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Nidau

Ein Kompromiss, der nicht allen gefällt

Der Nidauer Gemeinderat legt in einem Bericht dar, wie er künftig mit Fahrenden auf dem Expo-Areal umgehen will. Zwei Stadträte, die zum Thema Vorstösse eingereicht haben, haben dazu ganz unterschiedliche Meinungen.

Ein solches Bild dürfte sich auch in Zukunft bieten: Fahrende werden auf dem Expo-Areal für 72 Stunden geduldet. Nico Kobel/a

von Carmen Stalder

Das Expo-Areal in Nidau liegt die meiste Zeit des Jahres unbenutzt da. Ab und zu finden im Sommer – jedenfalls in normalen Jahren – Veranstaltungen statt, etwa das Lakelive-Festival oder die Bar. Und dann sind da noch die Fahrenden, die in den warmen Monaten in unregelmässigen Abständen mit ihren Wohnwagen auftauchen und das Gelände in Beschlag nehmen. Eigentlich ist das Areal mit Holzbalken abgesperrt, ein Aufenthalt ist illegal. Entsprechend sorgt die Präsenz der Fahrenden für Unmut in der Bevölkerung: Die einen monieren, dass die Gemeinde den Platz nicht räumen lässt und keine Bussen verteilt, die anderen beklagen sich über Lärm und Abfall.

Auch im Nidauer Stadtrat waren die Fahrenden auf dem Expo-Areal bereits mehrmals Thema. 2018 beauftragten der damalige Stadtrat Thomas Marolf (SVP) und neun Mitunterzeichnende den Gemeinderat damit, zu überprüfen, inwiefern bauliche Massnahmen ergriffen werden können, um illegale Landbesetzungen erschweren beziehungsweise verhindern zu können.

Weiter reichte Stadträtin Brigitte Deschwanden Inhelder (SP) 2019 gemeinsam mit 13 Mitunterzeichnenden eine Motion ein, die den Gemeinderat dazu anhielt, die Bewilligungspraxis des Aufenthalts von Fahrenden auf dem Expo-Areal zu regeln. Insbesondere sollten jeweils Auflagen mit den Fahrenden und der Stadt Biel als Grundeigentümerin vereinbart werden, die auch die Höhe von Gebühren und einer Kaution beinhalten. Schliesslich forderte Stadtrat Markus Baumann (SVP) diesen September mit einem Postulat eine Berichterstattung über die Umsetzung von Massnahmen, die illegale Landbesetzungen auf dem Expo-Areal verhindern.


Kein offizieller Halteplatz

Dieser Bericht liegt nun vor und steht an der kommenden Stadtratssitzung vom 19. November zur Debatte. Die Gemeinde will den Umgang mit den Fahrenden auf dem Expo-Areal effizienter und besser koordinieren, als dies bisher der Fall war. «Ich kann nicht garantieren, dass es keine Konflikte mehr geben wird, bin jedoch überzeugt, dass wir künftige Probleme auf ein Minimum reduzieren können», sagt Gemeinderätin Sandra Friedli (SP). Um dies zu erreichen, hat Nidau den Dialog mit der Stadt Biel als Eigentümerin des Areals intensiviert. In diesen Gesprächen haben die beiden Parteien festgehalten, dass das Gelände Fahrenden grundsätzlich nicht zur Verfügung steht und dass es nicht als offizieller provisorischer Halteplatz dienen soll.

Das heisst jedoch nicht, dass der Platz in Zukunft nie mehr von Gruppen mit Wohnwagen besetzt sein wird. Die Stadt Biel lehnt es nämlich ab, das Gelände baulich besser abzusichern. Das Expo-Areal solle weiterhin als Ort für Veranstaltungen zur Verfügung stehen, begründet Beat Bommer, Leiter der Abteilung Liegenschaften der Stadt Biel, diesen Entscheid. Dabei sei es wichtig, dass der Zugang von allen Seiten und auch mit grossen schwerfälligen Fahrzeugen gewährleistet sei. «Dafür sind die heute bestehenden Abschrankungen ideal, die praktisch an jeder Stelle demontiert und wieder montiert werden können», so Bommer. Die Vergangenheit habe zudem gezeigt, dass unberechtigte Nutzer immer Wege finden, bauliche Massnahmen zu umgehen. Auch von einem richterlichen Verbot hält Biel nichts. «Es hat sich gezeigt, dass solche Verbote wenig bringen und die Durchsetzung jeweils schwierig und langwierig ist», sagt Bommer.

Stattdessen haben sich die beiden Städte auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt. Bei einem illegalen Aufenthalt von Fahrenden auf dem Expo-Areal gehen Vertreter der zuständigen Stellen der Städte Nidau und Biel gemeinsam mit der Kantonspolizei vor Ort. Dort teilen sie den Fahrenden mit, dass sie für 72 Stunden auf dem Areal bleiben dürfen und sie es anschliessend wieder verlassen müssen.


«Emotional aufgeladenes Thema»

Die Behörden stellen den Fahrenden eine Mulde für die Entsorgung des Abfalls sowie einen Wasseranschluss bereit, um das Anzapfen von Hydranten zu vermeiden. Auch Strom stellen sie zur Verfügung. Dafür zahlen die Fahrenden eine Gebühr von 20 Franken pro Wohnwagen und Tag. «Das entspricht einer Empfehlung des Kantons und deckt die Kosten weitestgehend», sagt Friedli. Sollten die Fahrenden den Platz zum vereinbarten Zeitpunkt nicht verlassen, erstattet die Stadt Biel eine Strafanzeige.

In seinem Bericht schreibt der Nidauer Gemeinderat, dass diese Vorgehensweise bei den letzten illegalen Aufenthalten von Fahrenden im Frühling und im Herbst versuchsweise angewendet worden sei und sich als pragmatischer und effizienter Weg erwiesen habe. «Die Fahrenden haben den Platz fristgerecht wieder verlassen, Littering, Verunreinigungen oder weitere Schäden wurden vermieden, von der Bevölkerung gingen bei der Kantonspolizei und der Gemeinde keine negativen Rückmeldungen ein», heisst es im Bericht. Zudem seien die Gebühren problemlos am Schalter der Stadtverwaltung beglichen worden.

Der Nidauer Gemeinderat sieht den eingeschlagenen Weg als «lösungsorientierten Kompromiss im Umgang mit dem kontroversen und emotional aufgeladenen Thema». Schliesslich werde auf der einen Seite eine bessere Berücksichtigung und Integration der Lebensweise von Fahrenden gefordert. Und auf der anderen Seite werde für eine repressive Null-Toleranz-Politik plädiert. Eine verzwickte Situation – entsprechend ist die gefundene Lösung nicht ganz frei von Widersprüchen, wie Friedli einräumt. «Die Tatsache, dass einerseits die Fahrenden das Gelände ohne Bewilligung besetzen und wir andererseits von Gesetzes wegen kaum Möglichkeiten haben, sie wegzuweisen, verpflichtet uns, die Situation insbesondere für die Nachbarschaft des Geländes möglichst konfliktfrei zu organisieren.»


Lob hier, Enttäuschung da

Die Nidauer SP-Stadträtin Brigitte Deschwanden Inhelder zeigt sich mit dem Bericht zufrieden und lobt, dass die Gemeinden Biel und Nidau an einem Strick ziehen. Sie ist überzeugt, dass mit der neuen Vorgehensweise der Unmut in der Bevölkerung vermindert wird. «Es handelt sich allerdings um eine Lösung für die Gemeinde, nicht für die Fahrenden.» Denn im Kanton fehle es weiterhin an Transitplätzen.

Im Hinblick auf die 2021 bevorstehende Agglolac-Abstimmung hat sich Deschwanden Inhelder bereits Gedanken zu einem möglichen Nein gemacht: Dann könnte das Areal als provisorischer Transitplatz genutzt werden. «Das ist zwar nicht meine favorisierte Lösung. Als Zwischennutzung vom Herbst bis in den Frühling könnte es jedoch eine Möglichkeit sein.»

SVP-Stadtrat Markus Baumann hat eine andere Meinung zum Bericht. «Ich bin extrem enttäuscht.» Der Gemeinderat reagiere damit nicht auf die Bedürfnisse der Bevölkerung. «Bei mir häufen sich die Telefonate von Nidauerinnen und Nidauern, die sich bei Anwesenheit der Fahrenden nicht sicher fühlen», sagt er. Mit dieser Lösung behalte Nidau den Status Quo bei und schaffe einen illegalen Transitplatz. Biel dagegen könne sich so des Problems entledigen.

Baumann zweifelt daran, dass die Fahrenden das Expo-Areal wirklich nach 72 Stunden verlassen. Im Bericht steht dazu als Klammerbemerkung: «nach Absprache aller involvierten Stellen unter Berücksichtigung der Gesamtsituation». Erfahrungsgemäss würden daraus schnell zwei oder drei Wochen, so der Stadtrat. Auch er bringt ausserdem die Grossüberbauung Agglolac ins Spiel. Als Gründungs- und Vorstandsmitglied des Vereins Stop Agglolac geht er davon aus, dass der Gemeinderat die Fahrenden in ihrem Abstimmungskampf strategisch einsetzen wird: «Schliesslich könnten die Fahrenden nicht mehr nach Nidau kommen, wenn Agglolac gebaut würde.» So oder so ist für Baumann klar, dass seine Partei am Thema dranbleiben wird. «Wir geben nicht so schnell Ruhe», verspricht er.

Der Bericht des Gemeinderats schliesst mit folgenden Worten: «Unabhängig von persönlichen Standpunkten, die in dieser Kontroverse eingenommen werden können, muss realistischerweise weiterhin von illegalen Besetzungen des Expo-Areals ausgegangen werden, solange der Platz leer steht und in der unmittelbaren Region nicht weitere (provisorische) Plätze geschaffen werden.» Auch mit der neuen Handhabung werden die Fahrenden in Nidau wohl weiterhin für Gesprächsstoff sorgen.

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