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Spitalzentrum Biel

«Die Reserven sind weg – ein zweites solches Jahr liegt nicht drin»

Der Verwaltungsratspräsident des Bieler Spitalzentrums Thomas von Burg will an den geplanten Aus- und Neubauplänen trotz tiefroten Zahlen festhalten. Mehr Sorgen bereitet ihm die Personalsituation. Im Interview nimmt er Stellung.

Ein nachdenklicher, aber dennoch optimistischer Thomas von Burg zwischen den Direktoren Kristian Schneider (SZB, links) und Michael Stettler (Gesundheitszentrum Medin). Bild: Aimé Ehi/A

Interview: Bernhard Rentsch

Thomas von Burg, wie sieht momentan die Coronasituation im Spitalzentrum Biel aus?
Thomas von Burg: Die Situation hat sich aktuell ziemlich beruhigt. Es sind nur noch ganz wenig an Covid-19 erkrankte Patientinnen und Patienten in stationärer Spitalpflege. Es sind auch weniger Fälle als in früheren Jahren zur gleichen Zeit wegen der saisonalen Grippe. Die Entwicklung ist aber weiterhin sehr labil und wir müssen auch wieder mit einem starken Anstieg rechnen. Wir sind bereit, betreiben aber das Spital wieder ohne Einschränkungen.

Mit Einschränkungen meinen Sie insbesondere das Verbot für sogenannt elektiven Eingriffen, bei denen die Gesundheit des Patienten nicht akut bedroht ist und deshalb der Termin verschoben werden kann?
Ja genau, da läuft alles wieder nach Plan.

Konnten die verschobenen Operationen inzwischen durchgeführt werden?
Wir konnten den Rückstau weitgehend aufholen, zumal wir als öffentliches Spital mit Schwerpunkt akute Notfallversorgung anteilsmässig ohnehin weniger planbare Operationen durchführen als beispielsweise eine Privatklinik. Insofern war die Warteliste bei uns nicht allzu lang. Mit Blick auf allfällige gesundheitliche Folgen dieser Verzögerungen ist eine Bilanz aber noch nicht möglich.

Konkreter ist die Zwischenbilanz aber sicher in finanzieller Hinsicht. Welchen Schaden muss das Spitalzentrum verkraften?
Der Abschluss 2020 liegt noch nicht vor. Die genannten Zahlen sind deshalb mit Vorsicht zu geniessen. Aber ganz klar: Anstatt den üblichen rund sieben Prozent Marktanteil der kantonal hospitalisierten Patientinnen und Patienten versorgten wir 22 Prozent der Covidfälle im Kanton Bern. Unsere Region war überdurchschnittlich betroffen und als Spital mit zertifizierter Intensivstation standen wir lange ganz im Zentrum des Geschehens. Aktuelle Studien belegen einen Verlust von 1,3 bis 1,6 Milliarden Franken für alle Spitäler im ganzen Land. Gesamtschweizerisch beträgt unser Marktanteil rund ein Prozent. Der daraus folgende Verlust 2020 bewegt sich als zwischen 13 und 16 Millionen Franken. Das stimmt für uns ziemlich genau. Wir gehen davon aus, dass das Minus sich um rund 14 Millionen Franken bewegen wird.

Weshalb die grosse Differenz gegenüber dem Budget?
Wir waren dank Investitionen und strategischen Neuausrichtungen für die «normale» Akutmedizin bereit, rechneten dank des erweiterten Angebots aber auch mit Zusatzeinnahmen. Nun hatten wir wegen der Pandemie grosse unvorhergesehene Investitionen in Infrastrukturen und Personal zu tragen. Da ist klar, dass wir rasch neben den Budgets lagen. Das unternehmerische Risiko hat sich noch nicht ausgezahlt.

Regierungspräsident und Gesundheitsdirektor Pierre-Alain Schnegg hat vor Jahresfrist schon sehr rasch eine Unterstützung der bernischen Spitäler zugesagt. In welchem Rahmen erwarten Sie vom Kanton Hilfe?
Dass Herr Schnegg so schnell zu unseren Gunsten entschieden hat und sich damit auch vielen Kritiken aussetzen musste, hilft uns. Wir sind dafür dankbar. Gedeckt ist aber trotzdem «nur» etwa die Hälfte der Zusatzkosten. Wir rechnen mit einer Unterstützung von gegen sieben Millionen.

Ist die Liquidität oder gar die Zukunft des Spitalzentrums durch diesen massiven Verlust allenfalls in Gefahr?
Nein, unsere Zukunft nicht. Aber natürlich sind die Finanzen ein Problem, das wir im Auge behalten müssen. Seit dem finanziellen Tiefpunkt 2017 konnten wir uns zwar kontinuierlich hocharbeiten und dank der Stärke unserer Eigenkapitalbasis können wir den aktuellen Verlust tragen. Die Reserven sind aber jetzt weg. Ein zweites solches Jahr liegt nicht drin.

Zu hören und zu lesen ist von den grossen Herausforderungen im Personalbereich. Personalmangel und durch die Belastungen hervorgerufene Überforderungen werden zum Problem. Bei Ihnen auch?
Das beschäftigt mich in der Tat fast mehr als die finanzielle Lage und macht mir langfristig Sorgen. Denn im personellen Bereich sind die Herausforderungen wesentlich akuter und unser Einfluss ist viel kleiner. Der deutliche Anstieg an gesundheitsbedingten Ausfällen in diesem Covid-Jahr ist mehr als ein Warnsignal. Dazu kommt die zunehmende Fluktuation im Gesundheitswesen generell, weil die Erwartungen an den Berufsalltag oft mit der Realität nicht übereinstimmen.

Was unternahmen oder unternehmen Sie konkret?
Wir unterstützen soweit möglich: Die im Rahmen des GAV vorgesehenen Lohnanpassungen wurden gemacht, Hilfe und auch psychologische Unterstützung von Fachpersonen werden angeboten. Aber klar, eine Lösung für den Fachkräfte-Notstand im Pflegebereich haben auch wir nicht.

Der Verwaltungsrat und die Direktion des Spitalzentrums Biel verfolgen grosse Zukunftspläne mit erheblichen Investitionen. Sind diese in Gefahr?
Aktuell nicht, wir verfolgen unsere langfristige Strategie unverändert. Die Covidkrise hat deutlich aufgezeigt, wie sehr die Dienstleistungen eines Spitals benötigt werden. Das beschleunigt unsere Zukunftspläne sogar. Unsere Prozesse sind zum Teil noch nicht effizient genug. Und die Digitalisierung ist auch bei uns ein grosses Thema.

Ambulante Behandlungen stehen zunehmend vor stationären Spitalaufenthalten. Wie berücksichtigen Sie diese Entwicklungen?
Der Spitalneubau ist wesentlich kleiner geplant als die heutigen Infrastrukturen. Dazu werden wir weiter in die ambulante Versorgung investieren. Was bisher in Bieler Bahnhofsnähe entstanden ist, ist erst der Anfang. Wir verfolgen im Zentrum weitere Ausbauschritte, die allerdings noch nicht kommuniziert werden können. Alles passiert in Zusammenarbeit mit bestehenden Anbietern. Unser Ziel ist, ein wirkliches «Gesundheitsnetzwerk Bern Nord» aufzubauen.


«Natürlich gibt es einen Plan B»

Das Spitalzentrum Biel plant einen Neubau in Brügg – das ist bekannt, und das Projekt ist in der Planung schon weit fortgeschritten. Verwaltungsratspräsident Thomas von Burg nuanciert aber die Aussage von Spitaldirektor Kristian Schneider, dass man keinen Plan B habe: «Natürlich gibt es einen Plan B. Allerdings entspricht dieser weder im Vorgehen noch auf der Zeitachse unseren Vorstellungen.» Für einen Neubau im Bözingenfeld wären umfangreiche Planungen und Verhandlungen allein punkto Landkauf nötig, sodass mit einer Verzögerung von mindestens sechs zusätzlichen Jahren gerechnet werden müsse. «Wir haben sogar einen Plan C: Das hiesse, am heutigen Standort zu bleiben und hier zu investieren. Aber so viel ist klar: Sowohl Plan B wie Plan C sind deutlich schlechtere Varianten.»

Mit einer inzwischen verhandelten Planungsvereinbarung mit der Gemeinde Brügg habe man einen ersten wichtigen Schritt gemacht, so Thomas von Burg. Eine Sicherheit, dass ab 2024 gebaut und 2028 gezügelt werden könne, bedeute dies aber noch lange nicht. «Da habe ich viel zu viel Respekt vor unseren demokratischen Prozessen. Jede Abstimmung ist erst mit dem Auszählen nach dem Urnengang entschieden.» Vorher sei alles möglich und erlaubt: «Ich nehme jede Kritik ernst und habe Verständnis.» Der offene und faire Dialog ist für von Burg auch in Brügg der Weg zum Ziel. br

 

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