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Biel

Die mysteriöse Reise 
des roten «R»

Ende 2017 beschädigte ein Sturm die «Campari»-Lichtreklame am Zentralplatz. Danach fehlte der Buchstabe «R». Später tauchte der Buchstabe in Tramelan auf.

Die Campari-Reklame ist wieder vollständig – aber nicht ganz original. Bild: Franziska Wildhaber / zvg

Marjorie Spart/pl

Eigentlich eine banale Geschichte: Eine historische Lichtreklame wird vom Wind beschädigt und danach repariert. Aber bis heute zeugt ein Detail von einer mysteriösen Odyssee: Der Buchstabe «R» der «Campari»-Lichtreklame über dem Zentralplatz ist nicht mehr original.

«Ich habe den ursprünglichen Buchstaben in der Brockenstube von Regenove, einer sozialen Einrichtung in Tramelan, entdeckt», sagt Giuseppe Mercato. Dem früheren Einwohner Biels war das fehlende Schriftzeichen in der «Campari»-Reklame aufgefallen. Nachdem die Leuchtreklame repariert war, stellte er fest: Das neue «R» ist leicht anders als das Original aus den Fünfzigerjahren.

Über seinen Fund im Brockenhaus berichtete Mercato auf Facebook. Den Verantwortlichen der Brockenstube teilte er mit, dass es sich beim mysteriösen «R» um Diebesgut handeln könnte. Daraufhin wurde das Objekt aus dem Verkauf genommen.

Kult-Reklame aus den 50ern
Auf welchem Weg mag wohl das rote «R» nach Tramelan gelangt sein? Die Geschichte fing in einer Dezembernacht 2017 an, als das Sturmtief «Zubin» über Biel fegte. Dabei wurde die Leuchtreklame mit dem Schriftzug «Campari» beschädigt. Der Buchstabe «R» wurde aus seiner Verankerung gerissen und drohte in die Tiefe zu stürzen. «Am 20. Dezember rückte die Feuerwehr aus, um das nunmehr gefährliche Schriftzeichen zu bergen», weiss Massimo Stabile. Er ist Kundenberater der Bank Valiant, die im gleichen Haus eine Filiale betreibt. Das «R» wurde anschliessend in einem Korridor abgestellt. Der Bankangestellte hat sogar ein Foto des ungewöhnlichen Objektes gemacht. Er war es auch, der die Hausverwaltung auf die drohende Gefahr auf dem Dach aufmerksam gemacht hatte. Martin Rehnelt von der MB2 Immobilien AG erklärt: «Unsere Verwaltung ist nicht direkt für die Instandstellung der Reklamen zuständig.» Wenig später veranlasste Campari Schweiz die Reparatur durch eine Spezialfirma.

Die Schweizer Vertretung des berühmten Getränkeherstellers unterhält die wenigen Leuchtreklamen, die seit den Fünfzigerjahren an prominenten Stellen in Schweizer Städten prangen. 2011 nahm das Unternehmen gegenüber der Zeitung «24 heures» zum Thema Leichtreklamen Stellung. «Unsere Neon-Werbeanlagen werden systematisch gewartet, auch wenn der Unterhalt der Schriftzüge wegen des Alters sehr aufwendig ist», betonte das Unternehmen damals.

Nicht unter Heimatschutz
Auch der von der Feuerwehr abmontierte Originalbuchstabe «R» sollte eigentlich repariert werden. Er verblieb zunächst in dem Gebäude am Zentralplatz und dämmerte im Hausflur der Valiant Bank vor sich hin. «Aber eines Tages war er verschwunden», erinnert sich Massimo Stabile. Dem Reparaturunternehmen blieb aus diesem Grund nichts anderes übrig, als das fehlende Schriftzeichen neu zu gestalten. Seit dem 18. Oktober ist die «Campari»-Werbung über dem Zentralplatz wieder vollständig. Allerdings fällt dem Bankangestellten auf: «Die schwarze Umrandung des neuen Buchstabens passt nicht so recht zu den anderen Lettern.»

Die Website «lematin.ch» berichtete vor gut zwei Wochen, die Bieler Abteilung Stadtplanung habe die Restaurierung der Leuchtreklame angeordnet. Florence Schmoll, die Leiterin der Stadtplanung, widerspricht: Die alte «Campari»-Leuchttafel sei zweifellos ein stilbildendes Element des Zentralplatzes. Deshalb begrüsse auch der Heimatschutz den Erhalt dieses Zeitzeugen. «Aber die Reklame als solche ist nicht geschützt», so Schmoll.

Ruhepause im Museum
Wann genau das rote «R» aus dem Gebäude der Valiant Bank verschwunden ist, bleibt unklar. Jedenfalls kam das kuriose Objekt bei einer Wohnungsräumung in Biel wieder zum Vorschein.

Paul Jourdan vom Brockenhaus Regenove erklärt: «Niemand weiss, wie der Buchstabe in diese Wohnung gekommen ist.» Nachdem die Reliquie vom Zentralplatz als mögliches Diebesgut erkannt worden war, entschloss sich Jordan, den Fund dem Neuen Museum Biel (NMB) zu übergeben. Den Anstoss dazu hatte der Bieler Journalist Vincent Donzé gegeben. Er war es denn auch, der das Schriftzeichen nach Biel zurückbrachte. Es wurde von Peter Bohnenblust, dem Präsidenten der Sammlung Robert, in Obhut genommen. Die Sammlung des Bieler Illustratoren und Malers wird vom NMB gepflegt.

Die Kuratorin des NMB, Bernadette Walter, staunte nicht schlecht, als sie das sperrige Kultobjekt in Empfang nehmen konnte: «Als mir Peter Bohnenblust über das Fundstück berichtete, war ich sofort bereit, das Objekt in unserem Museum zu lagern.»

Nun gelte es, Kontakt mit den Besitzern aufzunehmen, um in Erfahrung zu bringen, was sie mit dem verwaisten «R» vorhaben, sagt die Kuratorin. Walter erkennt in dem Relikt vom Zentralplatz «ein Designobjekt» und «ein Zeugnis der bewegten Bieler Geschichte». Sie würde das «R» gerne in ihrem Museum ausstellen. Voraussetzung sei natürlich, dass die Besitzer damit einverstanden seien.

Peter Bohnenblust erkennt im Umstand, dass es sich ausgerechnet um den Buchstaben «R» handelt, noch eine zusätzliche Symbolik: «Das passt doch gut zur Sammlung Robert, oder», bemerkt er mit einem Augenzwinkern.

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