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Biel

Die Trennung vom Nuggi zelebrieren

Die Kinderärztin Fabienne Schär hat ein Buch zur Nuggi-Entwöhnung geschrieben. Ihre Geschichten sollen Kindern – aber auch deren Eltern – die Ablösung vom Trostspender vereinfachen.

Im Garten der Kinderarztpraxis Schwanenkolonie hat Fabienne Schär einen Nuggibaum eingerichtet. Kinder können hier ihre Nuggis in die Äste hängen. Nico Kobel

von Carmen Stalder

Die Wasserspitzmaus Kalea baut ein Floss und schickt ihren Nuggi den Fluss hinab. Das Seelöwen-Mädchen Yarra wirft ihren Nuggi ins Meer und schenkt ihn einem kleinen Delfin. Das Eichhörnchen Lanea bindet ihren Nuggi in einen Baum. Und der Schneehase Kenzo hängt seinen Nuggi an einen Ballon und lässt ihn in die Luft steigen. Die Geschichten dieser vier Tierkinder entstammen allesamt der Feder von Fabienne Schär. Die 41-jährige Kinderärztin aus Schüpfen ist seit sechs Jahren in der Bieler Praxis Schwanenkolonie tätig und wird dabei immer wieder mit der Frage nach der Nuggi-Entwöhnung konfrontiert. Wann ist der richtige Moment für diesen Schritt? Und vor allem: Wie gehen Eltern am besten vor? Mögliche Antworten bietet das Bilderbuch «Die-Nuggi-Jahreszeiten», das die dreifache Mutter selbst illustriert und geschrieben hat.

Angefangen hat alles mit ihrer eigenen Tochter. Als diese 2,5 Jahre alt war, begann sich die Mutter Gedanken darüber zu machen, wie sie ihrem Kind den Nuggi abgewöhnen könnte. «Ich habe mich auf die Suche nach einem passenden Buch gemacht, jedoch nichts gefunden, das meinen Ansprüchen entspricht», sagt Schär. Also habe sie kurzerhand selbst zu Papier und Stift gegriffen und eine eigene Geschichte erfunden. Protagonistin ist die Seelöwin Yarra, die den gleichen Namen wie ihre Tochter trägt. Der Plan der Kinderärztin ging auf, ihr Mädchen warf den Nuggi später aus eigenen Stücken ins Meer.


Bis in die Nacht gezeichnet

Ein paar Jahre später absolvierte Schär eine Weiterbildung in Entwicklungspädiatrie, bei der sie als Abschluss eine Diplomarbeit schreiben musste. «Ich wollte keine theoretische Forschungsarbeit schreiben, sondern etwas, das mir im Berufsalltag hilft.» Also kramte sie ihre erste Nuggi-Geschichte hervor, ergänzte sie um drei weitere und schrieb eine theoretische Einleitung dazu. «Während vier Monaten bin ich täglich von 22 bis 1 Uhr morgens daran gesessen.» Diesen Effort neben der Arbeit in der Praxis, den eigenen Kindern und dem Haushalt unter einen Hut zu bringen, habe sie nur dank der Unterstützung ihres Mannes geschafft.

Die Entwicklung verläuft bei allen Kindern individuell, aber ungefähr im Alter von einem Jahr nimmt normalerweise das Saugbedürfnis ab. Dies wäre der optimale Zeitpunkt, um einem Kind stressfrei den Nuggi abzugewöhnen. «Später wird der Nuggi einfach zur Gewohnheit», sagt die Kinderärztin. Dabei könnte zum Trösten auch ein «Nuscheli» oder Plüschtier zum Einsatz kommen. Ihr Bilderbuch eigne sich für Eltern, die diesen Zeitpunkt verpasst haben – und das seien die meisten.

«Es ist wichtig, dass ein Kind auf die Trennung von seinem Nuggi vorbereitet wird», sagt Schär. Davon, ihn eines Tages einfach kommentarlos verschwinden zu lassen, hält sie gar nichts. «Gemein», sei das, und führe möglicherweise zu viel Frust. Schär schlägt vor, dem Kind immer wieder die Geschichten aus ihrem Buch zu erzählen. Das führe gleichzeitig zu mehr gemeinsam verbrachter Zeit, etwas, das heute mehr und mehr verloren gehe.

Sobald das Kind die Geschichten gut kennt und sich mit den darin vorkommenden Figuren identifiziert, könne man den Nuggi in einem gemeinsamen Ritual fortschicken – sei es über den Wasser, den Luft- oder einen sonstigen Weg. «Man darf eine grosse Sache daraus machen und den Abschied vom Nuggi mit einem Fest zelebrieren.» Der Prozess kann sich ruhig über mehrere Wochen erstrecken. Schliesslich handle es sich für ein Kind um einen grossen Entwicklungsschritt, eine Erfahrung, die zu mehr Selbstbewusstsein führen könne.


Kind braucht Hilfe

Eltern würden sich die Abgewöhnung oft schwieriger vorstellen, als sie eigentlich ist, zeigt die Erfahrung von Fabienne Schär. «Oder es sind sogar sie selbst, die am Nuggi hängen – weil sie denken, dass ihr Kind doch noch ein Baby ist, dem man den Nuggi nicht wegnehmen darf.» Dabei gibt es gute Gründe, die für eine rechtzeitige Entwöhnung sprechen: Ein Nuggi kann sich auf die Sprachentwicklung auswirken oder die Zahnstellung negativ beeinflussen. «Ganz alleine schafft es ein Kind allerdings nicht, es braucht die Hilfe seiner Eltern.»

Nach Abschluss der Weiterbildung hatte Fabienne Schär eigentlich nicht vor, aus ihren Geschichten ein Buch zu machen. Doch ihre Arbeit stiess sowohl bei Fachpersonen als auch in der Praxis auf so gute Resonanz, dass sie sich auf die Suche nach einem Verlag machte. Im vergangenen Oktober erschien das Buch schliesslich im Paramon-Verlag. «Sehr stolz», sei sie gewesen, als sie das Resultat erstmal in den Händen gehalten habe, so die Ärztin. Mittlerweile ist es gar vom Berufsverband Kinderärzte Schweiz als empfohlene Erziehungsliteratur gelistet. Für Fabienne Schär das schönste Lob sind allerdings die Rückmeldungen von Eltern in ihrer Praxis, die erzählen, dass ihre Methoden funktioniert haben.

Info: Das Buch «Die Nuggi-Jahreszeiten» von Fabienne Schär ist im Buchhandel erhältlich und kann im Internet über die grossen Buchhändler oder direkt beim Verlag Paramon bestellt werden.

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Tipps für die Nuggi-Entwöhnung

- Das Kind auf die Ablösung vom Nuggi vorbereiten, ihn keinesfalls einfach verschwinden lassen.
- Den Nuggi nur noch dann anbieten, wenn das Kind aktiv nach ihm verlangt.
- Ein Übergangsobjekt zum Trösten einführen, das kann beispielsweise ein «Nuscheli» oder ein Plüschtier sein.
- Den Nuggi tagsüber ganz weglassen.
- Ein Abschiedsritual inszenieren: Den Nuggi mit einem Floss auf grosse Reise schicken, ihn in einen See/Fluss/Meer werfen, an einen Nuggibaum binden oder mit einem Luftballon in den Himmel steigen lassen.
- Ist der Entscheid zum Nuggi-Stopp gefallen und das Ritual erfolgt, ist es ratsam, dabei zu bleiben.

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