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Ein Ferienhaus auf Rädern

Die beiden Studentinnen Elisabeth Dubler und Jana Ristic haben eine mobile Wohnbox entwickelt. 
Damit haben sie an der Berner Fachhochschule einen Preis für Nachhaltigkeit gewonnen.

Nachhaltig: mySaess, das mobile Ferienhaus auf Rädern. Bild: zvg

Theo Martin

Das Projekt mySaess ist als Wort und von der Idee her abgeleitet vom bündnerischen Maiensäss. Es bezeichnet eine mietbare mobile Wohnbox – nachhaltig und in der Schweiz produziert. Die kleine Wohnung steht auf landwirtschaftlicher Fläche und ist umgeben von schönster Natur. Das «mySaess» ist gemütlich, bietet alles, was es braucht und ist aufs Wesentliche reduziert. Soweit der Werbespruch.

Die Idee des Projekts stammt von Architekt Alain Brülisauer und Industriedesigner Jérôme Rütsche. Konzipiert haben die bauliche Ausführung die beiden Bieler Studentinnen Elisabeth Dubler und Jana Ristic im Rahmen einer Semesterarbeit an der Berner Fachhochschule BFH.

 

Vision realistisch umsetzen


Auch die Zusammenarbeit mit den beiden Initianten machte das Projekt interessant, ergänzt Ristic. Diese war besonders in der Anfangsphase sehr intensiv und entwickelte sich zu einer rollenden Planung. Das wurde zwar von den Partnerinnen als eher beschwerlich empfunden, sei aber im Rückblick auch eine gute Erfahrung gewesen. Denn schliesslich funktioniere es in der Praxis öfters so, dass visionäre Ideen in mehreren Schritten auf eine realistische Ebene heruntergebrochen werden müssen.

Spannend war für die beiden Studentinnen insbesondere, dass sie den Fokus auf die Nachhaltigkeit legen konnten und dass das Projekt explizit auf die landwirtschaftliche Nutzung ausgelegt war. Die Idee ist, dass «mySaess» immer von einem Landwirt an landschaftlich besonders schönen Orten mit Aussicht aufgestellt wird.

Von Anfang an war klar, dass nur regionale Produkte zum Einsatz kommen sollen. Dazu wurde auch die Materialforschung der BFH mit einbezogen. Die neu entwickelten Platten aus Schweizer Weizen sollen dereinst die Innenwände verkleiden – aufgrund der Pandemie konnten sie jedoch noch nicht produziert werden. Die Aussenverkleidung besteht aus Lärchenholz, das mit einem natürlichen und emissionsarmen Holzschutzmittel behandelt ist.

Neben der Materialauswahl bestand die Arbeit der beiden Studentinnen darin, die Konstruktion des Ferienhauses zu planen. Dazu mussten verschiedene Formen und Versionen entwickelt und das Grundkonzept angepasst werden. Weil «mySaess» auf einem Anhänger Platz haben muss, waren die Masse von vorneherein beschränkt. Die beiden Studentinnen haben für die Konstruktion viele Möglichkeiten geprüft und durch die Anwendung der nachhaltigen Materialien auch einen planerischen Mehraufwand in Kauf genommen.

Eine grosse Herausforderung für die Konstruktion waren die Öffnungen. Nicht klar war beispielsweise, wie und wo die Fenster angebracht werden sollten. Im Gespräch mit Brülisauer und Rütsche wurde der Fokus auf das Herz des Konzepts gesetzt – die Aussicht. Dabei erarbeiteten Dubler und Ristic eine ausführliche Variantenstudie. Damit der Ausblick nicht durch den Fensterrahmen eingeschränkt wird, lassen sich die Flügel bis 270 Grad (also bis an die Seitenwände) öffnen. So etwas gibt es im Handel nicht und wurde zusammen mit der Schreinerei Kilchenmann AG in Worb entwickelt.

Um den Komfort zu erhöhen, wird der Wohnraum durch eine erweiterbare Terrasse vergrössert. Die Aufleger werden beim Aufbau aus dem Anhänger herausgezogen und der Terrassenboden daraufgelegt. Die Inneneinrichtung wurde von den Initianten entworfen und bietet auf zwei Stockwerken ein ideales Kurzferien-Domizil für Familien. Zwei Erwachsene und zwei Kinder finden auf den zehn Quadratmetern problemlos Unterschlupf. Im Grundkonzept würde die Energieversorgung über Photovoltaikzellen gewährleistet. Da sich diese Zellen noch in der Entwicklung befinden, kommt im Prototyp nun eine PV-Anlage auf dem Dach zum Einsatz. Diese versorgt die Wohnbox mit Licht und Strom und betreibt Heizung und Wasserpumpen. Herd und Warmwasseraufbereitung werden mit Gas betrieben.

Als Fahrnisbaute ohne Baubewilligung muss das Objekt spätestens nach drei Monaten verschoben werden. Die Landwirte führen die mobile Wohnbox an ihren Platz und befüllen den Wassertank. Die Bauernfamilie kann zudem ihre Produkte ins Paket integrieren, beispielsweise Verpflegung oder einen Znünikorb anbieten.

 

Start auf dem Frienisberg

Im Sommer 2020 erhielt das Übernachtungsangebot mySaess von der «Neuen Regionalpolitik» einen Projektbeitrag von 123 000 Franken. Jetzt sammelt das Startup-Unternehmen erste Erfahrungen mit dem Häuschen auf Rädern. «mySaess» ist auch ein Verein. Wer interessiert ist, kann so das Agriturismo-Projekt unterstützen und auch von Vergünstigungen profitieren.

Nach einem ersten Standort auf dem Frienisberg ist das Häuschen inzwischen auf dem Bauernhof von Salome und Thom Wieland in Röthenbach angekommen. Ende Jahr zieht es nach Sumiswald um. Auch in finanzieller Hinsicht müssen Rütsche und Brülisauer noch herausfinden, was am Schluss wirklich funktionieren wird.

Zuerst war gedacht, dass sie die mySaess-Boxen den Landwirten zur Verfügung stellen, jetzt kann sich Jérôme Rütsche durchaus vorstellen, dass die Häuschen verkauft werden und das Startup den Service rund um die Vermarktung übernimmt. Drei Jahre hat es gedauert, bis aus einer Idee eine erste Box entstand. Während eines Semesters haben Elisabeth Dubler und Jana Ristic das Projekt begleitet.

Dieser Artikel ist eine Co-Produktion des Departements Architektur, Holz und Bau der Berner Fachhochschule BFH und des "Bieler Tagblatts". Die BFH ist als Partnerin in die Themenplanung involviert. Die redaktionelle Hoheit liegt bei der Redaktion. Die Seite erscheint eimal pro Monat im "Bieler Tagblatt" und Im "Journal du Jura".

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