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Biel

Die erste Stadträtin kommt aus einer Zeit, als Frauen noch abseits standen

Die Pionierin war eine Freisinnige: 1968 ist Claire-Lise Renggli ins Bieler Stadtparlament gewählt worden. Es war das Jahr, in dem die Frauen in Biel politisch erstmals mitreden durften. Auf nationaler Ebene gab es das Stimmrecht allerdings noch nicht.

copyright: nico kobel
  • Dossier

Deborah Balmer


Es war ein historischer Moment für die Stadt Biel: Die freisinnige Claire-Lise Renggli ist 1968 in den Bieler Stadtrat gewählt worden. Als erste Frau überhaupt. Es war das Jahr, in dem ein Umdenken stattfand und in der Stadt Biel die Frauen politisch erstmals Mitspracherecht hatten. Bis das auf nationaler Ebene möglich wurde, vergingen nochmals über drei Jahre.


Die heute 87-Jährige, die an der Alpenstrasse in Biel in dem Haus lebt, in dem sie aufgewachsen ist, war damals Präsidentin des Verbands der Bieler Frauenvereine. Über 30 solcher Vereine zählte die Stadt zu jener Zeit. Und mit dem Erhalt des Stimmrechts sollten die Bielerinnen einen Crash-Kurs in Politik bekommen. In den Frauenvereinen wurden ihnen politische Instrumente erklärt, erfuhren sie, was eine Motion ist, oder was man mit einem Postulat erreicht. Es war Claire-Lise Renggli, die diese politischen Einführungen organisierte und dabei in Kontakt kam mit lokalen Parteipräsidenten. Sie erinnert sich, wie einer sie ermunterte, doch den Sprung in den Bieler Stadtrat zu machen und bei den anstehenden Wahlen zu kandidieren: «Du wärst doch eine gute Kandidatin für den Stadtrat!», sagte er.


So kam es, dass Renggli mit Jahrgang 1932, die zuvor nie gedacht hätte, dass sie jemals in die Politik einsteigen würde, im  Jahr 1968 für den Parti national romand (PNR), der Vorgängerpartei des heutigen Parti radical romand (PRR), auf Anhieb einen Sitz erzielte und ab der Legislatur 1969 für die freisinnige Partei im Bieler Stadtrat politisierte. «Ich war damals überrascht, wie erfolgreich wir waren», sagt sie. Ihr direkter Einzug in den Stadtrat kam auch deshalb unerwartet, weil der PNR bereits mit sieben Stadträten im Parlament vertreten war. Doch Claire-Lise Renggli erzielte genug Stimmen für einen achten Sitz. So wurde sie zur allerersten gewählten Frau im Bieler Stadtparlament: «Ich war stolz, zufrieden und motiviert», sagt sie heute im Gespräch.


Ihr verstorbener Mann Peter Renggli, der hohe Positionen in der Uhrenindustrie innehatte, war damals wie viele Schweizer Männer gegen das Frauenstimmrecht. Doch für seine Frau verzichtete er auf seinen Sitz im Stadtrat, obwohl auch er im Herbst 1968 für die FDP wiedergewählt wurde. Damals gab es jedoch eine Bieler Regel, die besagte, dass nicht zwei Personen aus der gleichen Familie im Parlament vertreten sein dürfen.  Renggli erinnert sich: Weil nach den Wahlen ein wiedergewählter Stadtrat verstarb, rückte eine zweite Frau nach: Anne-Lise Favre, die für dieselbe Partei wie sie politisierte. «Ich war also nicht mehr die einzige Frau», sagt Renggli, die zuvor mit ihrem Mann und den Kindern im Kanton Neuenburg gelebt und dort bereits das Stimm- und Wahlrecht hatte.


Langer Weg zum Frauenstimmrecht
Zur Erinnerung:Neuenburg war bezüglich Frauenstimmrecht ein Vorreiter-Kanton. Der Kampf der Schweizerinnen war bekanntlich ein langer und die Kantone stimmten dem Frauenstimmrecht zu unterschiedlichen Zeiten zu. Länger als ein Jahrhundert dauerte es vom ersten eingereichten Begehren, bis die letzte Schweizerin das Stimmrecht tatsächlich erhielt. Mehr als 70 Jahre davon war die Hälfte der Bevölkerung in der Schweiz ganz vom Stimm- und Wahlrecht ausgenommen.


In der Stadt Zürich etwa reichten die Frauen bereits 1886 einen entsprechenden Vorstoss ein, wie die «NZZ» schreibt. Vergeblich. Im Februar 1959 kam es dann zu einer eidgenössischen Volksabstimmung. Zwei Drittel der Männer lehnten die Vorlage ab. Doch am gleichen Tag sagten die Kantone Neuenburg und Waadt Ja zum Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene. Ein erster Durchbruch! Andere Kantone wie Genf, beide Basel und das Tessin folgten. Als bereits Länder wie Iran, Marokko, Afghanistan, Ecuador und Jemen das Frauenwahlrecht hatten, war die Schweiz noch ohne Frauenstimmrecht. Am 7. Februar 1971 klappte es dann: Zwei Drittel der Männer sagten zwölf Jahre nach dem deutlichen Nein endlich Ja. Bei den Parlamentswahlen im Herbst 1971 zogen dann zwölf Nationalrätinnen und eine Ständerätin ins Bundeshaus ein.


Auch die Erste im Grossen Rat
Da sass die Welsche Claire-Lise Renggli bereits eine halbe Legislatur im Bieler Stadtrat: «Für mich war es immer normal, dass Frauen mitbestimmen können», sagt sie. Als Feministin sah sie sich allerdings nie. Auch während ihren politischen Anfängen hatte sie nie den Eindruck, als Frau missachtet zu werden oder auf Widerstand zu stossen. Im Gegenteil: «Eher habe ich von einem positiven Vorurteil profitiert.» Und damit ist sie weit gekommen:Sie war die erste Frau, die nebenamtlich im Bieler Gemeinderat sass und im Jahr 1974 erklomm Claire-Lise Renggli als erste Bielerin die Kantonsebene und sass bis 1988 im bernischen Grossen Rat. Zu Beginn waren die Frauen im Kantonsparlament eine klare Minderheit. Renggli erzählt, wie sich  die Frauen vor den Sessionen jeweils über die Parteigrenzen hinweg absprachen. «Später spielte die Partei dann aber eine grössere Rolle als das Frausein», sagt die Bielerin.


Rückblickend schätzt sie ihren politischen Einfluss eher bescheiden ein. Dafür habe sie selber von der Politik profitiert. Ihre wichtigste Erkenntnis war schnell einmal klar: «Nie ist etwas nur schwarz oder weiss. Es geht immer um Nuancen.» So habe sie stets versucht, mit Vernunft Politik zu machen und an die Konsequenzen zu denken, sagt sie, die als junge Frau in Genf eine Ausbildung an einer Sozialfachschule begann, das Diplom aber nicht machte, weil sie vorher heiratete. Vierfache Mutter ist sie geworden. Ihr jüngstes Kind ist geistig behindert und verlangte sehr viel Aufmerksamkeit von ihr. Dass sie mit den Kindern oft daheim war, bereut sie nicht:«Es fehlt etwas, wenn man wenig Zeit mit den Kindern verbringt.» Renggli weiss aber auch, dass es meistens die Frauen sind, die ein schlechtes Gewissen haben und sich um die Kinder kümmern, wenn sie krank sind.


Vieles habe sich im Vergleich zu früher verändert: Als sie in die Politik einstieg, seien die Frauen eher etwas abseits gestanden. Fast alle hätten nach einer Heirat ihren Beruf aufgegeben, auch sehr gut ausgebildete Frauen. Heute würden die Frauen selbstverständlich studieren und berufstätig bleiben, wenn sie Kinder bekommen. Eine ihrer Enkelinnen ist Ärztin und Mutter – geschafft habe sie das nur dank der Hilfe ihres Mannes.

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