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Biel

Der Menschenfreund übergibt das Zepter

Gestern hat Pierre-Yves Grivel das Präsidium der kantonalen FDP abgegeben. Der Bieler ist davon überzeugt, die Partei in den letzten acht Jahren volksnaher und sichtbarer gemacht zu haben.

Pierre-Yves Grivel führte die Berner FDP während acht Jahren - gestern wurde er vor den Delegierten in Biel von Alt-Bundesrat Johann Schneider-Ammann verabschiedet. Bild: Peter Samuel Jaggi

von Carmen Stalder

Pierre-Yves Grivel mag Menschen. Er umgibt sich gerne mit ihnen, ist Teil eines Teams oder einer Mannschaft, macht neue Bekanntschaften und verstärkt alte Kontakte. Diese Eigenschaft zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben des 67-jährigen Romands aus Biel: Sie zeigte sich im Militär, wo er als Hauptmann für 300 Soldaten verantwortlich war. Sie zeigte sich im Beruf, wo er zuerst Klassenlehrer, danach Ausbildner für junge Lehrerinnen und Lehrer und schliesslich Schulleiter bei der Oberstufe «Collège des Platanes» in Madretsch war. Sie zeigte sich im Sport, wo er als Curling-Coach tätig war. Und schliesslich zeigt sich seine Menschenliebe in der Politik, in der er seit knapp 15 Jahren aktiv ist.

Pierre-Yves Grivel mag aber auch Zahlen. In einem BT-Interview hat er einmal von sich gesagt, dass er ein Mensch der runden Zahlen sei. Dafür sprechen 40 Jahre im Sport, 40 Jahre an derselben Schule in Biel und 25 Jahre als Schulleiter. Diese Tradition führt er nun allerdings nicht mehr fort. Sein Amt als Präsident der kantonalen FDP hat er gestern an der Delegiertenversammlung im Bieler Kongresshaus niedergelegt – und zwar nach acht Jahren.


Weit gereist

Ein paar Tage davor schlägt er das Restaurant Palace vor, um von seiner Amtszeit zu erzählen. Er erscheint mit drei Ordnern, die mit Fotos, Zeitungsausschnitten, Einladungen und weiteren Erinnerungen gefüllt sind. Und er bringt Dokumente mit, die aufzeigen, wie viel Zeit er seit seinem Antritt 2012 in das Präsidium gesteckt hat. Da wären etwa knapp 70 Parteileitungssitzungen, 35 Delegiertenversammlungen und 20 Parteipräsidentenkonferenzen.

Dutzende Male ist er dafür von Biel nach Bern gefahren, aber auch ins Oberland, ins Emmental und in den Berner Jura. Und für die Sitzungen der nationalen FDP ist er als Vertreter der Berner Partei durch die ganze Schweiz gereist, nach Schaffhausen, Genf und Lugano. «Ich habe wohl mehrere 1000 Stunden investiert», sagt Grivel. Bis auf eine krankheitsbedingte Ausnahme habe er keine einzige Sitzung verpasst.

Angefangen hat seine politische Karriere mit der Wahl in den Grossen Rat 2007. Drei Jahre später wurde er Mitglied der Deputation, die im Grossen Rat die Anliegen der französischsprachigen Bevölkerung vertritt. Kurz darauf erlebte die Berner FDP bei den nationalen Parlamentswahlen 2011 eine grosse Schlappe. Die Parteileitung kündigte ihren Rücktritt an und Pierre-Yves Grivel übernahm als zweiter Vize interimistisch das Ruder.


Mit Mut aus der Krise

Ein halbes Jahr später sollte die neue FDP-Führung gewählt werden. Allerdings blieb zu diesem Zeitpunkt nur Grivel als Kandidat übrig – und wurde einstimmig zum neuen Parteichef gewählt. «Als Sportler hätte ich eigentlich eine richtige Wahl bevorzugt», sagt er. Dass die Entscheidung auf ihn gefallen sei, sei seiner Zeit als Interimspräsident zu verdanken, ist Grivel rückblickend überzeugt. Denn nach dem Wahl-Schlamassel habe er eine Klausur einberufen, an der Tacheles geredet wurde. «Ich hatte den Mut, zu fragen, was unser Problem ist.» 140 statt der erwarteten 30 Parteimitglieder hätten an diesem Tag über die Zukunft der Berner FDP diskutiert. «Sie haben gespürt, dass etwas passiert. Und mich hat es gereizt, die Leute zu motivieren, gemeinsam aus der Krise herauszugehen», so Grivel.

In den darauffolgenden Monaten und Jahren sei mehr Arbeit auf ihn zugekommen, als er ursprünglich geahnt habe. Der damalige nationale Parteipräsident Philipp Müller habe ihm gesagt, dass die FDP wieder eine Volkspartei werden müsse. Und so setzte sich Grivel zum Ziel, seine Partei mit viel Arbeit, Engagement und Herzblut aus dem Tief hinauszuführen und vermehrt den Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern zu suchen.

Als Erstes führte Grivel eine Restrukturierung durch, in Zuge derer er die Parteileitung von über 30 auf 11 Personen verkleinerte. Damit habe er sich zwar bei einigen unbeliebt gemacht, doch sei die Führung insgesamt gestärkt worden. «Dann habe ich eingeführt, dass es nach jeder Sitzung ein Apéro geben muss», sagt er. Das sei zwar anfänglich als «typisch welsch» bezeichnet worden, doch so habe er den Zusammenhalt innerhalb der Partei verbessern können. Die Menschen vor dem nach Hause gehen zu motivieren, ist nur eines von vielen Beispielen, wie Grivel seine Erfahrungen als Sport-Coach in die Politik einfliessen liess.


Kein Karriere-Politiker

Ein Welscher an der Spitze einer mehrheitlich deutschsprachigen Partei – dieser Umstand sorgte zunächst durchaus für Skepsis. Der bilingue Politiker sah darin jedoch kein Problem. Die Akzeptanz ihm gegenüber habe er stets als gross empfunden. «Überraschenderweise besonders in den ländlichen Gemeinden», sagt er. Das liegt vielleicht auch daran, dass Grivel ein Mann der Taten ist. Standaktionen bei strömendem Regen oder in eisiger Kälte gehörten für ihn zum Amt dazu. «Ich bin kein Karriere-Politiker. Vielmehr ging es mir darum, möglichst viele Leute anzusprechen.» Die Partei sei für ihn mittlerweile wie eine grosse Familie.

Pierre-Yves Grivel ist davon überzeugt, dass die Berner FDP in den letzten acht Jahren volksnaher und sichtbarer geworden ist. Die Partei sei aus der Krise raus, was etwa die drei zusätzlichen Sitze im Grossen Rat zeigten. Ein anderes wichtiges Ziel habe er hingegen verfehlt: Neben Christa Markwalder und Christian Wasserfallen hätte er zu gerne einen dritten bernischen FDPler im Nationalrat gesehen. Er hofft nun, dass sein Nachfolger dieses Ziel erreicht – ebenso wie auch der Wähleranteil weiter steigen solle. «Wir sind auf dem richtigen Weg, aber noch nicht am Ziel.»

Der FDP bleibt Grivel weiterhin treu. Noch bis im Sommer 2022 politisiert er als Grossrat und setzt sich für Anliegen der französischsprachigen Bevölkerung ein. Danach will er seine politische Laufbahn definitiv beenden. Langweilig wird es ihm wohl nicht: Er will mehr Zeit mit seiner Partnerin, den Töchtern und Enkelinnen verbringen. Er will nach Apulien reisen und im Vallée de Joux wandern gehen. Und er will sich vermehrt  dem Fischen widmen – der einzigen Beschäftigung, die der Menschenfreund am liebsten alleine ausübt.

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