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Lockerungen

Die Massen blieben daheim – wenigstens am Morgen

Es schien den Leuten egal, dass Restaurants und Geschäfte wieder geöffnet haben: In den Morgenstunden war kaum ein Mensch auf der Strasse in Biel und Aarberg. Doch mit dem Nachmittag kamen die Schlangen vor den Geschäften.

Mitarbeiter mit Mundschutz: Vor den Ladentüren kontrollieren Angestellte. Bild: Matthias Käser

Rachel Hämmerli

Unerwartet wenige Menschen schlendern durch die Einkaufsmeile in Biel – nur der Regen strömt am ersten Tag der wiedergewonnenen Freiheit. Restaurants und Geschäfte laden wieder ein, doch die Verkäuferinnen blicken mit Sonnengesicht in den menschenleeren Regen. Ab und an tuckern Rentner und gehende Regenschirme vorbei. Bei diesem Hundewetter flüchten die Menschen doch in Restaurants. Wenigstens dort müssten sie die neuen Privilegien auskosten. Aber nein. Im Restaurant L’Arcade, dem Mittelpunkt der Einkaufsmeile, läuft es mau. Von 8 bis 9 Uhr ging nur ein Kaffee über die Theke, erzählt Ron Fischer. «Dass es so schlecht läuft, hätte ich nicht gedacht», sagt der Geschäftsführer. Den ganzen Morgen habe er zirka 90 Prozent weniger Gäste gehabt als normal. Wenn es so weitergeht, werde er früher schliessen.

Zweiter Versuch bei einem anderen beliebten Treffpunkt. Das «Chez Rüfi» darf die Bieler Gesellschaft wieder zu Tisch bitten – leider ohne die gewohnten Annehmlichkeiten. Eine grosse Auswahl an Zeitungen und Zeitschriften liegt sonst im Kaffeehaus auf, was wegen der Hygienevorschriften momentan untersagt ist. Schutz vor jenen, die fürs Umblättern den spuckefeuchten Daumen benutzen. Dass keine Zeitungen aufliegen, sei mitunter ein Grund, weshalb die Sandwiches in der Vitrine noch lückenlos aufgereiht sind. «Es läuft verhalten», beschreibt Christoph Rüfenacht den Start. Immerhin einige Stammgäste kamen. Für ein Resümee sei es aber noch zu früh, schliesslich sei Montag und das Wetter schlecht.

Keine Kostverächter
Regen und Montag sind keine Erfolgsrezepte für Geschäfte. Viele arbeiten morgens, oder überhaupt seit Langem wieder – jetzt wo die Kinder zurück zur Schule dürfen. Trotzdem: Nach knapp zwei Monaten haben Menschen Bedürfnisse. Niemand, der die neue Freiheit wenigstens probiert? Doch! Beim Manor standen vor Ladenöffnung um 8.30 Uhr gut 30 Menschen vor dem Warenhaus, erzählt Direktorin Irma Cattilaz Carlehoeg. Mit 30 Prozent Rabatt auf alle Eigenmarken sowie weiteren Vergünstigungen auf Kinderspielzeug versucht Manor, die Kunden anzulocken. Rote Luftballons vor der Eingangstür tun das Übrige.

Das Geschäft läuft «deutlich mehr als sonst», sagt die Direktorin. «Immerhin war gut zwei Monate geschlossen.» Sie steht am Eingang des Manors und versucht jeden Kunden mit einem Nicken willkommen zu heissen. So oft wie die Direktorin nickt, tun einem die regungslosen Gesichter der Verkäuferinnen in der Nidaugasse fast leid. Kein Tropf verirrt sich in ein Fachgeschäft an diesem besonderen Montagmorgen. Die es doch tun, fahren nach eigenen Angaben gleich wieder nach Hause. Eine Passantin sagt, es reize sie nicht, Kleider für den Sommer zu kaufen, Ferien seien dieses Jahr eh abgesagt.

Ein kurzer Abstecher in die Innenstadt von Aarberg offenbart das gleiche Bild. Kurz vor Mittag ist der grosszügige Parkplatz im Stedtli leer. Christoph Müller begrüsst gerade die ersten beiden Gäste im Restaurant und Hotel Krone. Normalerweise hätte das Restaurant schon um 7 Uhr offen, auch am Wochenende werden die Öffnungszeiten jetzt verkürzt sein. «Es macht keinen Sinn, wenn die Mitarbeiter herumstehen», sagt Müller. «Ganz gemütlich» will er starten – erst einmal schauen, wie es läuft. «Je nachdem erweitern wir die Öffnungszeiten wieder», so Müller.

Die Wende folgt
Dann, sowie sich das Wetter beruhigt, entdecken die Menschen ihre neuen Freiheiten. Man sieht sie doch noch – die Menschenschlangen vor den Geschäften in Biel. Zuerst nur vor dem Modegeschäft C&A, dann aber sammeln sich die Menschen in Zehnerreihen vor dem Drogeriemarkt Müller, dem Nespresso, dem Salt und dem Kinderfachgeschäft Orchestra. In der Einkaufsmeile wird es plötzlich eng. Die angesprochenen Fussgängerinnen und Fussgänger schwören allesamt, sie seien nur für dringende Besorgungen gekommen und gingen gleich wieder nach Hause.

Aziz Kwazin ist im fünften Monat schwanger und kauft sich Umstandsmode. Darauf habe sie zwei Monate warten müssen. Eine andere Passantin präsentiert einen Controller für die Playstation. Es sei ein Geburtstagsgeschenk, der Kauf könne deshalb nicht warten. «Ich gehe aber gleich wieder nach Hause, hier sind mir zu viele Leute», sagt Sandra Bachmann. Was eine dringende Besorgung ist, legt jeder ein bisschen anders aus. Ein junger Mann trägt die Einkaufstasche eines Modeladens mit sich. Shivan Ame ist «megafroh», dass die Modeläden wieder geöffnet sind. «Ich arbeite als Coiffeur – da kann ich nicht immer die gleichen Kleider tragen», sagt der junge Bieler.

Auch in Aarberg ging die Sonne auf. Als «guter Start» bewertet Florian Adam den heutigen Tag im familieneigenen Hauswarengeschäft Adam. Es lief mehr als an einem gewöhnlichen Montag, sagt er – «trotz des Wetters». Auch Marianne Kocher vom Modegeschäft Kocher kann sich nicht beklagen. «Aarberg ist ein Schönwetterort», sagt die Inhaberin. Trotzdem seinen laufend Kunden gekommen. Weniger gut vergeht der Tag für Christoph Müller vom Restaurant und Hotel Krone. Nach den beiden Gästen am Vormittag sind nur noch fünf weitere zum Mittagessen gekommen. Müller nimmt es gelassen. Am Sonntag sei das Wetter schön und die Leute haben frei, «dann haben wir sicher volles Haus», sagt er. Ein Montag sei eben ein Montag.

Stichwörter: Biel, Lockdown, Stadt, Geschäfte

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