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Spitzensportlerinnen

«In der Schule sind die Buben die Einzigen mit zwei Mamas»

Die Bernerin Maja Neuenschwander ist eine von 28 Athletinnen, die im Buch «Vorbild und Vorurteil» zu ihrer Homosexualität stehen.

Schnellste Schweizer Marathonläuferin: Maja Neuenschwander will nicht aufs Lesbischsein reduziert sein. Bild: Lilian Salathé Studer

Interview: Monica Schneider

Maja Neuenschwander, welchen Vorurteilen sind Sie als junge Sportlerin begegnet?

Maja Neuenschwander: Im Sport begegnete ich keinen, schon eher im Alltag. Weil ich seit meiner Kindheit kurze Haare habe, meinten Frauen auf der Toilette oft, ich hätte wohl die Symbole an den Türen nicht gesehen, «das ist das Frauen-WC!» Das hatte aber mit meinem Aussehen zu tun und weniger mit der sexuellen Orientierung. Ich war schon als Mädchen so. Ich wollte nie lange Haare, nie ein Röckli, ich fühlte mich nicht wohl darin. Das war im Sport nicht anders: Ich nervte mich, wenn ich als Nachwuchsathletin einen Body tragen musste, weil das so vorgesehen war. Mir wären Shorts oder Tights lieber gewesen.

War die Leichtathletik ein schwieriges oder offenes Umfeld für eine lesbische Athletin?

Ein sehr gutes. Ich habe über meine Freundschaften in der Leichtathletik meinen Weg finden können. Die Leichtathletik war meine Welt, die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen waren dort, viele gute Freundschaften sind dort entstanden. Dieses Umfeld hat mich getragen, dass ich Frauen liebe, war nie ein Problem. Das hat mich gestärkt. Es war, wie es war und musste nicht thematisiert werden.

Wird in einer Einzelsportart anders mit Homosexualität umgegangen als in einer Teamsportart?

Es gibt Unterschiede – nur schon in den Einzelsportarten. Leider gibt es immer noch Sportlerinnen, die sich nicht outen: aus Angst vor negativen Reaktionen innerhalb der Familie oder des Sportvereins, aber oft auch, um Sponsoren nicht zu verlieren. In den Teamsportarten ist es anders. Mir scheint, dass gerade durch die vielen Vorurteile, die beispielsweise dem Fussball entgegengebracht wurden, ein offener, unverkrampfter Umgang mit der Thematik gesucht und gefunden wurde.

Sie hatten nie das Bedürfnis, aus Ihrem Lesbischsein eine Geschichte zu machen – und haben es in diesem Buch jetzt trotzdem getan. Wieso?

Mich überzeugte das Argument der Autorinnen, dass Spitzensportlerinnen, die offen zu ihrer Sexualität stehen, eine wichtige Rolle als Vorbild spielen können. Als ich noch als Lehrerin unterrichtete, war ich auch schon mit diesem Argument konfrontiert. Damals war ich aber noch nicht so weit, diese Rolle aktiv zu leben und Jugendliche zu ermutigen, den eigenen Weg zu gehen.

Sie sind 40, seit acht Jahren verheiratet und haben zwei Söhne. Hätten Sie schon vor zehn Jahren mitgemacht? Ist Ihr Selbstbewusstsein mit der Familie ein anderes geworden?

Es war sicher ein Prozess. Und ich merkte, dass das Buch nochmals viel in mir bewegt hat. Ich war recht nervös, als es vor zehn Tagen erschien. Denn da ist auch die Frage: Werde ich nun allein auf mein Lesbischsein reduziert? Stehe ich nun nicht mehr als Athletin oder Frau im Vordergrund? Wir leben mit unseren Buben in der Agglomeration von Bern. In der Schule sind sie die Einzigen mit zwei Mamas. Wir haben uns entschieden, kein Geheimnis daraus zu machen, die Transparenz schafft Klarheit. Positive Feedbacks von Menschen, die wir kaum kannten, bestärkten uns, dass wir einen guten Weg gewählt haben. Dass ihn alle gut finden, diesen Anspruch habe ich nicht.

Zurück zum Beruf: Mussten Sie als lesbische Spitzensportlerin um etwas kämpfen?

Gegenfrage: Warum interessiert gerade bei mir im Sport die sexuelle Ausrichtung? Ich messe mich mit anderen Läuferinnen, wir kämpfen ums Gleiche, wollen gewinnen. Alles andere interessiert im Sport nicht. Ich könnte nun darüber nachdenken, ob ich als femininere Sportlerin mehr Medienpräsenz oder zusätzliche Sponsoringverträge erhalten hätte – aber das bringt mich nicht weiter. Hätte ich aber im Sport meine Identität verändern müssen, hätte ich keinen Erfolg gehabt. Ich bin überzeugt, dass ich als Athletin authentisch sein muss, um Höchstleistungen erzielen zu können.

Bis in die 1990er-Jahre mussten Frauen zum Geschlechtstest antreten. Haben Sie ähnlich erniedrigende Momente erlebt?

Nein, überhaupt nicht.

Was raten Sie jenen Frauen liebenden Sportlerinnen, die sich nicht outen, weil sie um ihre Sponsoren fürchten?

Das ist eine sehr persönliche Entscheidung, ich kann nur von mir reden. Wie schon gesagt: Ich muss ich selber sein, damit ich gut performen kann. In Zwängen gefangen zu sein, hätte für mich dauernden Stress bedeutet …

... den hat es auch als junge Frau nicht g egeben?

Bis ich akzeptierte, dass ich Frauen liebe, war es belastend. Auch der Schritt, sich in der Familie zu outen, war nicht einfach. Aber dieses «Don’t ask, don’t tell», frag nicht, und du sagst nichts – ich konnte mir nicht vorstellen, das ein Leben lang durchzuziehen.

Wieso gehen Sportlerinnen offener mit ihrer Homosexualität um als Männer?

Darüber kann ich nur spekulieren. Ein Grund ist vermutlich, dass der Sport lange den Männern vorbehalten war, historisch auch eng mit Männlichkeit verknüpft ist. Ein anderer könnten die ökonomischen Aspekte sein. Der «Gender Pay Gap», das geschlechterspezifische Lohngefälle, ist heute in vielen Sportarten immer noch sehr gross. Ist weniger Geld in einem Sport, lässt das die Athletinnen vielleicht freier leben. Vorkämpferin in diesen Dingen ist US-Fussballstar Megan Rapinoe. Sie scheut sich nicht, Sexismus, Homophobie und Rassismus anzuprangern.

Trotz grosser Offenheit – wieso braucht es dieses Buch?

Das Anderssein ist auch heute noch nicht immer einfach. Die Sichtbarkeit von lesbischen Spitzensportlerinnen hilft mit, gängige Normen aufzubrechen. Dabei spielen auch die Medien eine wichtige Rolle, die das Bild der unterschiedlichen Lebensentwürfe sichtbar machen können.

Wem wollen Sie ein Vorbild sein?

Allen Jugendlichen und Menschen, die gerne laufen. Ich ermutige sie, ihren Weg zu gehen. Mein sportlicher Werdegang zeigt, dass viel möglich ist, wenn man bereit ist, alles zu investieren.

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Ein Buch, damit es keine solchen Bücher mehr braucht

Die Idee war bestechend, die Umsetzung anspruchsvoll: ein Buch über lesbische Vorbilder im Spitzensport. Die fünf Autorinnen – Wissenschaftlerinnen, Journalistinnen und Aktivistinnen, alle mit einem sportlichen Hintergrund – haben sich auf Spurensuche begeben, in der Deutschschweiz, in verschiedenen Sportarten, in unterschiedlichen Generationen.

Entstanden sind 28 ganz unterschiedliche Porträts von Frauen, die kommenden Generationen zeigen wollen, wie befreiend es ist, den eigenen Weg einzuschlagen.

Das Buch soll aber auch jenen Sportlerinnen eine Hilfe sein, die ihr Coming-out aus unterschiedlichen Gründen noch nicht gewagt haben.

Historikerin und Sportpädagogin Marianne Meier ordnet das Buch zu Beginn in einen wissenschaftlich-historischen Kontext ein. Sie unterstreicht, dass «der Spitzensport von wirtschaftlichen Interessen und einem patriarchalen Weltbild beherrscht» wird, dagegen hätten die Autorinnen angeschrieben.

Patricia Purtschert, ausserordentliche Professorin für interdisziplinäre Geschlechterforschung an der Uni Bern, weist im Nachwort auf das besondere Verhältnis zwischen Sport und Lesben in der Schweiz hin und erwähnt die Auflösung des Frauenteams des FC Wettswil-Bonstetten 1994, die der Lesbenorganisation Schweiz viel Publizität verliehen habe. Den Wert und die

Notwendigkeit dieses Werks umschreibt Ladina Heimgartner, die ehemalige stellvertretende Generaldirektorin der SRG, treffend: «Es braucht Bücher wie dieses, damit es Bücher wie dieses einmal nicht mehr braucht.»  mos

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