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Sandra Hess

«Der Umgangston in Nidau hat sich verschärft»

Nidau hat ein turbulentes Jahr hinter sich. Stadtpräsidentin Sandra Hess (FDP) spricht über fehlende Kommunikation, unfaire Kritik und eine späte Einsicht. Und warum sie weiterhin mit Begeisterung für Agglolac einsteht.

Copyright: Aimé Ehi / Bieler Tagblatt

Interview: Carmen Stalder

 

Sandra Hess, können Sie gut mit Kritik umgehen?

Sandra Hess: Ich habe kein Problem mit Kritik, jedenfalls nicht, wenn sie fair und sachlich ist.

 

Davon mussten Sie nämlich dieses Jahr einige einstecken. Angefangen mit den Wirren um die Abteilung Infrastruktur, die in der Kündigung des Bauverwalters Ulrich Trippel und einem Vertrauensbruch zwischen Gemeinderat und Stadtrat endeten. Was ist schief gelaufen?

Rückblickend war sicher ein grosser Teil des Problems fehlende Kommunikation: Wir haben gemerkt, dass das etwas sehr Wichtiges ist. Diese Kritik haben wir ernst genommen. Wir haben ein neues Informationskonzept erarbeitet und veröffentlichen nun jeden einzelnen Gemeinderatsbeschluss. Zudem gibt es regelmässige Infoanlässe für den Stadtrat. Kommunikation hat jedoch auch Tücken: Man muss aufpassen, dass man nicht mehr Fragen auslöst, als Antworten liefert. Aber ja, ich würde sagen, das war eine grosse Baustelle, an der wir dieses Jahr intensiv gearbeitet haben.

 

Wie war es für Sie, vor versammeltem Stadtrat an den Kopf geworfen zu bekommen, dass der Gemeinderat «seine Pflichten haarsträubend vernachlässigt» habe?

Das ist nicht einfach. Es stimmt nicht, ist unfair und wird der Arbeit nicht gerecht, die der Gemeinderat leistet. Vielleicht haben wir aber zu wenig gut dargelegt, was wir tun. Solche Kritik können wir nur entkräften, indem wir zeigen, an was wir gearbeitet haben und warum wir es gemacht haben.

 

Sie fühlten sich davon nicht persönlich angegriffen?

Nein, mit dem muss man umgehen können. Das gehört einfach dazu.

 

Sie haben stets betont, dass trotz dem Drunter und Drüber auf der Abteilung keine Projekte liegen bleiben. Hat das tatsächlich geklappt?

Auf jeden Fall. Ich wehre mich gegen die Aussage, es habe ein Drunter und Drüber geherrscht. Nach der Freistellung des Abteilungsleiters haben wir eine gemeinderätliche Delegation eingesetzt, die sich um die operative Führung der Abteilung gekümmert hat. Zudem konnten wir sofort einen Abteilungsleiter ad interim mandatieren. Die Aufgaben konnten jederzeit erfüllt werden.

 

Nidau musste aber mehrere Geschäfte abgeben, so wurde etwa die Führung des Elektrizitätswerks (EW) an Port übertragen, ebenso das Sanierungsprojekt der Schiessanlage Spärs.

Wir haben Prioritäten gesetzt. Hauptsache ist, dass alle Aufgaben erfüllt werden konnten – das ist für die Bürgerinnen und Bürger wichtig, und nicht, wie die Arbeit genau organisiert ist. Also haben wir geschaut, wo externe Kompetenzen und Ressourcen vorhanden sind.

 

Das hat jedoch zu Mehrkosten geführt.

Natürlich kostet es etwas, wenn man Arbeiten auslagert. Auf der anderen Seite hatten wir viele Vakanzen innerhalb der Abteilung Infrastruktur, was wiederum zu einem gewissen Ausgleich führte – etwa dadurch, dass wir für die EW-Leitung intern keine Lohnkosten hatten.

 

Wie sieht die Situation auf der Abteilung Infrastruktur mittlerweile aus?

Seit dem 1. November sind wieder alle Stellen mit qualifizierten Personen besetzt. Durch eine Umstrukturierung haben wir neu drei Bereichsleiter statt nur einem, daher sind die Aufgabenverteilungen anders. Das muss sich jetzt noch einspielen. Aber es läuft sehr gut, wir sind zufrieden.

 

Im Zentrum des Disputs stand das Projekt Seewassernutzung. Nach langem Hin und Her hat sich Nidau dazu entschieden, das Fernwärmenetz nicht wie ursprünglich geplant selbst in die Hand zu nehmen, sondern dem Energie Service Biel (ESB) zu übergeben. Bedauern Sie diese Entwicklung?

Nein. Es war der absolut richtige Entscheid, dass der Gemeinderat und letztlich auch der Stadtrat so entschieden haben. Davon sind wir im Gemeinderat nach wie vor fest überzeugt.

 

Für Nidau wäre das doch ein prestigeträchtiges Projekt gewesen.

Es geht hier nicht um Prestige, sondern darum, welche Aufgaben wir erfüllen können und zu welchem Preis. Haben wir die nötigen Ressourcen, haben wir das Know-how? Da mussten wir einfach sagen: Nein, das haben wir nicht. Die Risiken hätten die Chancen bei Weitem überwogen. Unsere Aufgabe ist es nicht, Prestigeprojekte zu entwickeln, sondern dafür zu sorgen, dass das Netz zustande kommt.

 

Diese Einsicht kam allerdings etwas spät.

Bei Vorhaben in diesem Umfang, wir sprechen hier von einem 30-Millionen-Franken-Projekt, ist nicht immer von Anfang an absehbar, was das für die Stadt bedeutet. Auf den ersten Blick denkt man, wir haben ja ein EW, also wird es doch nicht so schwer sein, auch noch ein Fernwärmenetz zu bauen. Wichtig ist, wenn man die Fakten auf dem Tisch hat, die richtigen Konsequenzen zugunsten der Gemeinde zu ziehen, und das haben wir gemacht.

 

Nidau hat also zuerst nicht realisiert, wie gross das Projekt ist?

Am Anfang hat man von der Erschliessung von Campus, Switzerland Innovation Park und Agglolac gesprochen. Dann hat sich das immer mehr ausgedehnt und es haben sich neue Möglichkeiten eröffnet. Das Projekt ist gewachsen und damit auch die Erkenntnis, wie komplex es ist.

 

Konnten Sie den Unmut des Stadtrats über den plötzlichen Richtungswechsel nachvollziehen?

Ich kann absolut verstehen, dass man das Gefühl hat, Nidau verpasse damit eine Chance. Die meisten Leute reagieren im ersten Moment so und denken, das müsste die Stadt doch machen können. Es braucht etwas Zeit, um zu verstehen, was damit alles verbunden gewesen wäre und welche Risiken die Stadt Nidau hätte eingehen müssen.

 

Inwieweit ist die Gemeinde noch in das Projekt involviert?

Direkt am Projekt beteiligt sind wir im Moment nicht. Aber das Pumpwerk und die Heizzentrale werden auf Nidauer Boden erstellt, wir sind also über die Baurechtsverträge involviert. Als wir uns zurückgezogen haben, haben wir ausserdem festgehalten, dass genügend Kapazität für ein Fernwärmenetz in Nidau vorhanden sein muss. Wir sind in regelmässigem Austausch mit dem ESB und klären ab, ob und wie sich Nidau am Energieverbund beteiligen wird.

 

Im Juni rollte die nächste Kritikwelle an. Dass sich die Gemeinderätin Sandra Friedli (SP) entgegen des Gemeinderatsbeschlusses für den Verbleib der Fahrenden auf dem Expo-Areal ausgesprochen hatte, wurde von manchen Stadträten nicht goutiert. Werden Sie solche Abweichungen auch in Zukunft zulassen?

Hier geht es um das Kollegialitätsprinzip. Es regelt, wie der Gemeinderat zusammenarbeitet und wie er nach aussen auftritt. Wenn jemand aus Gewissensgründen absolut nicht hinter einem Entscheid stehen kann, muss er das im Gremium transparent machen, was auch geschehen ist. Wenn so etwas noch einmal vorkommen würde, müssten wir die jeweilige Geschäftszuständigkeit und die Kommunikation nach Aussen sicher anders handhaben.

 

Ihre Partei schrieb nach dem Vorfall in einer Mitteilung, dass Friedli mit ihrem Verhalten die Stadt lächerlich gemacht habe. Hat sie das?

Das war eine Mitteilung der Partei, die Mitglieder haben ihre Meinung zum Thema kundgetan.

 

Aber hat sie damit die Stadt lächerlich gemacht?

Dazu kann ich nicht Stellung nehmen, denn ich sehe es aus einer Innensicht. Die FDP hat es von aussen wahrgenommen und entsprechend reagiert. Aber wir sind uns einig, dass es eine unglückliche Situation war.

 

Es scheint, dass im vergangenen Jahr in Nidau vermehrt solche rauen Töne angeschlagen wurden.

Der Umgangston in Nidau hat sich verschärft. Ich diskutiere sehr gerne und stelle mich jeder Diskussion. Aber ich finde es schade, wenn der Ton so rau oder gar gehässig wird. Das ist einer guten Zusammenarbeit nicht förderlich. Ich habe das Gefühl, dass sich die Wogen jetzt wieder etwas geglättet haben – jedenfalls hoffe ich nicht, dass es in den nächsten Jahren so weitergeht.

 

Unter anderem wegen den anstehenden Volksabstimmungen in Biel und Nidau wird Agglolac im kommenden Jahr viel zu reden geben. Nach seiner Vorprüfung hat der Kanton grünes Licht für das Grossprojekt gegeben. Was hat das bei Ihnen ausgelöst?

Ich bin seit zehn Jahren in das Projekt involviert, vier Jahre als Gemeinderätin und seit sechs Jahren als Stadtpräsidentin. Nach diesem sehr langen Weg erfüllt die Planung nun die übergeordneten Gesetze und Grundlagen, vom Kanton her ist sie genehmigungsfähig. Jetzt sehe ich endlich den Punkt, an dem wir dem Stadtrat und der Bevölkerung die Planung vorlegen können. Das ist eine grosse Erleichterung.

 

Wenn Nidau jetzt abstimmen würde – würde ein Ja oder Nein resultieren?

Diese Frage kann ich nicht beantworten, weil die Leute noch nicht alle Informationen haben. Das können Sie mich wieder fragen, wenn wir mit dem Gesamtpaket in den Stadtrat gehen und das Projekt in seiner Gesamtheit aufzeigen und beraten können.

 

Beurteilt die Bevölkerung das Projekt vielleicht eher negativ, weil sie aktuell zu wenig weiss?

Generationenprojekte wie Agglolac lösen immer Ängste und Befürchtungen aus. Der Entwicklungsprozess ist lang und komplex. Darum ist es im ersten Moment schwierig, sich eine fundierte Meinung zu bilden. Umso wichtiger ist es, die Bevölkerung aufzuklären und über die Inhalte zu informieren, sobald alle Fakten ausgehandelt sind.

 

Bei einer Informationsveranstaltung im September war die Begeisterung der Zuhörer verhalten. Anschliessend waren Sie bei 45 Einspracheverhandlungen dabei. Haben diese kritischen Begegnungen Ihren Enthusiasmus für das Projekt gedämpft?

Es liegt in der Natur der Sache, dass jemand, der Einsprache macht, nicht rundum begeistert ist. Diese Begegnungen sind Teil unserer Arbeit auf dem langen Weg, um das Projekt zur Volksabstimmung bringen zu können. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass Agglolac in vielerlei Hinsicht unsere Stadt und die ganze Region weiterbringt.

 

Kritische Fragen bringen Sie nicht zum Nachdenken?

Doch, natürlich höre ich zu und nehme ernst, was die Bevölkerung zu diesem Projekt sagt. Es ist mir absolut bewusst, dass nicht alle unsere Begeisterung teilen. Es ist aber auch unsere Pflicht, zu erklären, wieso wir an dieses neue Seequartier glauben.

 

Sorgen Sie sich nicht, dass die Agglolac-Gegner das Vorhaben analog zum Westast stoppen könnten?

Im Unterschied zum Westast gibt es bei Agglolac eine Volksabstimmung. Es gehört zur demokratischen Auseinandersetzung, dass sich Pro und Kontra über diese Themen unterhalten. Die Aufgabe der Behörden ist es, die grundsätzliche Absicht darzulegen: Was wollen wir damit erreichen und warum machen wir es? Am Schluss hat jedoch die Bevölkerung das letzte Wort. Wenn die Planung vom Volk bestätigt ist, fördert das die Akzeptanz für die weiteren Schritte.

 

Sie könnten auch mit einem Nein leben?

Selbstverständlich würde ich diesen Entscheid der Bevölkerung respektieren.

 

Womit wird Ihnen das Jahr 2019 in Erinnerung bleiben?

Ich habe festgestellt, dass wir von aussen sehr stark durch unsere Grossprojekte wahrgenommen werden, sprich Agglolac, Westast und Seewasserprojekt. Die tägliche Arbeit des Gemeinderats geht dabei etwas verloren und das ist schade. Dort wollen wir nächstes Jahr ansetzen und mehr Wert auf die Sachen legen, die zwar nicht weltbewegend, aber eben auch wichtig sind.

 

Was wäre denn ein solches Projekt, das zu wenig Beachtung gefunden hat?

Zum Beispiel die Buslinie 2020, die das Beundenquartier erschliessen wird. Ich habe das Gefühl, dass das ein grosser Gewinn für die Bevölkerung in Nidau West sein wird, der etwas untergegangen ist.

 

Mit welchem Geschäft haben Sie sich am liebsten befasst?

Mit der Ortsplanungsrevision (lacht). Das klingt jetzt furchtbar trocken. Doch dieses Jahr sind wir wirklich gut vorwärtsgekommen. Wir haben kürzlich das letzte Teilgebiet aufgelegt und hatten während der Mitwirkung viele Eingaben. Es gab eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen dem Gemeinderat und der Bevölkerung.

 

War es für Nidau politisch gesehen ein gutes Jahr?

Ja. Gleichzeitig war es aber auch ein turbulentes und anspruchsvolles Jahr. Es ist den meisten Leuten nicht bewusst, welche Arbeit eigentlich von den Gemeinderäten geleistet wird. Und ich habe den Eindruck, es wird jedes Jahr noch etwas anspruchsvoller.

 

Sandra Hess

  • Jahrgang 1972
  • Die in Münchenbuchsee aufgewachsene Sandra Hess lebt seit 1997 in Nidau. Die gelernte Kauffrau ist verheiratet und Mutter von zwei Töchtern im Alter von 18 und 21 Jahren.
  • Seit 2013 ist Sandra Hess Nidaus erste Stadtpräsidentin, seit 2018 sitzt sie für die FDP im Grossen Rat des Kantons Bern.
  • Neben ihren Aufgaben als Mutter und nebenamtliche Politikerin fährt sie gerne Ski, geht in die Natur und liest. Ihre Ferien verbringt sie am liebsten im Wallis oder «in den grossen und kleinen Städten Europas». cst

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