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Biel

"Die Stadt hat den Auftrag nicht erfüllt"

Die Initiative «Leerraum beleben!» wird nicht korrekt umgesetzt: Das moniert das Initiativkomitee. Tatsächlich hat die Stadt im letztenJahr kaum Energie in das Reglement zur Förderung von Zwischennutzungen gesteckt. Das soll sich jetzt ändern.

Der 
ehemalige Standort des 
X-Projects an der Aarbergstrasse 72 steht derzeit grösstenteils leer. Die 
Bewegung «Ensemble Stark» strebt im Gebäude eine Zwischennutzung an.
 Bild: Peter Samuel Jaggi

Lino Schaeren

Steht in Biel ein Gebäude, ein Raum oder eine Fläche mehr als drei Monate leer, muss der Eigentümer oder die Eigentümerin das der Stadt melden. So will es das Reglement für die Zwischennutzung von Leerraum, das am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist.

Das Reglement erfüllt die Volksinitiative «Leerraum beleben!» der Jungsozialisten, die mehr Zwischennutzungen für kulturelle und soziale Projekte fordern. Die Idee: Die Stadt soll gemeldete Leerräume sodann an geeignete temporäre Nutzende vermitteln, vorzugsweise an nicht kommerzielle. Trotz Reglement und Meldepflicht ist es 2020 aber kaum zu mehr Zwischennutzungen gekommen. Mitglieder des Initiativkomitees sind deshalb frustriert; sie werfen der Stadt vor, die Bestimmungen und damit die Initiative nicht umzusetzen. Miro Meyer (Juso) sagt: «Die vorgeschriebene öffentliche Raumbörse gibt es nicht und die Meldepflicht wird nicht durchgesetzt. So wie es jetzt läuft, ist die Umsetzung für nichts.»

Tatsächlich schreibt das Reglement vor, dass die Stadt den gemeldeten Leerraum in einer öffentlich einsehbaren Raumbörse bekannt geben muss. Oder besser gesagt: Müsste. Denn eine Raumbörse existiert auch gut ein Jahr nach Inkrafttreten des Reglements nicht.

Die Frage geht also an die Stadt: Wieso nicht? Gérard Wettstein, Generalsekretär der Präsidialdirektion, sagt: Die Einrichtung einer solchen Börse sei technisch eigentlich keine grosse Sache. Bislang habe man aber sowohl die Anfragen für Zwischennutzungen als auch die gemeldeten Leerräume an einer Hand abzählen können. «Wo fast kein Angebot und fast keine Nachfrage besteht, macht eine öffentliche Raumbörse kaum Sinn», sagt Wettstein. Und für die wenigen Interessierten sei es ein Leichtes gewesen, zum Telefonhörer zu greifen. Er glaubt, dass die Coronaviruspandemie und ihre Auswirkungen auf Gesellschaft und Kultur ein Hauptgrund seien für das fehlende Interesse. Eine Argumentation, die beim Initiativkomitee und bei Kunstschaffenden für rauchende Köpfe sorgt.

In der Krise Gold wert
Miro Meyer ist sich sicher: Es ist bisher gerade deswegen nur zu so wenigen Anfragen gekommen, weil aufgrund der fehlenden Raumbörse nicht bekannt ist, was überhaupt zur Verfügung steht. «Ich weiss von etlichen Kulturschaffenden, die interessiert wären.» Das bestätigt Künstlerin und Stadträtin Daniela de Maddalena (Grüne). Sie ist Vorstandsmitglied beim Bieler Berufsverband für visuelle Kunst (Visarte). Die visuelle Kunst, sagt sie, sei in dieser Pandemie aufgrund der ergriffenen Schutzmassnahmen praktisch unsichtbar geworden. Das Internet könne dabei kaum Abhilfe schaffen. «Wir sind darauf angewiesen, unsere Arbeiten eins zu eins dem Publikum zeigen zu können», sagt sie.

Gerade in der Krise wären laut de Maddalena deshalb Zwischennutzungen Gold wert: So könnten etwa Schaufenster leer stehender Ladengeschäfte zu temporären Bühnen für die Arbeiten Kulturschaffender umfunktioniert werden. «Und leere Räume gibt es immer mehr, alleine in der Bieler Nidaugasse ist die Situation schon fast dramatisch», sagt die Künstlerin. Das findet auch Marisa Halter, Stadträtin (Partei der Arbeit), Mitglied des Initiativkomitees und Betriebsleiterin des X-Projects. Wenn sie durch die Stadt gehe und den vielen Leerstand sehe, sagt sie, finde sie das kläglich. «Dabei gäbe es so viele kreative Möglichkeiten, diesen zu nutzen.» De Maddalena findet derweil klare Worte an die Adresse der Stadt: «Der Auftrag der Zwischennutzungsinitiative ist nicht erfüllt, da können die Verantwortlichen noch so lange drumherum reden.»
Was aber, wenn, wie Gérard Wettstein sagt, nicht genügend Leerraum gemeldet wird, damit die Eröffnung einer Raumbörse Sinn macht? Miro Meyer verweist darauf, dass die Meldung von Leerraum, der mindestens 15 Quadratmeter misst, nach drei Monaten keine Möglichkeit, sondern Pflicht sei. Zwar können die Eigentümerinnen und Eigentümer jederzeit Nein sagen zu Zwischennutzungen, ohne dies begründen zu müssen. Das Reglement sieht aber Bussgelder von bis zu 5000 Franken vor, wenn gegen die Meldepflicht verstossen wird. Für Meyer ist deshalb klar: Die Stadt müsse endlich damit beginnen, die Meldungen einzufordern, zu kontrollieren und durchzusetzen.

«Es harzt ganz schön»
Laut Wettstein ist dies allerdings die letzte Option, die grösstmögliche Eskalation, wenn man so will. Er ist überzeugt: Man muss die Hauseigentümerinnen und Eigentümer nicht in erster Linie zur Meldung von Freiraum zwingen, sondern sie davon überzeugen. Dann, so glaubt der Generalsekretär, sei die Chance viel grösser, dass daraus eine Zwischennutzung entstehe. «Wir wollen keine Polizisten sein und kein Denunziantentum. Sondern den Besitzerinnen und Besitzern aufzeigen, wieso eine Meldung von Leerraum auch für sie Sinn machen kann.» Wettstein räumt aber ein, dass im ersten Jahr noch nicht all zu viel Energie in diese Überzeugungsarbeit geflossen sei. Weil es bei der freiwilligen Meldung von Leerraum bisher, wie er sagt, «ganz schön harzt», soll sich das jetzt ändern: Man werde in nächster Zeit die Hausbesitzerinnen und -besitzer noch einmal anschreiben.

Gérard Wettstein spricht vom ersten Jahr als einer Übergangsphase. «Zu Beginn nicht gleich den Drohfinger zu erheben, war richtig, das wäre nicht hilfreich gewesen.» Zudem müsse man sich auch fragen, ob es in der Bevölkerung verstanden würde, wenn während der Pandemie und ihren Folgen gerade hier ein Schwerpunkt gesetzt würde. Jetzt folgt laut Wettstein die nächste Stufe: Wenn die erneute Information der Hausbesitzenden nicht fruchte, werde man die Schraube anziehen müssen.

Darauf will auch Daniela de Maddalena pochen. Die Grünen-Stadträtin hat zusammen mit Politikerinnen und Politikern von den Kommunisten bis hin zu den Freisinnigen die Kulturgruppe im Bieler Parlament zum Beginn der neuen Legislatur wiederbelebt. Man werde, sagt de Maddalena, nun virtuell Besprechungen abhalten und dann versuchen, Druck auf die Stadt auszuüben. Im Mai möchte sie dann eigentlich mit Visarte in der Altstadt den «Joli mois de mai» durchführen. Die Tatsache, dass sich so viele Künstlerinnen und Künstler angemeldet haben, bestätige, wie sehr derzeit die Bühnen fehlen würden, sagt de Maddalena.

Sie rechnet allerdings pandemiebedingt derzeit nicht damit, dass der Ausstellungszyklus wie geplant durchgeführt werden kann. Und hofft deshalb, dass die Stadt bei den Zwischennutzungen endlich Nägel mit Köpfen macht. «Wenn wir die Schaufenster leer stehender Lokale nutzen könnten, wäre eine Art Kunstspaziergang durch die Stadt möglich.» Draussen, mit der Möglichkeit, Abstand zu halten. Und mit wertvoller Sichtbarkeit für die gebeutelten Kunstschaffenden.

Stichwörter: Leerraum, Biel, Immobilien, Juso, Politik

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