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Wochenkommentar

Egal, wer recht hat – Ängste sind trotzdem da

Den Westast verlieren die Befürworter nicht mehr; aber dafür das Vertrauen der verängstigten Bevölkerung, kommentiert BT-Redaktionsleiter Parzival Meister.

Die Anti-Westast-Demo in Biel. copyright: frank nordmann/bieler tagblatt

von Parzival Meister

Die politische Bühne ist ein Ort der rauen Töne. Es ist ein Ort, an dem Parlamentarier zum verbalen Zweihänder greifen und politische Gegner denunzieren. Nimmt man ihnen das übel? Nicht wirklich. Es sind die «Polteris», die Wähleranteile holen. Stille Schaffer werden von der Öffentlichkeit oft kaum wahrgenommen.

Wohlgemerkt reden wir hier von Parlamentariern. Von der Legislative. Für die Exekutive, also für die Regierung, gilt ein anderer Massstab. Von den Leuten, die Verantwortung übernehmen, erwarten wir, dass sie das Volk einen, nicht spalten. Auch wenn man dieses «Spiel» nicht mag, ändert trotzdem niemand die Regeln. Die Populisten werden Erfolg haben, so lange es Bevölkerungsgruppen gibt, die sich von der Regierung nicht ernst genommen fühlen.

Sichtbar wurde dies in Deutschland: Die AfD wurde mit einem Schlag zur drittstärksten Kraft. Bezeichnend für diesen Wahlerfolg ist, dass die AfD die meisten Stimmen von sonstigen Nichtwählern erhielt. Ganze 99 Prozent der AfD-Wähler glauben, dass nur ihre Partei die Probleme der Menschen ernst nimmt. Die Analyse des Wahlergebnisses ist zu komplex, um sie auf einen Aspekt zu reduzieren. Aber dass das Resultat als Protest der Bevölkerung gewertet werden kann, ist unbestritten.

Man darf keine Äpfel mit Birnen vergleichen. Doch um diesen Aufstand im bevölkerungsstärksten Land Europas zu verstehen, hilft es, von dem zu lernen, was direkt vor unserer Haustüre passiert. Zum Beispiel in Nidau. Hier wurde die Regierungspartei FDP abgestraft. Und wieso? Zu grossen Teilen wegen des Projekts Agglolac. Klar, auch hier sind die Gründe vielschichtig, aber in Nidau hatten genau jene Parteien Erfolg, die das Projekt bekämpfen. Die Bevölkerung, die ganz offensichtlich Ängste hat, fühlte sich von der FDP in dieser Frage nicht ernst genommen. Bezeichnend dafür ist eine Aussage von Nidaus Stadtpräsidentin Sandra Hess. Auf die Frage der BT-Journalistin, ob sie kein Verständnis für die Argumente der Agglolac-Gegner habe, antwortete die FDP-Frau: «Nein, denn diese haben sich nicht mit der nötigen Sorgfalt mit dem Projekt auseinandergesetzt.» Damit denunziert sie die Gegnerschaft in einem Satz quasi als unwissend. Sie beklagte auch, die Gegner würden mit Schreckensbildern von einem Investor spielen, der sich auf Kosten der Öffentlichkeit eine goldene Nase verdienen will. Mag sein, dass sie recht hat. Mag sein, dass die Gegner mit Ängsten spielen. Aber das ist die Opposition. Die darf das. Entscheidend ist nicht, wer von beiden recht hat, sondern wer das bessere Gespür für die Ängste der Bevölkerung hat.

Ähnliches Ungemach droht in Biel. Das hat der letzte Samstag deutlich gemacht, als über 3000 Leute auf die Strasse gingen, um gegen den geplanten Westast zu demonstrieren. Man kann vom Westast halten, was man will – doch diesen Aufstand muss man ernst nehmen. Da kann man lange argumentieren, dass die Westast-Opposition mit populistischen Mitteln die Massen verführt. Das tut sie nämlich tatsächlich. Und sie ist nach wie vor eine Alternative zum heutigen Projekt schuldig, um die Diskussion auf eine Sachebene zu heben. Doch ihnen kommt entgegen, dass die Befürworter erstaunlich ruhig geworden sind. Und diese Ruhe wird als Arroganz ausgelegt. Als ein Zeichen dafür: Seid so laut ihr wollt, wir haben eh schon gewonnen. Klar, rein faktisch gesehen müssen sich die Befürworter wirklich nicht fürchten. Den Westast verlieren sie nicht mehr; aber dafür das Vertrauen der verängstigten Bevölkerung.

Eine Patentlösung, wie man auf eine lautstarke Opposition reagiert, gibt es nicht. Aber ganz sicher nicht mit Arroganz. Wer die AfD als einen Haufen Nazis abtut, die Agglolac-Bekämpfer als wiesenliebende Ökofaschisten abstempelt und  Westast-Gegner als militante Autohasser belächelt, erhält die Quittung dafür. Früher oder später.

Ängste muss man ernst nehmen. Immer. Denn Ängste fühlen sich für die Betroffenen auch dann real an, wenn sie nicht rational sind und polternd daher kommen.

Feedback: pmeister@bielertagblatt.ch  

 

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