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Standpunkt

Die Schutzmaske ist in Europa angekommen

Lange Zeit war es für uns Europäer ein komisch anmutendes Bild, Menschen mit Schutzmasken auf den Strassen zu sehen.

Bild: zvg

Parzival 
Meister

Was in Asien weit verbreitet ist, wird von uns eher belächelt. Den Sinn dahinter haben wir nie richtig verstanden – oder verstehen wollen. Andere Länder, andere Sitten; so haben wir uns dieses Phänomen im Westen erklärt. Daran hat in der Schweiz, bis jetzt jedenfalls,  auch das Coronavirus nicht viel geändert.

Dass wir beim Spaziergang oder Einkauf nach wie vor nur wenigen Menschen mit Masken begegnen, darauf hat die Landesregierung grossen Einfluss. Noch nie wurde uns von oberster Stelle empfohlen, wenn immer möglich eine Schutzmaske zu tragen. Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit, der die Schweiz mit seiner unaufgeregten und vertrauenswürdigen Art durch die Krise steuert, erklärte immer und immer wieder, dass Masken das Problem nicht lösen würden.

Über den Sinn und Unsinn solcher Masken sind sich die Experten auf der Welt derweil uneins. Auf China und Südkorea angesprochen, wo man kaum Menschen ohne Masken auf den Strassen sieht, sagte Koch jüngst gegenüber SRF: «Ob das aber wirklich einen Einfluss hatte auf die Ausbreitung, ist meines Wissens nicht untersucht worden, und auch sicher nicht belegt.» Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO bezweifelt den Nutzen der allgemeinen Maskenpflicht. Es gebe keinerlei Anzeichen dafür, dass damit etwas gewonnen wäre, sagte der WHO-Nothilfedirektor Michael Ryan diese Woche in Genf.

Anderseits: Die NZZ zitiert zum Beispiel den Mikrobiologen Yuen Kwokyung von der Hong Kong University mit den Worten: Hong Kong habe die Epidemie nur deshalb unter Kontrolle bekommen, weil die Regierung neben anderen Massnahmen wie Händewaschen und Social Distancing auch das Tragen von Masken empfohlen habe. Anderenfalls hätte sich die Epidemie vermutlich ebenso schnell ausgebreitet wie in Italien. In dieselbe Richtung argumentiert der Lausanner Epidemologe Marcel Salathé gegenüber «CH Media»: «Masken bremsen die Übertragung von Tröpfcheninfektionen wie das Coroanvirus ab. Und sie verhindern, dass man sich direkt ins Gesicht fasst.»

Zusammengefasst kann gesagt werden: Einfache Schutzmasken können nicht verhindern, dass man sich mit dem Coronavirus ansteckt. Auch könnten Masken den Menschen ein falsches Sicherheitsgefühl geben, sie leichtfertiger werden lassen, wodurch sie die erwiesenermassen effektvollen Massnahmen wie Händewaschen und Abstand halten vernachlässigen könnten. Hingegen können die Masken die Zahl der Tröpfchen verringern, die wir beim Husten, Niesen oder Sprechen ausstossen. Es geht beim Tragen der Masken also in erster Linie um den Schutz seines Umfelds. Deshalb empfiehlt selbst das Bundesamt für Gesundheit in der Schweiz, dass kranke Menschen eine Maske tragen sollen. Wie aber bekannt ist, kann Covid-19 auch durch Menschen übertragen werden, die noch keine Symptome aufweisen. Mit der allgemeinen Tragepflicht könnte also auch das Umfeld dieser Menschen geschützt werden, so die Argumente dafür.

So oder so: Die Schutzmaske ist nicht mehr nur ein «Asien-Ding», sondern hat Europa erreicht. In Tschechien gilt seit über einer Woche eine strikte Maskenpflicht beim Einkaufen. Im Nachbarland Österreich wird seit gestern in Supermärkten und Drogerien dem Kunden am Eingang ein Mund-Nasen-Schutz ausgehändigt, der im Verkaufsraum getragen werden muss. Mit Jena setzt auch in Deutschland die erste Grossstadt auf diese Massnahme: Ab nächster Woche soll das Tragen eines Mundschutzes in Verkaufsstellen, dem öffentlichen Nahverkehr und Gebäuden mit Publikumsverkehr verpflichtend sein. Gleichzeitig richtetet sich die Stadtverwaltung an die Bevölkerung: «Nähen Sie sich und anderen Menschen den wichtigen Mund-Nasen-Schutz, um die Verbreitung des Virus einzudämmen – jede Maske ist besser als gar keine Maske.»

Noch haben wir in der Schweiz nicht genügend Masken, um die breite Bevölkerung damit zu versorgen. Priorität hat – richtigerweise - das Personal im Gesundheitswesen. Dies dürfte, so die Spekulationen, mit ein Grund dafür sein, wieso sich die Bundesbehörden in der Schweiz bei diesem Thema in Zurückhaltung üben. Doch wo eine Nachfrage ist, wird sich die Wirtschaft erfinderisch zeigen und folgen Aufrufe wie in Deutschland, werden auch in hiesigen Wohnzimmern Self-made-Masken entstehen.

Wie BAG-Mann Daniel Koch jüngst festhielt, sind Schutzmasken im asiatischen Raum ein Teil der Kultur. Soweit sind wir hier noch nicht. Was in Asien Trend ist, bleibt für uns oft ein Phänomen. Doch die Schweiz ist keine Insel und was in unseren Nachbarländern passiert, beeinflusst auch unser Leben – ob wir wollen, oder nicht. Menschen mit Schutzmasken: An dieses Bild werden wir uns gewöhnen. Früher oder später.

pmeister@bielertagblatt.ch

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