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Biel

Der Vitaparcours wird viral

Ich gebe es zu: Ich war schon immer ein sozial distanzierter Sportler, schon lange vor Corona.

Symbolbild Keystone
  • Dossier

Matthias Knecht, Blattmacher

Am liebsten renne ich alleine durch den Wald. Der beste Ort, dort sicher keine Menschenseele zu treffen, ist der Vitaparcours. Drei Prozent der Schweizer Bevölkerung laufen wöchentlich eine solche Waldstrecke. Das behauptet eine Umfrage von 2014, und selbst die schien mir übertrieben – bis zum 16. März.

Seither sind Shopping- und Fitnesscenter leer. Voll dafür sind die Wälder in und um Biel. Allein auf meiner Hausstrecke im Bieler Mettquartier trainieren aktuell gefühlt 200 Prozent der Schweizer Bevölkerung. An den einzelnen Posten zur Stärkung der Rumpf- oder Armmuskulatur kommt es zu Warteschlangen.

Selbstverständlich halte ich den seuchenpolitisch gebotenen Abstand zu den anderen Vitaparcouristen ein. Das wird allerdings dadurch erschwert, dass auch noch ein grosser Teil der Rentnerinnen und Rentner Biels ihren Spaziergang ausgerechnet auf der Waldsportstrecke absolviert. Bei der Gelegenheit bedenken sie mich und all die anderen keuchenden Hobbysportler mit bösen Blicken. Diese sagen: «Komm mir bloss nicht zu nahe!»

Der Mindestabstand ist ohnehin graue Theorie, kaum ist man im Grünen. Etliche der neu aufgetauchten Waldsportlerinnen und -sportler nehmen auch ihre schulentpflichteten Kinder mit, und die Kleinen leben ihren behördlich unterdrückten Drang zur Rudelbildung aus. Kürzlich hat eine solche Kindermeute jenen Trainingsposten mit den Ringen heimgesucht, dort, wo der Vitaparcours am Lindenquartier vorbeiführt. Die Kinder haben dabei vermittelst Knäueltechnik völlig neuartige Übungen erfunden, die wohl jeden diplomierten Fitnesstrainer neidisch gemacht hätten.

Dass es dennoch nicht massenweise zu Ansteckungen kommt, dafür sorgen weitere Familien auf den Grillplätzen. Ihre Feuer rauchen kräftig genug, um jedem Bazillus zwischen Aare und Jura den Garaus zu machen. Leider ist die Waldluft dann auch nicht mehr so frisch wie sie das in den fernen Zeiten vor Corona war.

Ich vermisse die Einsamkeit im Wald! Aber ich werde durch grossartige Szenen entschädigt. Zum Beispiel am Posten mit den Beckenübungen, im Dickicht oberhalb der Madretsch: Dort traf ich kürzlich eine türkische Grossfamilie an. Deren Oberhaupt – Schnauzbart, Pluderhose, Pascha-Pose – dirigierte eine beträchtliche Kinderschar zwischen Chindsgi- und Sekundarschulalter. Ebenso gehorsam wie ungelenk führten die Kleinen die angeordneten Übungen durch.

Ich kam mir erst fehl am Platz vor, als ich dort auf meinen Trainingsturnus wartete. Dann lächelte mich eines der Mädchen schüchtern an, dann die anderen Kinder, und schliesslich bedachte mich der Pascha-Trainer mit einem ebenso freundlichen wie stolzen Blick. Dieser sagte: «Schau her, wir treiben jetzt auch ernsthaft Sport!»

Schön, dachte ich. Hoffentlich macht ihr weiter, wenn die Coronakrise vorbei ist! Und auch die anderen Bielerinnen und Bieler. Dafür verzichte ich gerne auf die Einsamkeit im Wald.

mknecht@bielertagblatt.ch

Stichwörter: Wald, Vitaparcours, Sport

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