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Biel

Ein Erfinder, der keiner war

Bereits vor 100 Jahren war man auf der Suche nach alternativen Kraftstoffen. 1918 soll der Bieler Emil Küng einen Benzinersatz gefunden haben: Acetylen. Doch heute ist dies in der Automobilforschung kein Thema mehr.

Neben der Berichterstattung über den Ersten Weltkrieg im "Bieler Tagblatt" vom 10. Juni 1918 gab es ausnahmsweise auch eine positive Nachricht zu vermelden: Ein Bieler soll einen Benzinersatz gefunden haben. Bild: Hannah Frei
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Hannah Frei

Eine überaus erfreuliche Nachricht in den sonst so kargen und grauen Tagen während des Ersten Weltkrieges: «Es ist Herrn Emil Küng an der Dufourstrasse gelungen, nach langen Proben das Acetylen dem Auto dienstbar zu machen.» Diese Zeilen wurden am 10. Juni 1918 im «Bieler Tagblatt» veröffentlicht, fünf Monate vor Kriegsende.

Zu dieser Zeit mangelte es in der Schweiz nicht nur an Esswaren und Haushaltsartikeln, sondern auch an Benzin. Also suchten die wenigen Automobilisten, Ingenieure und Chemiker nach einem alternativen Kraftstoff. Gemäss dieser Nachricht hat Emil Küng damals einen solchen gefunden.

Heute wird Acetylen jedoch nicht mehr für den Antrieb von Autos verwendet, sondern dient als Basis bei der Herstellung von vielen Grundchemikalien und wird als Brenngas beim Schweissen eingesetzt. Doch wurden früher Autos wirklich mit dem hochexplosiven Acetylen angetrieben? Und wenn ja, weshalb hat sich diese Methode nicht durchgesetzt?

 

Motor muss angepasst werden
Grundsätzlich ist es tatsächlich möglich, Benzin durch Acetylen zu ersetzen, wie Danillo Engelmann, Professor in der Abgasprüfstelle und dem Motorenlabor der Berner Fachhochschule in Nidau, weiss. «Dafür müsste der Motor jedoch angepasst werden», sagt Engelmann.

Er geht davon aus, dass Küng damals den Luftpfad im Motor seines Fahrzeugs angepasst haben muss. «Nehmen wir an, Sie heizen in einem Ofen ausschliesslich mit Holz und steigen dann auf Kohlenfeuerung um. Dafür muss die Luftzufuhr angepasst und eine Einblasung des Gases vorgesehen werden», sagt er. Ob Küng sein Auto damals umgebaut hat, wird in der Nachricht von 1918 jedoch nicht erwähnt.

Allgemein ist es mit fast jedem brennbaren Gas möglich, einen Motor anzutreiben, insofern man die richtigen Anpassungen vornimmt. Weshalb sich die Industrie vor 100 Jahren gegen den Einsatz von Acetylen als Benzinersatz entschieden hat, könne man daher nur vermuten. «Oft setzt sich nicht die technisch beste, sondern die vom Kunden akzeptierte Lösung in der Industrie durch», sagt Engelmann.

 

Besonders erfinderisch
Die Ingenieure, Physiker und Chemiker seien zu Kriegszeiten besonders erfinderisch gewesen und hätten versucht, aus allem etwas herauszuholen, was in der Region vorhanden war.

Bei den Forschungen in der Abgasprüfstelle und dem Motorenlabor in Nidau und Biel ist Acetylen laut Pierre Comte, stellvertretender Leiter der Gruppe Abgastechnologie, kein Thema. Auch habe man noch nie etwas von Küng oder einer solchen Erfindung in Biel gehört. Heute gehe die Forschung bei den Verbrennungsmotoren unter anderem in Richtung Kraftstoffe aus Biomasse. Diese werden hauptsächlich aus Pflanzen oder Pflanzenresten hergestellt.

Nachdem 2008 zuerst das Bio-Ethanol im Fokus der Forschungen stand, sei nun das Bio-Buthanol an der Reihe. «Doch beim Buthanol stehen wir noch ganz am Anfang», sagt Comte.

Er und sein Team prüfen die Abgaswerte sowohl auf dem Prüfstand als auch auf den Strassen. Zudem werde die Verbrennungseffizienz auf dem Motorenprüfstand gemessen. Das Buthanol sei jedoch bisher noch nicht im realen Strassenverkehr geprüft worden. Für die Tests werde der Bio-Treibstoff aber immer mit Benzin oder Diesel gemischt. «Mit 100-prozentigem Bio-Buthanol haben wir bisher nur Tests bei Benzinmotoren durchgeführt», sagt Comte.

Das Ziel der Forschungen ist immer dasselbe geblieben: die Schadstoffe und das CO im Abgas zu verringern.

 

Doch kein Erfinder?
Fünf Jahre nach Veröffentlichung der Nachricht über Küngs Erfindung hat der Deutsche Chemiker Johann Heinrich Vogel ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht. Doch weder in diesem Buch, noch bei Internetrecherchen ist der Name Küng auffindbar.

Es scheint, als sei der damals als «Erfinder» bezeichnete Bieler in Vergessenheit geraten. Unklar bleibt auch, inwiefern Küng überhaupt als Erfinder der Verwendung von Acetylen als Benzinersatz bezeichnet werden kann. Denn bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde sowohl in Deutschland als auch in den USA viel zur Verwendung von Acetylen geforscht, wie dem polytechnischen Atlas zu entnehmen ist. Dies beweist, dass Küng nicht der erste war, der versucht hat, Benzin durch Acetylen zu ersetzen.

Was heute als «Fake News» bezeichnet würde, hatte in der Kriegszeit Anfang 20. Jahrhundert, in der die internationale Kommunikation zu solchen Themen teilweise liegen geblieben ist, eine andere Bedeutung. Denn für Biel und die umliegende Region könnte diese Erfindung eine echte Errungenschaft gewesen sein.

Da jedoch in den folgenden Tagen und Monaten nicht mehr über Küng berichtet wurde, verläuft die Spur im Sande.

Stichwörter: Zeitreise, Biel, Benzinersatz

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