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Bieler Wahlen

"Die Inneneinrichtung vergessen"

Die GLP-Stadträtin Sandra Gurtner-Oesch will im September den Sprung in die Bieler Regierung schaffen. Sandra Gurtner-Oesch sagt, dass dem Gemeinderat heute die Detailversessenheit fehle, weshalb Biel nüchtern und nackt daherkomme.

Sandra Gurtner-Oesch. copyright:matthiaskäser/bielertagblatt
  • Dossier

Interview: Lino Schaeren
Sandra Gurtner-Oesch, ist Biel auf gutem Wege?
Sandra Gurtner-Oesch: Für mich als Bürgerin ist Biel gut unterwegs. Es gibt natürlich einige Dinge, die man hinterfragen muss. Was mich am meisten betrübt, ist unsere finanzielle Lage. Als politisch aktive Bielerin ist es für mich schwierig, Wünsche anzubringen, da rasch die Frage nach der Finanzierung gestellt wird. Der Gestaltungsspielraum ist in Biel derzeit stark begrenzt.
Wie konnte es soweit kommen?
Man hat den Fokus nicht darauf gelegt. Es ist auch heute noch nicht allen bewusst, dass man den Gürtel enger schnallen muss. Biel hat 700 Millionen Franken Schulden. Klar gibt es Gegenwerte, doch das Verwaltungsvermögen werden wir nicht verkaufen können. Es braucht eine Schuldenbremse, entsprechende Anstrengungen werden geleistet. Wie diese gestaltet wird, lasse ich offen. Nebst den Schulden gibt es auch noch einen Investitionsstau.
Wie erreicht Biel mehr finanziellen Spielraum?
Das Wichtigste ist, dass endlich versucht wird, die Verschuldung zu stoppen. Wir tragen Jahr für Jahr mit unausgeglichenen Budgets weiter zur Verschuldung bei. Das ist im Bewusstsein der Bielerinnen und Bieler noch nicht angekommen.
Die Bevölkerung hat im vergangenen Frühjahr einer Steuererhöhung zugestimmt.
Richtig. Sie ging aber auch auf die Strasse, um mitzuteilen, dass man nicht auf Ausgaben verzichten will. Ein Teil der Bevölkerung ist sich bewusst, was ein strukturelles Defizit bedeutet, doch das gilt längst nicht für alle. Sogar Kulturdirektor Cédric Némitz zieht mitten in der Haushaltssanierung Sparvorschläge zurück und verhindert dadurch, dass sich zwei grosse Institutionen an der Sanierung beteiligen. Subventionskürzungen schmerzen. Doch es schmerzt auch die Eltern, wenn sie hören, dass die Klasse ihres Kindes vergrössert wird. Es schmerzt die Bewohner von Aussenquartieren, wenn weniger geputzt wird. Die Opfersymmetrie muss spielen, und diese ist derzeit nicht hergestellt.
Der Stadtrat hat dem Gemeinderat nach dem Rückzug der Vorschläge den Sparauftrag mittels Motion gegeben, was die beiden grossen Institutionen NMB und Tobs betrifft.
Korrigiert ist damit nichts, Ende Juni hat der Kulturdirektor kommuniziert, dass der Sparauftrag erst auf 2020 umsetzbar sein wird. Es wird hinausgezögert, und solange das so ist, kann man keine weiteren Massnahmen ergreifen. Wieso sollen andere jetzt sparen, wenn die Grossen auch nicht müssen? Das ist nicht vertretbar. Solange die Opfersymmetrie nicht hergestellt ist, wird es schwierig, das strukturelle Defizit weiter zu bekämpfen.
Biel hat ein Problem bei den Steuereinnahmen der natürlichen Personen.
Das hat mit der Attraktivität Biels zu tun. Leider sind in der laufenden Legislatur einige Projekte gescheitert, die zur Attraktivität der Stadt beigetragen hätten.
Welche?
Die Neugestaltungen des Bahnhofs- und des Neumarktplatzes, die ich befürwortet habe. Es ist offensichtlich, dass sich der Gemeinderat in dieser Legislatur stark auf sich selber konzentrieren musste. Darauf, dass man als Team funktioniert und sich wie eine kollegiale Behörde verhält. Die Regierung hatte den Fokus zuwenig auf diese Geschäfte gelegt. Beispiel Neumarktplatz: Ein besseres und günstigeres Geschäft werden wir nicht erhalten. Und die Strassensanierungen rund um den Platz werden wir trotzdem durchführen müssen. Nur dass wir dann noch keinen neuen Platz haben. Der Gemeinderat hat es verpasst, sich sichtbarer für das Projekt stark zumachen.
Wie würden Sie die Stadt als Regierungsvertreterin attraktiver machen?
In den vergangenen Jahren gab es Mega-Projekte, die man unbedingt durchbringen wollte – und dies auch geschafft hat. Ich spreche etwa von der Tissot Arena oder von der Expo.02, die zuvor alles dominiert hatte. Was mir fehlt: Unsere Stadt wird nicht eingerichtet. Man hat zwar tolle Bauprojekte, doch die Detailversessenheit fehlt. Das sieht man etwa beim Joran-Platz oder bei der kürzlich eingeweihten Esplanade Kongresshaus. Biel ist nüchtern. Biel ist nackt.
Wie meinen Sie das?
Mir kommt es so vor, als würde man eine hervorragende Infrastruktur erstellen und dann die Inneneinrichtung vergessen. Der Joran-Platz wird von der Bevölkerung nicht angenommen. Es fehlenSchattenplätze. Die Esplanade ist hübsch mit den künstlichen Pfützen, doch es fehlt das grüne Element. Die letzten fünf Prozent fehlen oft. Das würde ich gerne anders machen. Zudem bin ich überzeugt, dass wir bei der Bildung Gas geben müssen, um den Mittelstand halten zu können. Ausserfamiliäre Betreuungsstrukturen sind enorm wichtig. Kundenfreundlichkeit ist das Stichwort. Und die Kunden sind all jene, die in Biel wohnen. Sie sollen im Zentrum der Aktivitäten stehen.
Die Sozialhilfequote ist in Biel nach wie vor hoch. Der Gemeinderat hat Massnahmen ergriffen, etwa 14 neue Vollzeitstellen auf der Abteilung Soziales geschaffen. Stimmt die Richtung?
Sozialhilfebezüger sollen nicht nach Biel kommen, weil unsere Stadt für sie besonders attraktiv ist. Die Leistungen auf das Niveau der umliegenden Gemeinden zu bringen, ist also ein guter Schritt, die Massnahmen, die Sozialdirektor Beat Feurer präsentiert hat, sind richtig. Sie kommen aber spät. Es ist ein Fakt, dass man sich in einem solchen Amt zuerst einleben muss und dann gab es auch noch die Administrativuntersuchung auf seiner Direktion. Doch nach den Versprechungen von vor vier Jahren durfte man mehr erwarten. Es gilt Anreize zu schaffen, damit einer, der von der Sozialhilfe abhängig wird, den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt schnell schafft. Und da dürfte der Sozialdirektor noch kreativer werden.
Wie würden Sie denn Ihre Kreativität ausleben?
Es gibt bekannte Modelle, teils auch aus dem Ausland, die interessant sind. Ich denke da etwa an Mini-Jobs, an Praktikums bei regionalen KMU.
Sie wollen die Privatwirtschaft miteinbinden, so, wie es die Stadt Nidau kürzlich angekündigt hat.
Genau. Diese Idee finde ich spannend. Man erhält die Chance, sich zu beweisen. Grundsätzlich gilt: Wir müssen dafür sorgen, dass die Sozialhilfe ein kompetentes Instrument bleibt. Die Sozialhilfe hat heute ein furchtbares Image. Doch wir haben die Sozialhilfe, weil wir für jene, die in Not geraten, da sein wollen. Sie sollen in ein Netz fallen. Es ist unsere politische Verpflichtung, dass das funktioniert.
Sie befürworten den Entscheid des Gemeinderats, die Obergrenze der Mietzinslimiten für die Bezüger anzupassen.
Wir tragen dies mit, obwohl es eine schmerzhafte Entscheidung ist. Wir haben ein tiefes Mietzinsniveau in Biel, es ist verantwortbar.
Der Verein Seeland.biel/bienne arbeitet an einer einheitlichen Lösung für die Region, ist Biel mit der Senkung der Limiten vorgeprescht?
Alles, was mit den umliegenden Gemeinden in Einklang geht, ist sicher zu bevorzugen. Wir gehen davon aus, dass das Vorpreschen mit Wiederwahlbemühungen zu tun haben muss.
Sie sind in der Stadt oft mit dem Velo unterwegs. Wurde in Biel bislang zu wenig für den Langsamverkehr getan?
Ich denke schon. Biel hat kontinuierlich an einer Förderung des Langsamverkehrs gearbeitet, das finde ich super. Aber man sollte sich nicht darauf ausruhen. Klar ist aber, dass die Förderung des Langsamverkehrs derzeit nicht Priorität hat. Das ist, wie wenn sich ein Kind vor Weihnachten etwas wünscht, das für die Eltern nicht bezahlbar ist. Fördermassnahmen wären wünschenswert, müssen aber vorerst hinten anstehen.

 

Zur Person

  • Geboren 1972
  • Verheiratet, Mutter von zwei Kindern
  • Geschäftsführerin des Vereins profawo Bern
  • Partei: Grünliberale
  • Gemeinderatsliste: Bieler Liberale
  • Im Bieler Stadtrat seit Januar 2013; Mitglied der Geschäftsprüfungs- und der PPP-Komission
  • Präsidentin der Grünliberalen Partei Kanton Bern
  • Verwaltungsratsmitglied der ARA Region Biel AG lsg

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