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Katastrophenhilfe

«Die Menschen wirkten wie betäubt»

Der Bieler Arzt Manuel Bobrich ist vergangene Woche als Helfer in die deutsche Katastrophenregion gereist. 
Er traf auf traumatisierte Menschen und sah Bilder grosser Zerstörung.

Manuel Bobrich (rechts) und sein Team gönnen sich eine kurze Pause von den Rettungsarbeiten. Bild: zvg/Humedica

Roman Bertschi

Normalerweise arbeitet Manuel Bobrich als Oberarzt für Anästhesiologie und Schmerzmedizin im Spitalzentrum Biel. Doch letzte Woche tauschte er seinen Arztkittel gegen die Kluft eines Katastrophenhelfers und reiste in die Gebiete in Deutschland, die das Unwetter verwüstet hat. In Bad Neuenahr-Ahrweiler, südlich von Bonn, stand Bobrichs Team letzte Woche für die Opfer im Einsatz. Koordiniert wurde der Einsatz von der deutschen Hilfsorganisation Humedica. Sie betreut weltweit medizinische Katastropheneinsätze.

Bobrich leistete bereits Hilfe in griechischen Flüchtlingslagern oder entlang von Flüchtlingsrouten in Serbien. Doch der Einsatz in Deutschland sei trotzdem ungewöhnlich. «Es hat ausgesehen, wie in einem Katastrophengebiet irgendwo auf der Welt. Solche Bilder ist man sich von Deutschland nicht gewohnt», sagt Bobrich.

Riesige Schutthaufen

Das Einsatzgebiet von Bobrichs Team liegt in einer Talsohle, an dessen Flanken prägen Reben das Landschaftsbild. In der Talsohle hat die Ahr Strassen, Autos und Häuser weggerissen. Überall hat es riesige Schutthaufen. Naturgewalten hatten gewütet. Solche Zerstörung, so stellt man sich vor, hätte auch ein Krieg anrichten können. Bobrich erzählt von einem Anwohner, der den Hergang des Unglücks beschrieb. Der Fluss sei rasch und stark angestiegen, mitten in der Nacht. Der Anwohner sei um 23 Uhr aufgewacht. Als er aus dem Bett gestiegen sei, stand er bereits knöcheltief im Wasser.

Die Organisation Humedica wurde von der örtlichen Feuerwehr für einen Einsatz angefragt. Der Auftrag war, die Häuser auf Menschen abzusuchen, die sich nicht selber retten konnten, vor allem Alte und Kranke. Humedica war aber längst nicht die einzige Organisation vor Ort. Ebenfalls präsent war unter anderen das Rote Kreuz. Das erschwerte es gemäss Bobrich für die Leitstellen, die Teams am richtigen Ort einzusetzen. Sein Team sei deshalb mehrmals verschoben worden. Doch auch an den neuen Einsatzgebieten fanden sich nicht mehr viele Einwohner in den Häusern, die meisten waren bereits evakuiert. Im Anschluss daran versorgte Bobrich die Feuerwehrleute und Einsatzkräfte medizinisch und half bei den Aufräumarbeiten. Da vor Ort kein Handlungsbedarf mehr bestand, beschloss das Team am Freitagabend, wieder zurückzukehren und Platz für andere Helferinnen und Helfer zu machen.

In Bobrich hallt der Einsatz nach, das ist spürbar, wenn man mit ihm spricht. Er traf Menschen an, denen das Geschehene noch gar nicht wirklich ins Bewusstsein gedrungen war. Der Arzt beschreibt, wie die Leute mechanisch ihre übrig gebliebenen Habseligkeiten einpackten und dabei wie betäubt wirkten. Das kann er nachvollziehen: «Der Mensch ist auf das Überleben ausgerichtet, der Schock und die Gewissheit, was geschehen ist, tritt meistens erst nach ungefähr zwei Wochen ein.» Bei Noteinsätzen gehe es darum, die Leute zu beruhigen und präsent zu sein. «So kann man mit wenigen Ressourcen viel bewirken», weiss er.

Katastrophentourismus vermeiden

Im Einsatz waren aber nicht nur Hilfsorganisationen. Angepackt haben auch viele Freiwillige, die mit einer Schaufel und einfachem Gerät angereist sind. Auch wenn dies eine gut gemeinte Geste ist, werde dieser «Katastrophentourismus» von den Behörden skeptisch betrachtet, sagt Sebastian Zausch von der Humedica. Den Behörden sei wichtig, dass die Hilfe koordiniert bei den Opfern ankomme. Denn Einzelpersonen könnten das Risiko für sich und andere oft nur ungenügend einschätzen, so Zausch.

Humedica bleibt weiterhin im deutschen Katastrophengebiet aktiv. Die Organisation tauscht sich laut Zausch weiter mit den zuständigen Stellen aus und entsendet bei Bedarf Teams. Zudem stellte die Nothilfeorganisation einen Hilfskonvoi zusammen, der Stromgeneratoren, Pumpen und ähnliche Güter in die Region bringt.

Bobrich und sein Team hoffen nun auf gutes Wetter für die Unwetterregionen. «Es wäre schön, wenn sich die Menschen und die betroffenen Gebiete jetzt gut erholen können», sagt der Bieler Arzt.

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