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Biel

Die Mädchen-Pfadi ist Geschichte

Seit einigen Jahren ist es um die Bieler Pfadi Rakataiana still geworden. Nun löst sich die Mädchenpfadi auf. Der Grund: Zu wenig Nachwuchs. Ein wehmütiger Blick zurück.

Die scheidenden Rakataianerinnen Corina Landert «Pepsi», Zoe Landert «Kassiopeia» und Fabienne Schleiss «Kiwi». Bilder: Raphael Schaefer

Sarah Zurbuchen

«Es tut schon ein wenig weh», sagt Zoe Landert. Die 29-jährige Bielerin ist eingefleischte Rakataiana-Pfadfinderin. Gut 15 Jahre lang besuchte sie die Pfadianlässe an den Samstagen, freute sich auf die Aktivitäten und Lager, wurde schliesslich Leiterin und engagierte sich mit Herzblut für die einzige Mädchenpfadi in Biel. «Ich habe so viele schöne Erinnerungen, die ich mit dieser Pfadi verbinde.» Doch jetzt steht die Abteilung kurz vor der Auflösung.

Bereits vor rund fünf Jahren fiel Rakataiana in eine Art Winterschlaf, von dem sich die Pfadi nicht mehr erholte. Unzählige Sitzungen und Brainstormings hatten die Entwicklung nicht aufhalten können: Immer weniger Mädchen rückten nach. Die schwindenden Mitgliederzahlen erschwerten die Ausbildung geeigneter Leiterinnen. Die Arbeit und die Verantwortung konnte auf immer weniger Personen aufgeteilt werden. Dies führte regelmässig zu Diskussionen zwischen der Abteilungsleiterin, den Leiterinnen und dem Elternrat.

Wie bei vielen anderen Vereinen fehlte es an Nachwuchs, und wie bei vielen anderen auch waren die Ursachen dafür nicht eindeutig. Zoe Landert vermutet, dass es verschiedene Gründe gibt: «Der Nachteil einer reinen Mädchenpfadi ist, dass Brüder, falls vorhanden, eine andere Pfadi besuchen müssen.» So rutschen einerseits keine männlichen Geschwister nach wie in anderen Abteilungen, oder die Kinder besuchen von vornherein eine gemischte Pfadi. Das sei auch für die Eltern einfacher.

Beim Leiterinnenmangel sieht sie die Ursache darin, dass viele zwischen 16 und 18 eine Ausbildung beginnen beziehungsweise in die Berufswelt einsteigen. «Ausserdem ist es heute nicht einfach, als Jugendverein neben dem vielfältigen Freizeitangebot zu bestehen», so die Primarschullehrerin. Und auch selbstkritische Töne sind zu hören. «Vielleicht haben wir den Nachwuchs zu wenig gut betreut.»


Lernen, sich durchzusetzen
Mitglied einer reinen Mädchenpfadi zu sein, hat Zoe Landert immer viel Spass gemacht. «Es herrscht eine andere Dynamik als in einer gemischten Abteilung: Die Mädchen sind mutiger, sie getrauen sich rascher, Verantwortung zu übernehmen.» Derselben Meinung ist auch die 91-jährige Bielerin Annemarie Geissbühler, eine Ur-Rakataianerin und Mitglied des Altpfadfinderinnen- und Heimvereins: «In der Frauenpfadi lernen die Mädchen, sich durchzusetzen und für etwas einzustehen. Das sorgt für Selbstbewusstsein und bringt wichtige Erfolgserlebnisse.» Sie habe die Erfahrung gemacht, dass Mädchen in gemischten Pfadis gerne überfahren werden. «Sie nehmen sich selbst zurück und überlassen den Buben den Platz.»

Beide Frauen verbinden mit der Pfadi Rakataiana schöne und bleibende Erinnerungen. Zoe Landert hat folgende Anekdote auf Lager: Vor einem Pfingstlager versammeln sich die Rakataianerinnen auf dem Bieler Bahnhofplatz. Die Rucksäcke werden zu einem Berg gestapelt. Zuoberst legen die Leiterinnen einen gelben, präparierten Rucksack hin. Der Plan: «Ein Dieb» mit Motorradhelm wird sich den Rucksack vor aller Augen schnappen und damit davonrennen (in der Pfadi ist es Usus, dass sich gerne mal überraschende Dinge ereignen). Dummerweise hat ein Mädchen genau denselben Rucksack und schreit: «Mein Rucksack wird gestohlen!» Worauf ein ahnungsloser Passant mit vollem Einsatz und den davonrennenden «Dieb» (notabene die Mutter von Zoe Landert) anrempelt, ihm den Rucksack entreisst und den Pfadis wieder aushändigt.

Und Annemarie Geissbühler erinnert sich an einen Ballonwettbewerb: Manche Ballons flogen nur ein paar Kilometer weit, andere überquerten gar mehrere Landesgrenzen. So wurde ein Rakataiana-Ballon gegen Ende der 1970-er Jahre im russisch besetzten Polen wiedergefunden.


Glücksfischen und Bücherstand
Mit ihren Aktionen und Ständen machte sich die Pfadi Rakataiana einen Namen. Organisiert wurden da etwa eine Crêperie, Glücksfischen, Theater, Kasperlitheater sowie Wettbewerbe. Bereits vor der Existenz des Flohmarktes in der Altstadt organisierte die Pfadiabteilung jeweils einen Flohmarkt oder eine Beiz in einem Innenhof an der Schmiedengasse. Auch der umfangreiche Bücherstand war jahrelang eine Hauptattraktion. «Noch heute melden sich Leute, die uns fragen, ob wir noch Bücher annehmen, um sie zu verkaufen», sagt Zoe Landert.

Und wie sehen die beiden Frauen die Pfadizukunft? Annemarie Geissbühler hat die Hoffnung auf eine Mädchenpfadi noch nicht ganz aufgegeben: «Vielleicht entsteht plötzlich wieder das Bedürfnis, und sonst ist es halt der Lauf der Zeit», sagt die bekennende Feministin mit einem bedauernden Unterton.
Auch Zoe Landert ist über die Entwicklung nicht glücklich. Wird sie einer anderen Pfadi beitreten? «Nein», sagt sie. «Mein Herz schlägt für Rakataiana.»


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Wie weiter?

- Die aktiven Mitglieder der Pfadi Rakataiana wurden bereits vor einigen Jahren in die Pfadi Orion integriert. Die Leiterinnen übernahmen die Wölfe, die Mädchen wurden mehrheitlich in den Stamm Chasseral integriert, wo sie das eigene Fähnli Rakataiana gründeten.

- Das Pfadihaus am Paul-Robert-Weg 5 (sogenanntes Bill-Haus) wird vom eigenständigen Altpfadfinderinnen- und Heimverein weitergeführt und diversen Pfadfinderabteilungen, Gruppen und Organisationen zur Nutzung zur Verfügung gestellt. sz



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1933 gegründet
1933 wurde die Abteilung mit dem Namen «Pfadfinderinnen Biel» gegründet. Die Abteilung teilte sich in eine deutschsprachige und in eine französischsprachige Gruppe. Bei der Gründung der Pfadfinderinnen Biel entstand je ein Trupp pro Gruppe. Weil die Zahl der Mitglieder fortlaufend stieg, gründeten sie einige Jahre später je einen zusätzlichen Stamm. Im Laufe der Zeit lebten sich aber die beiden Gruppen auseinander und hatten danach kaum mehr etwas miteinander zu tun. Im Jahr 1983 trennten sie sich. Nach der Trennung entschied sich die deutschsprachige Abteilung für einen neuen Namen. Rakataiana besteht aus drei Teilen: Rak von der 1. Stufe Rakazia, atai vom Trupp Ataïr und ana vom Trupp Diana. In den 80-er Jahren kam es zu einem grossen Mitgliederschwund, der zur Auflösung der französischsprachigen Gruppe führte. sz

Quelle: «Die Pfadiabteilung Rakataiana», Maturaarbeit von Zoe Landert, 2008.

Stichwörter: Pfadi, Rakataiana, Nachwuchs, Biel

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