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Biel

Die Idee einer Flaniermeile polarisiert

Die Bahnhofstrasse soll komplett zu einer Fussgänger- und Velozone umfunktioniert werden. So sieht das zumindest eine erste Idee der Stadt Biel vor. Die dort ansässigen Geschäfte und Restaurants bewerten das Vorhaben unterschiedlich.

Wenig attraktiv: Die stark befahrene Bahnhofstrasse lädt nicht zum Verweilen ein. Bild: Susanne Goldschmid
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Manuela Schnyder

Schön ist anders. Die Bieler Bahnhofstrasse besticht nicht gerade durch ihr gepflegtes Erscheinungsbild: Kein Grün, keine Deko vor den Läden und viel Verkehr. Die lärmenden Busse, die fast im Minutentakt durch die Strasse sausen, nerven die Restaurantgäste und gefährden die Fussgänger. Letzteres tun allerdings auch die hohen Bordsteinkanten und die beschädigte Strasse.

«Ich musste schmunzeln, als die Stadt den dringend notwendigen Blindenweg installierte», sagt eine junge Verkäuferin von der Boutique «On y va». Diese Passanten wüssten jetzt zwar, wo sie lang gehen müssten, doch nicht nur sie stolperten dann über die fehlenden Betonteile oder Bodenwellen in der Strasse. «Eigentlich ist es gar nicht lustig.»

Sie stört sich vor allem an den wartenden Menschen an der Bushaltestelle: «Sie stehen direkt vor meinem Schaufenster und versperren den Eingang.» So könnten ihre Kunden den ohnehin schon kleinen Laden nicht finden oder entdecken. Einige lehnten sich auch an die Scheibe, die deswegen schnell dreckig sei und nicht mehr gut in der Vorrichtung sitze. Auch sollte ein schönes Tischchen mit einem Blumentopf den Eingang zieren. Die Pflanze habe wegen der Zigarettenstummel nicht mal zwei Wochen überlebt.

«Ich würde eine Flanierzone ohne motorisierten Verkehr sehr begrüssen», sagt sie nicht nur deshalb. Diese würde die Strasse ungemein aufwerten. Man könnte sie ebnen und etwa mit Bäumen oder Blumen aufhübschen. Sie wünschte sich auch mehr Boutiquen und schöne Läden und nicht Ketten. Einige Lokale stünden immer wieder leer, weil sie wegen des Onlinehandels nicht rentierten. Zum Beispiel gleich auf der anderen Strassenseite, dort sei Mobilezone auch schon wieder weg.


Schöneres Stadtbild
Auch eine Verantwortliche eines an der Bahnhofstrasse situierten Fachhandelsgeschäfts (Name der Redaktion bekannt) würde sich über eine Flaniermeile freuen. So könnten zum Beispiel ein Weihnachtsmarkt und andere Happenings die Strasse wieder beleben. Es gehe nämlich darum, die gesamte Strasse inklusive Bahnhofplatz zu aktivieren. Heute seien die Leute zum Verweilen in der Nidaugasse «und nicht bei uns». Eine autofreie Zone alleine genüge zwar nicht, würde aber sicherlich die Basis schaffen, um die Strasse attraktiver zu gestalten.

Zum Beispiel wäre so eine schöne Weihnachtsbeleuchtung, die wegen der Stromleitungen für die Busse nicht mehr aufgehängt werde, wieder möglich. Zudem hätten die Geschäfte auch in Sachen Dekoration mehr Freiraum. Heute müsse man wegen der Verkehrsteilnehmer auf bewegte Bilder oder Lichter verzichten: «Unser Weihnachtsbaum steht deshalb drinnen.» Zu den Befürwortern gehören mitunter Restaurantbesitzer, wenn auch nicht alle. Chef Eric Rouchon des Restaurants Rotonde beispielsweise unterstützt die Idee ganz klar. Dann könnte er die Terrasse vergrössern «und die Gäste geniessen ihre Drinks in angenehmer Atmosphäre, ganz ohne lärmenden Verkehr». Er glaube nicht, dass die fehlende Busanbindung weniger Leute in die Strasse bringe.

Der Chef des «Cordon Bleu House» sieht das ähnlich. Ihm geht es aber nicht nur um den Lärm. Weil der Fussgängerbereich so eng sei, sitzten die Gäste nah an der Strasse. Dies sei überaus gefährlich, vor allem für die Kinder. Denn die Busse würden schnell und nur mit wenig Abstand an den Tischen vorbeifahren: «Da kann leicht etwas passieren.»


Schwierige Ausgangslage
Doch nicht alle können dem Vorschlag einer Flanierzone Positives abgewinnen. Gerade ältere Menschen seien auf die Busanbindung und den Taxidienst angewiesen, meint eine Angestellte des Restaurants Falken: «Bei uns treffen sich viele Seniorinnen und Senioren zu einem Café.» Ohne den öffentlichen Verkehr oder Taxis seien sie nicht oder nur mit viel Mühe in der Lage, zum Restaurant zu gelangen. Eine Apothekerin kann diesem Argument nur beipflichten. Für weniger mobile Menschen sei eine autofreie Strasse nicht wünschenswert.

Das gilt auch für Leute mit viel Gepäck. «Für uns wäre das gar nichts Gutes», sagt etwa eine Angestellte des Hotels Elite. Man habe keine hauseigenen Parkplätze und die öffentlichen seien sonst schon sehr rar. Ohne Haltemöglichkeit für Autos müssten die Gäste ihr Gepäck etwa vom Bahnhof-Parking mühsam zum Hotel schleppen. Zudem sei es nicht der Verkehr, der Lärm verursache, sondern es seien die Fussgänger, erklärt sie. Vor allem nachts und an den Wochenenden seien sie in den Strassen sehr laut, vielfach angetrunken.

Eine Flaniermeile würde dies nur noch verschlimmern, meint der Restaurantverantwortliche Jawad Echamouti vom Restaurant L’Osteria gleich nebenan. Er beurteilt die Idee einer autofreien Strasse aber nicht nur aus Sicht seines Gastlokals.


Wo fahren die Busse durch?
«Wo sollen denn die privaten Autofahrer, die Lieferanten und die Busse durchfahren?», fragt er. Richtung Zentralplatz sei ja schon alles autofrei. Wenn die Bahnhofstrasse gänzlich zur verkehrsfreien Zone würde, dann müsste der Verkehr auf die kleinen und engen Strassen rundherum ausweichen. «Ich glaube nicht, dass das machbar ist», meint er. Mit dieser Ansicht ist er nicht allein. Die Idee sei schön, aber er habe sich gefragt, wie denn das Busnetz angepasst werde, sagt ein weiterer Ladenverantwortlicher, der aus geschäftspolitischen Gründen nicht genannt werden will.

«Das Problem für uns als Laden ist nicht der Verkehr, sondern es sind die fehlenden Parkplätze», sagt derweil eine Angestellte der Nespresso-Boutique. Entweder kämen die Gäste wegen den fehlenden Parkmöglichkeiten gar nicht erst in die Bieler Filiale oder sie könnten nicht für einen Kaffee verweilen, weil sonst die Parkuhr ablaufe. Sie glaube nicht, dass eine verkehrsfreie Zone den Verkauf ankurbeln würde, eben im Gegenteil. Weil das Parkieren so schwierig sei, könnten die Leute immerhin auf die Busse ausweichen.

Die Tchibo-Filiale beim Zentralplatz profitiert ebenfalls von der Busanbindung. «Wir hätten bestimmt weniger Besucher, wenn die Bushaltestelle nicht gleich hier wäre», sagt eine Mitarbeiterin.


Mehr Qualität gewünscht
In Sachen verkehrsfreie Bahnhofstrasse ist zwar noch nichts entschieden, es gibt auch noch kein konkretes Projekt. Doch die Bahnhofstrasse liegt im Perimeter des Projekts Innenstadtattraktivierung des Bieler Gemeinderats und wurde von der Interessengemeinschaft Innenstadt immer wieder diskutiert. Laut Thomas Gfeller, dem Delegierten für Wirtschaft der Stadt, wird deshalb derzeit auch für diesen Teil der Stadt untersucht, ob mit verkehrlichen oder anderen Anpassungen des öffentlichen Raums eine Attraktivierung realisiert werden kann. Nicht zuletzt, um vermehrt auch Qualitätsläden anzuziehen (das BT berichtete).

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