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Bieler Wahlen

Die Frauenförderung hat 
sich für viele Parteien gelohnt

Siegerinnen der Wahlen sind auch die Frauen: Nicht nur, dass sie im Gemeinderat zum ersten Mal in der Überzahl sind. Im Stadtrat sitzt neu auf jedem zweiten Stuhl eine Frau. Allerdings gibt es einen Graben zwischen linken und rechten Parteien.

Copyright: Matthias Käser / Bieler Tagblatt

Deborah Balmer

Die Freisinnige Stadträtin und Rechtsanwältin Cécile Wendling ist eine Exotin. Zumindest, was die Statistik im neu zusammengesetzten Bieler Stadtrat angeht: Denn Wendling ist in ihrer Partei die einzige Frau, die in den Stadtrat gewählt wurde. Von den grösseren Parteien im Parlament hat nur noch die SVP/Die Eidgenossen einen so tiefen Frauenanteil wie die FDP, nämlich 20 Prozent.

«Ich bin froh, konnte ich mich bei den Wählern neben den vier Herren durchsetzen.» Sie wisse, dass ihr auch die Tatsache, dass sie eine Frau sei, Stimmen gebracht habe, sagt Wendling, die aber klar betont, dass sie keine Feministin sei.

 

Auf guten Listenplätzen

Auch wenn es einen Graben zwischen linken und rechten Parteien gibt, gehören die Frauen über den gesamten Stadtrat gesehen zu den Siegerinnen des Wahlsonntags. Während bisher nur jedes dritte Mitglied eine Frau war, ist kommende Legislatur jeder zweite Sitz mit einer Politikerin besetzt. 30 von 60 Stadträtinnen und Stadträten sind nun weiblich. Auch im Gemeinderat sitzen neu zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte drei Frauen, was einem Anteil von 60 Prozent entspricht.

Tatsächlich gibt es laut Statistiken eine Tendenz, die besagt, dass wenn Frauen zur Wahl stehen, auch Frauen gewählt werden. Man kann also sagen: Die aktive Frauenförderung und die Suche nach Kandidatinnen hat sich für die Parteien ausbezahlt. So waren beispielsweise auf den Listen der Grünen, der SP, dem PSR und der Juso die Hälfte der Plätze mit Kandidatinnen besetzt.

Doch nicht nur das. Die Parteien setzten die Frauen auch auf prominente Listenplätze: Bei 8 von 13 Listen, von denen mindestens jemand in den Stadtrat gewählt wurden, erzielte eine Frau das beste Resultat. So bei den Grünen, bei der SP, beim PSR, bei der Passerelle, bei der EVP, bei der GLP, aber auch bei der SVP, wo Sandra Schneider am meisten Stimmen holte.

«Auch die stärkste Kraft für die Gemeinderatswahlen, Bienne Solidaire, setzte zwei neue Kandidatinnen noch vor dem bisherigen Stadtpräsidenten auf die ersten beiden Listenplätze. Beide Frauen wurden dann auch gewählt», sagt Sarah Bütikofer. Die Politologin der Universität Zürich hat am Wahlsonntag die Wahlen für «Telebielingue» live analysiert.

Die Panaschierstatistiken zeigten zudem, dass Frauen an den Bieler Wahlen im Mittel mehr Panaschierstimmen erhielten als Männer, sagt sie. Tatsächlich sind von den zehn Kandidierenden mit den meisten Panaschierstimmen acht Frauen. Auch wenn die beiden neu gewählten Gemeinderätinnen Lena Frank (Grüne) und Glenda Gonzalez Bassi (PSR), die auch für den Stadtrat kandidierten, Panaschierköniginnen sind, was die Angaben etwas verfälscht.

Doch alles in allem haben sich die Bemühungen der Parteien ausbezahlt: Unter den grossen Parteien können die welschen Sozialdemokraten den Rekord für sich verbuchen: fünf von sechs PSR-Volkvertretern sind neu Frauen. Einen Siegeszug verbuchen die Frauen auch bei den Grünen. Dort sind von zehn Stadträtinnen und Stadträten sieben Frauen gewählt worden. In der Passerelle sind zwei von drei Parlamentarierinnen neu Frauen. Bei der EVP beträgt der Frauenanteil sogar 100 Prozent. Allerdings ist die Partei mit einer Sitzzahl von zwei nicht repräsentativ. Genauso wenig wie die CVP, in der mit Mohamed Hamdaoui ein einzelner Mann die Partei vertritt.

Doch ändert sich überhaupt etwas, wenn mehr Frauen in die Politik einziehen? Politologin Sarah Bütikofer sagt: «Die Politik, die jemand betreibt, wird von der Überzeugung und Lebenserfahrung bestimmt, nicht von der Geschlechterzugehörigkeit. Doch je repräsentativer ein Gremium für die Wahlbevölkerung ist, desto mehr Ansichten und Denkweisen werden eingebracht und auch die Art der Kommunikation verändert sich.»

Insofern sei davon auszugehen, dass sich die Politik ändere, wenn Gremien vielfältiger zusammengesetzt seien, das gelte aber nicht nur für den Frauenanteil, sondern auch für andere, eher schlecht repräsentierte Gruppen, sagt sie.

«Denn solange die wenigen Frauen in der Politik von der männlichen Mehrheit als etwas völlig Exotisches wahrgenommen wurden, musste man ihren Meinungen auch nicht das gleiche Gewicht beimessen wie der Meinung der Kollegen.»

Festgefahrene Rituale, die sich in traditionellen «Boys Clubs» in der Politik und anderen Institutionen etabliert haben, haben es laut Bütikofer schwerer, wenn sie von immer mehr Personen infrage gestellt werden.

Manchmal fange es bei kleinen Sachen an: «In der Milizpolitik fanden die Sitzungen von politischen Gremien, vor allem auf lokaler Ebene, traditionellerweise in den frühen Abendstunden statt, doch dieser Zeitpunkt ist familienunfreundlich. Wenn das nur jemanden stört, wird es nicht geändert. Wenn plötzlich die Hälfte der Mitglieder findet, dass die Sitzungszeit ungünstig liegt, sucht man eine andere Lösung.»

 

«Fühlte mich als Vorreiterin»

Eine Frau, die weiss, wie langsam es vorwärtsging mit einer adäquaten Frauenvertretung in der Politik, ist die zurücktretende Barbara Schwickert (Grüne). Sie war erst die dritte Gemeinderätin, die vollamtlich in die Regierung gewählt wurde. Als Vertreterin der Deutschsprachigen war sie sogar die erste. «Bei meiner Wahl habe ich mich schon als Vorreiterin gefühlt», sagt sie. Insbesondere in der Sicherheits- und später der Energiedirektion. Noch heute sei sie oft die einzige oder fast die einzige Frau in den politischen Gremien. «Frauen werden oft eher in sozialen oder Bildungsthemen verortet.»

Schwickert war 2011 auch die erste Frau, die fürs Stadtpräsidium kandidierte. Im Zusammenhang mit der Kandidatur habe damals geklärt werden müssen, wie die Funktion der Stadtpräsidentin in französischer Sprache für Biel überhaupt benannt werden soll: Mairesse oder Madame le Maire.

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