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Corona-Blog

Die Fenster: Das neue Tor zur Welt

Da, ich habe sie schon geputzt, die Fenster. Bereits vor drei Wochen. Damals, als ich noch zuhause in Isolation leben musste und einen Grund dafür suchte, zumindest meinen Arm und im besten Fall auch meinen Oberkörper ein kleines Bisschen aus meiner Behausung strecken zu können.

Symbolbild Keystone
  • Dossier

Hannah Frei, Redaktorin Region

Seither habe ich den absoluten Durchblick. Und manchmal, manchmal erwische ich mich dabei, wie ich in die tiefsten Abgründe einer parapolizeilichen Einheit abdrifte:

Da sind beispielsweise die Mitarbeiter der nahegelegenen Firma, die gemeinsam draussen Mittagessen, natürlich mit Abstand. Eins, zwei, drei, vier, fünf. Ok. Geht in Ordnung. Und dann gibt es diejenigen, die Händchen halten. Ob sie wohl auch im selben Haushalt leben?

Und da wäre noch dieser Mann. Wohl zwischen 70 und 80 Jahre alt, gross, immer im beigen Altherren-Jackett. Dieser Herr gehört zweifelsohne zu den zielstrebigsten Menschen, die ich je gesehen habe. Und das in seinem doch schon fortgeschrittenen Alter. Wenn er eine Strasse überqueren will, tut er es, egal wo. Das macht er auch bei Kreiseln so: Über die Fahrspur in die Mitte, der begrünten Rundung entlang, über die andere Fahrspur. Er vergeudet seine wertvolle Zeit sicherlich nicht bei einem Umweg über einen Fussgängerstreifen. Er geht einfach los, mit gemütlichem Schritt. Und das macht er regelmässig. Ich habe ihn bestimmt schon 15- mal dabei «erwischt». Aber das kratzt ihn nicht. Auch das Hupen der Autos stört ihn nicht.

Ich staune, und verabschiede mich aus meinem imaginären Parapolizei-Dienst – nicht trotz, sondern dank der Ignoranz dieses Herrn. Er bringt mich zum Schmunzeln, ohne es zu wollen. Ich wüsste gerne, was er sich dabei denkt. Er könnte es mir ja beim nächsten Mal erzählen. Oder er könnte ja auch einmal zu mir hochschauen. Vielleicht würde ich winken, vielleicht auch er. Vielleicht würde sich das komisch anfühlen, vielleicht aber auch schön.

Ich vermisse sie, die soziale Interaktion. Besonders das, was entsteht, wenn man in der Öffentlichkeit auf fremde Menschen trifft. Und da bin ich sicherlich nicht die Einzige. Drum: Wenn ich mich aus dem Haus begebe und an Wohnhäusern vorbeigehe, werfe ich öfters einen Blick durch die Fenster. Und nicht selten sehe ich jemanden, der dahinter sitzt. So wie die ältere Frau gestern Mittag. Wir schauten uns an und winkten uns zu. Und es war nicht komisch, es war schön.

hfrei@bielertagblatt.ch

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