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Ein Hoch auf das Bieler Filmfestival

Das Festival du Film Français d’Helvétie ist ein Bijou, auf das die Region stolz sein darf. Was unterscheidet den hochkarätigen Bieler Anlass von anderen boomenden Festivals? Ein Vergleich.

FFFH Foyer. Bild: bt/a
  • Dossier

Catherine Duttweiler*

Der bekannte französische Filmemacher Jean-Pierre Améris war richtig aufgeregt, stellte sich zu später Stunde einer engagierten Diskussion und genoss die stehende Ovation des Publikums. «Man ist hier aus Liebe zum Film», schwärmte er letztes Jahr nach der Weltpremière seines Werks «Je vais mieux» in Biel: «Diese Liebe ist allgegenwärtig!» Améris muss es wissen, denn er ist ein Habitué des Festivals du Film Français d’Helvétie (FFFH), war er doch mit seinen Filmen schon viermal in Biel zu Gast. Genau wie sein Kollege Stéphane Brizé, der dieses Jahr schon zum fünften Mal nach Biel anreist, um einen neuen Film zu präsentieren: Er eröffnet den Anlass heute in einer Woche mit «En guerre».

 

Intensiver Austausch 
wie sonst nirgends
Seit über 25 Jahren besuche ich aus persönlichem Interesse Filmfestivals: vor allem in Locarno und Zürich, manchmal in Berlin und seit 2005 immer wieder in Biel. An keinem anderen grossen Festival kommt es zu einem ähnlich intensiven Austausch zwischen Branche und Publikum. Auf der Piazza von Locarno oder am Zürcher Bellevue sind Budgets und Glamourfaktor zwar deutlich höher. Dort schauen jedes Jahr Hollywoodgrössen wie Melanie Griffith oder Hugh Grant vorbei. Aber für mehr als zwei, drei charmante Sätze kurz vor Filmstart reicht es nicht – dann sind sie weg.

Das ist in Biel anders: Das FFFH ist ein Geheimtipp für echte Filmliebhaberinnen und Filmliebhaber. Hier wird jeder Film vor der Vorstellung von einer Fachperson präsentiert, danach stellen sich Regisseure und/oder Schauspielerinnen in fast familiärem Rahmen einer Debatte mit dem Publikum.

Hierher kommen die Zuschauer aus echtem Interesse am Film, ganz ähnlich wie im benachbarten Solothurn, wo die Filmtage im Januar jeweils einen guten Überblick bieten über das Schweizer Filmschaffen oder in Nyon, wo der Dokumentarfilm ganz im Zentrum steht.

Da diese drei Festivals je einen klaren Fokus haben, ist es für sie allerdings auch einfacher, ein spezialisiertes Publikum anzusprechen (siehe Infobox). Die Programmierung für Locarno, das ganz unterschiedliche Zielpublika anspricht, ist deutlich anspruchsvoller, wie Direktor Marco Solari kürzlich auf einem Podium erklärte: «Wir müssen ein Auge für Schweizer Filme haben, aber diese müssen international bestehen können, sonst erweist man ihnen einen Bärendienst.»

Nach Solothurn und Biel reisen keine Gäste, weil ihnen ein Sponsor ein VIP-Packet mit Eintritt, Verpflegung und Hotelübernachtung geschenkt hat – oder weil sie für ein Foto auf den sozialen Medien selber mal über den roten (oder in Zürich: den grünen) Teppich stolzieren möchten. Wer ans Bieler Festival kommt, hat sich den Film meist sorgfältig ausgesucht. Manche werden zu treuen Festivaliers, weil hier echte Trouvaillen präsentiert werden: Die Section découvertes zeigt Filme, die in der Schweiz keinen Verleiher haben. Abgesehen von Kassenschlagern wie «Bienvenue chez les Ch’tis» gelangen selbst die besten französischen Filme östlich von Biel im besten Fall kurz in die Kinos.

Das FFFH ist niveaumässig ein sicherer Wert, nicht nur für Filmfans, auch fürs breite Publikum. Während ich an den grossen Schwesterfestivals regelmässig in Filme reinschaue, die mich dann schauspielerisch oder dramaturgisch nicht überzeugen, kann ich mich nicht erinnern, dass ich in Biel jemals enttäuscht aus einem Film rauslaufen musste.

Der Grund: Programmdirektorin Edna Epelbaum legt Wert auf hohe Qualität und hat bei der Auswahl ein ausgesprochen glückliches Händchen. Der Beweis: Praktisch alle Filme, die mit dem französischen Filmpreis César ausgezeichnet werden, wurden bereits ein halbes Jahr zuvor in Biel gezeigt. Letztes Jahr beispielsweise waren 19 von 21 prämierten Spielfilmen sowie der Sieger in der Kategorie Kurzfilme vorab in Biel zu sehen. Laut Festivaldirektor Christian Kellenberger werden in Biel jeweils 85 bis 90 Prozent der später preisgekrönten, also «césarisierten» Filme gezeigt. Man darf gespannt sein, ob es auch dieses Jahr klappt.

 

FFFH leistet wichtigen interkulturellen Beitrag
Der Erfolg wurde hart erarbeitet, seit das Festival vor 13 Jahren lanciert wurde. Seit dem Start hat sich die Zuschauerzahl von 2'000 auf 15'000 Personen erhöht. Da die Kinos in der Bieler Innenstadt an Kapazitätsgrenzen stossen, hat das Festival letztes Jahr in die Bundeshauptstadt expandiert, welche trotz des aktuellen Festivalbooms erstaunlicherweise über kein eigenes Filmfestival verfügt. Dort haben letztes Jahr 1500 Personen rund ein Dutzend Vorstellungen besucht. Dieses Jahr sollen es 50 Prozent mehr sein.

Das Publikum in Biel und Bern ist gemischt. Laut Epelbaum besuchen gleichviele Männer wie Frauen das FFFH, das Durchschnittsalter liegt vergleichsweise tief, nur gerade ein Fünftel ist 51-jährig oder älter, derweil Locarno mit einem vergünstigten Rentnerabo immer mehr Pensionierte anspricht.

Inzwischen besuchen auch gleich viele Deutsch- und Französischsprachige das FFFH, weshalb fast alle Filme untertitelt werden; auch die Publikumsdiskussionen werden konsequent simultan übersetzt. Das FFFH leistet so einen wichtigen interkulturellen Beitrag als grösster konsequent zweisprachiger Anlass der Schweiz und baut eine Brücke zwischen Romands und Deutschschweizern. Dieses Jahr wird erstmals der Übersetzungspreis Prix Célestine für die beste Untertitelung französischsprachiger Werke ausgeschrieben – mit dem Ziel die Verbreitung frankophoner Filme in der Deutschschweiz zu fördern. Umso erstaunlicher, dass die Bieler im Gegensatz zu den meisten anderen Festivals keine Bundessubventionen erhalten.

Das FFFH kommt zur Zeit mit einem knappen Budget von 1,9 Millionen Franken aus, dank einigen unaufdringlich eingebundenen regionalen Sponsoren, vielen Freiwilligen und dem Herzblut von Festivaldirektor Christian Kellenberger und Programmchefin Edna Epelbaum, welche das Festival gerne als «ihr liebstes Hobby» bezeichnet.

Vielleicht macht gerade diese Passion den Reiz aus. Bekannte Exponenten der französischsprachigen Filmindustrie kommen jedenfalls sehr gerne nach Biel und melden sich schon mal von sich aus an, wie Kinobesitzerin Epelbaum erzählt: «Sie schätzen, dass man hier in Biel sehr ernsthaft über die Filme debattiert.»

So gelingt es ihr immer wieder, eine grosse Zahl an Vorpremieren nach Biel zu holen: 28 «Grandes Premières» im letzten Jahr, 26 in diesem Herbst. Die bekannte Westschweizer Regisseurin Ursula Meier hat ihre besten Werke jeweils persönlich in Biel präsentiert – darunter mehrere preisgekrönte Werke mit Nachwuchstalent Kacey Mottet Klein. Zuletzt zeigte sie im März den schockierenden Fernsehfilm «Le journal dans ma tête» exklusiv an einer Veranstaltung für die Freunde des FFFH, einer Gönnerorganisation, welche mithilft, das Überleben des Festivals zu sichern. Während andere Festivals zugkräftige Prominente verpflichten und nachträglich einen Film suchen, in welchem diese Stars mitspielen, will Biel primär eine Auswahl der besten Filme zeigen.

Die Seeländerinnen und Seeländer, bekannt für ihren selbstkritischen Geist, dürfen jedenfalls stolz sein über den Event, der mit seiner visuellen Präsenz in Rot-blau-weiss die Stadt schon bald wieder für fünf Tage verändern und bis spätnachts beleben wird. Auch ich freue mich schon jetzt – und werde dieses Jahr wieder ein paar Freundinnen und Freunde aus der Ostschweiz dazu laden. Sie werden sich wie viele vor ihnen wundern, nicht nur über die weitläufigen Diskussionsrunden zu später Stunde – sondern auch, wie selbstverständlich hier manche Einheimischen mal auf Bielerdeutsch, mal auf Französisch parlieren. Eine bessere Werbung für Biel gibt es nicht.

* Die Autorin ist ehemalige Chefredaktorin des «Bieler Tagblatt» und seit über 25 Jahren regelmässige Besucherin der Filmfestivals in der Schweiz und Europa.

 

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Weitere wichtige Festivals

Zürcher Filmfestival
27. September bis 7. Oktober
Glamourösestes Schweizer Filmfestival mit internationalen Spielfilmen, vielen Galapremièren im Kino Corso unter Beteiligung von Sponsoren sowie einem Wettbewerb für Nachwuchsregisseure. Wurde vom damaligen Model Nadja Schildknecht sowie von Karl Spoerri 2005 gegründet, zieht inzwischen gegen 100 000 Zuschauer an und hat ein Budget von über 7 Millionen Franken; die NZZ hat den erfolgreichen Anlass gekauft.

Link: www.zff.com

 

Solothurner Filmtage
24. bis 31. Januar 2019
Rund 65 000 Zuschauerinnen und Zuschauer kommen zu dieser traditionellen Werkschau des Schweizer Films ins winterliche Solothurn, das Budget beläuft sich auf rund drei Millionen Franken. Direktorin Seraina Rohrer gelang es in den letzten Jahren, wiederholt Weltpremièren wichtiger Schweizer Spielfilme («Die göttliche Ordnung», «Akte Grüninger») zu präsentieren.

Link: www.solothurnerfilmtage.ch

 

Visions du réel
5. bis 13. April 2019
Mit rund 40 000 Besuchern ist Visions du réel in Nyon das wichtigste Dokumentarfilmfestival der Schweiz und das grösste Filmfest der Romandie. Es verfügt über ein Budget von rund 1,5 Millionen Franken.

Link: www.visionsdureel.ch

 

Filmfestival Locarno
7. bis 17. August 2019
Die grösste Schweizer Kulturveranstaltung mit rund 170 000 Eintritten und einem Budget von 13 Millionen Franken. Neben dem internationalen Wettbewerb trumpft Locarno auf mit hervorragenden Retrospektiven, vielen Sondersektionen und den einzigartigen Freiluftaufführungen mit bis zu 8000 Personen auf der Piazza Grande; dort sind Tickets schwer zu bekommen, vor allem am Wochenende wegen der hohen Sponsorenpräsenz. CD

Link: www.pardo.ch

Stichwörter: FFFH, Biel, Filmfestival, Festival

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