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Biel

«Der Protest gehört 
auf die Strasse»

Die Gleichstellung von Mann und Frau hat die Bieler Politik zuletzt geprägt. Die Protagonistinnen blicken am internationalen Frauentag zurück – und voraus.

An der 1.-Mai-Kundgebung wurde 2018 unter dem Motto Lohngleichheit demonstriert. Bild: Peter Samuel Jaggi/ a

Lino Schaeren

Letztlich war es ein Entscheid des Ständerats, der dafür gesorgt hat, dass die Gleichstellung von Mann und Frau in den letzten zwölf Monaten zum prägenden Thema in der Bieler Politik geworden ist. Ende Februar 2018 hatte die kleine Kammer des nationalen Parlaments die Vorlage zum Gleichstellungsgesetz zurück in die Kommission geschickt, weil bürgerlichen Parlamentariern die vorgesehene Pflicht von Lohngleichheits-Analysen für grössere Firmen nicht passte. Die Empörung darob war gross, ist die Gleichstellung doch bereits seit 1981 in der Bundesverfassung festgeschrieben und trotzdem bei Weitem noch nicht Tatsache. So auch in Biel, wo junge Parlamentarierinnen von PdA, Juso, Grüne und SP als Reaktion auf den Ständerats-Beschluss eine regelrechte Flut von Vorstössen einreichten: Man stürze sich für mehr Gleichstellung der Geschlechter ins Gefecht, hiess es damals in einer Medienmitteilung. Die konkreten Forderungen der Politikerinnen sind inzwischen zwar allesamt gescheitert. Trotzdem sagt Anna Tanner (SP) am heutigen internationalen Tag der Frau: «Die Vorstösse waren nicht umsonst. Wir haben eine Diskussion angestossen und werden diese weiterhin einfordern.»

Diskutiert wurde über die Diskriminierung von Frauen durch unerklärliche Lohnunterschiede und über die Untervertretung von Frauen in städtischen Kaderpositionen. Beides wurde in Biel letztmals 2017 umfassend dokumentiert: Der Lohnunterschied zwischen Frau und Mann betrug 12,8 Prozent, wobei 3,1 Prozent als nicht erklärbar ausgewiesen wurden. Und im oberen und mittleren Kader waren auf der Stadtverwaltung von 56 Stellen gerade mal 17 durch Frauen besetzt. Noch schlechter sieht das auf Führungsebene der städtischen Unternehmen Congrès, Tourisme et Sport SA (CTS), Energie Service Biel (ESB), Parking AG und Verkehrsbetriebe Biel (VB) aus: Nur 21 Prozent der Mitarbeitenden sind hier Frauen, zieht man die Gemeinderätinnen Barbara Schwickert (Grüne) und Silvia Steidle (PRR) ab, die von Amtes wegen in Verwaltungsräten sitzen, sind es sogar nur zwölf Prozent. «Das ist ein Skandal», sagte deshalb Muriel Günther (Juso) letzten Dezember im Bieler Stadtrat.

Sie und ihre Mitstreiterinnen forderten die Einführung einer Frauenquote für die Führungsetage der stadteigenen Firmen. Und auch, um dem unerklärlichen Lohnunterschied beizukommen, wurde eine Forderung platziert: Nach dem Vorbild von Juso-Schweiz-Präsidentin Tamara Funiciello wurde verlangt, allen bei der Stadt beschäftigten Frauen jeweils am 8. März einen freien Tag einzuräumen, und zwar so lange, bis es keinen diskriminierenden Lohnunterschied mehr gibt. Während Funiciello im Berner Stadtrat mit dieser symbolischen Massnahme erfolgreich war, scheiterten die Bielerinnen. Auch die Frauenquote blieb chancenlos.

Ein unrühmlicher Höhepunkt
Diskutiert wurde aber allemal emotional – mit dem unrühmlichen Höhepunkt, dass sich ein bürgerlicher Politiker für einen «Heul doch!»-Ausruf während eines Votums Günthers entschuldigen musste. «Die Debatten haben gezeigt, dass es tatsächlich Handlungsbedarf gibt; die Wichtigkeit der Gleichstellung ist noch nicht in allen Köpfen angekommen», sagt Grüne-Stadträtin Lena Frank. Und Anna Tanner fügt an: «Das Verlangen nach Gleichstellung muss sich in allen Bevölkerungsschichten verankern.»

Endlich Gleichstellung – diese Forderung wurde im letzten Jahr in Biel nicht nur im Stadtratssaal angebracht. Am Tag der Arbeit zogen rund 500 Personen unter dem Motto Lohngleichheit durch die Bieler Bahnhofstrasse, so viele zog an einem 1. Mai zuletzt Bundesrat Alain Berset (SP) an. Und im November veranstaltete der Verein Frauenplatz Biel einen Stadtrundgang, auf dem die Rolle der Frauen beim Landesstreik aufgezeigt wurde. Ab auf die Strasse – das ist nun auch das nächste Ziel jener Bieler Stadträtinnen, die sich vor einem Jahr «ins Gefecht gestürzt» haben: für den 14. Juni ist schweizweit ein Frauenstreiktag angekündigt. Dieser wurde bereits vergangenen September in Bern bei einer Demonstration für Lohngleichheit mit rund 20 000 Teilnehmenden beworben. Diesen Sonntag findet nun ab 10 Uhr im Bieler Volkshaus eine nationale Versammlung zum Austausch unter den Streikwilligen statt.

Frank sagt: Es wäre eine Illusion, zu glauben, die Gleichstellung von Mann und Frau in einem lokalen Parlament erreichen zu können. «Der Druck muss aus der Bevölkerung kommen, der Protest gehört auf die Strasse.» Tanner, die als Koordinatorin im Bieler Streik-Kollektiv amtet, sagt, dass sich viele Frauen engagieren würden, die bisher in keiner Gruppe organisiert gewesen seien. «Es bewegt sich etwas, weil über Diskriminierung gesprochen wird, merken die Frauen, dass sie in ihrer Situation nicht alleine sind.»

«Diskussion hat etwas angestossen»
Beim Gleichstellungsgesetz haben sich National- und Ständerat vergangenen Dezember dann doch noch auf eine Lohnanalyse geeinigt. Künftig sollen Unternehmen ab 100 Beschäftigten verpflichtet werden zu prüfen, ob sie Männern und Frauen für dieselbe Arbeit gleich viel zahlen. Wirklich zufrieden mit der verwässerten Vorlage war am Schluss aber niemand – die Gegner redeten von einem Papiertiger, die Befürworter beklagten die fehlenden Sanktionsmöglichkeiten; der Arbeitgeber muss seine Angestellten lediglich über die Resultate informieren.

Und in Biel? Zwar wurden die in den Vorstössen geforderten Werkzeuge verworfen. Trotzdem hat sich in der Stadtpolitik etwas getan: Der Gemeinderat hat angekündigt, auch ohne konkreten Auftrag vom Stadtrat Massnahmen zu prüfen. So sprach sich die Stadtregierung zwar gegen eine Frauenquote für städtische Unternehmen aus, sie konnte sich aber andere Regulierungen, etwa eine Begründungspflicht vorstellen: Bei unausgeglichener geschlechtlicher Zusammensetzung auf Führungsebene müsste die federführende Stelle demnach künftig begründen, weshalb sie trotz ungenügendem Frauenanteil einen Mann zur Wahl vorschlägt.

Laut Stadtpräsident Erich Fehr (SP) sind Vorschläge, wie die Vertretung der Frauen im städtischen Kader verbessert werden könnte, in Erarbeitung. «Die ganze Diskussion hat schon etwas angestossen», sagt auch er. Fehr betont aber auch: «Der Handlungsbedarf war schon zuvor offensichtlich.» Und man sei alles andere als untätig gewesen.

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«Female Pleasure» 
im Filmpodium
Zum internationalen Tag der Frau wird heute Abend im Bieler Filmpodium «Female Pleasure» gezeigt – ein Plädoyer für die Befreiung der weiblichen Sexualität im 21. Jahrhundert. Ab 
19 Uhr gibt es einen Apéro, Film ab heisst es um 20 Uhr. lsg

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