. Mit der Gründung des Kantons Jura wurde 1979 der bernische Jura wieder aufgeteilt. Diese Teilung ist historisch gesehen der Normalfall. Trotzdem gibt es immer wieder politische Kräfte, die sich für die «unité jurassienne» einsetzen und eine «Wiedervereinigung» zwischen Nord und Süd verlangen. Aus Sicht der zweisprachigen Stadt Biel ist dies keine gute Idee, weil die Bieler Romands zur vernach-lässigbaren Minorität würden. Wenn schon eine Veränderung, dann wäre es klüger, einen mutigen Schritt zu tun und einen Kanton «Arc jurassien» von Neuchâtel bis Solothurn zu schaffen. Auf Deutsch könnte er «Leberberg» heissen.

Info: Tobias Kaestli, geboren 1946, ist Historiker und lebt in Biel.

Stichwörter: Kolumne, Jurafrage

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