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Esplanade

Ein Konflikt mit Ansage

Eine 200-Millionen-Franken-Überbauung inmitten der Bieler Ausgehmeile. Hotel und Wohnungen direkt neben der Coupole und Party-bis-fünf-Uhr-Betrieben. Die Frage sei gestattet: Kann das gut gehen?

  • 1/7 Zwei Interessen, ein Standort: Links die Coupole, rechts die Esplanade-Überbauung «Papillon» und im Norden die Bieler Partystrasse – die einen wollen schlafen, die anderen feiern. Ein Miteinander, das nicht einfach wird. Illustration: zvg
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Parzival Meister

In einem Punkt sind sich alle Befragten einig: Das wird eine grosse Herausforderung.

Wir wagen einen Zeitsprung, es geht dreieinhalb Jahre in die Zukunft: Das Bieler Zentrumsgebiet Esplanade hat ein neues Gesicht. Vergessen ist der Chessu-Parkplatz. Die Autos parkieren in der Tiefgarage und wo sich einst Fahrzeug an Fahrzeug reihte, sagen sich Herr und Frau Bieler auf dem offenen Platz beim samstäglichen Morgenspaziergang «Salut». Im Osten mündet der Platz in einen neuen Stadtpark, im Norden in einen imposanten Neubau. 200 Millionen Franken haben private Bauherren investiert, um den «Papillon» zu errichten. Damals, 2013, hat das Projekt mit diesem Namen den Architekturwettbewerb gewonnen. Mittlerweile sind die Bagger weg, die 220 Wohnungen sind bezogen, in den unteren Stockwerken haben Geschäfte eröffnet, sind Büros einquartiert. Im integrierten 3-Sterne-Hotel checken die Gäste ein.

Einige Stunden später, es ist Sonntagmorgen in aller Früh. Die Temperaturen sind angenehm, die Leute stehen draussen vor den Clubs und Bars. Hier, in der Zentralstrasse, der behördlich-offiziellen Ausgehmeile der Stadt, wo die Lokale seit 2011 eine fixe Überzeitenbewilligung haben, floriert das Nachtleben. Aber nun, um fünf Uhr morgens, ist auch hier Schluss. Nicht alle wollen nach Hause. Also los in den Chessu. Johlend geht es dem «Papillon» entlang zur Coupole.

Wieder einige Stunden später, die Nachtschwärmer befinden sich im Tiefschlaf. Im Papillon sind die Leute genervt, weil übermüdet. Entweder war es zu heiss, weil das Fenster zu war. Oder es war zu laut, weil das Fenster offen war. Im Hotel beschweren sich Gäste an der Rezeption. Draussen regt sich der Frühaufsteher auf, weil er zuerst einem entleerten Mageninhalt und dann einer zerbrochenen Bierflasche ausweichen muss.

Einige Wochen später. Der Stadtpräsident, der Regierungsstatthalter, die Liegenschaftsbesitzer und die Clubbetreiber sitzen an einem Tisch. Im Raum steht die Frage: wie weiter?

Der Glaube an das Miteinander

Einverstanden, dieser Ausblick zeigt das schlimmstmögliche Szenario. Und keiner der Involvierten will heute schon den Teufel an die Wand malen. Aber es stellt niemand in Abrede, dass ein Neubau mit Wohnungen und einem Hotel inmitten des Bieler Partygebietes, zwischen Coupole und Zentralstrasse, Konfliktpotenzial birgt. «Urbanes Wohnen und Leben beinhaltet per Definition gewisse Nutzungskonflikte, welche Kompromisse bedingen», sagt etwa Biels Stadtpräsident Erich Fehr. Das AJZ-Kollektiv will sich zum heutigen Zeitpunkt nicht dazu äussern, gesteht aber ein, dass das Thema intern diskutiert werde. Für Regierungsstatthalter Werner Könitzer ist klar, dass hier «auf jeden Fall eine spannende Herausforderung auf meinen Nachfolger zukommt». Von einem «Risikofaktor» spricht Reto Graf. Er ist in der Geschäftsleitung der Alpine Finanz AG, einer der grossen Investoren der Überbauung. Doch Graf sagt auch: «Nur, weil dieses Risiko besteht, darf man nicht sagen: Lassen wir das mit dem Neubau bleiben.»

Und damit spricht Graf einen zweiten Punkt an, über den sich alle einig sind. Nachtleben und Wohnraum auf einem Platz birgt zwar Konfliktpotenzial, ein Miteinander muss aber funktionieren können. Die Aussagen gehen aber auseinander, wenn es um die Frage geht: Muss man das Problem präventiv angehen, oder kann man erst nach Lösungen suchen, wenn der Konflikt konkret wird?

Da ist zum einen Stadtpräsident Erich Fehr, der sich bereits heute mit dem Thema auseinandersetzt. Ins Detail geht er nicht. Noch in diesem Monat soll es eine Sitzung zwischen der Stadt und dem Coupole-Team geben, an der solche Themen besprochen werden. Dieser Sitzung will Fehr nichts vorgreifen. Es kann davon ausgegangen werden, dass dabei auch der Chessu-Erweiterungsbau ein Thema sein wird. Allenfalls, wie man durch dessen Ausrichtung die Besucherströme leiten kann.

Auf einen Dialog will auch Max Wiher setzen. Der GLP-Stadtrat ist Gründer des Komitees Pro Nachtleben Biel. Wenn die Überbauung erst einmal fertig sei, sagt er, wolle das Komitee als Vermittler zwischen den Anwohnern, Behörden und Clubbetreibern fungieren.

Wiederholt sich die Geschichte?

Einer, der ebenfalls dafür plädiert, das Problem im Vorhinein anzugehen, ist Sascha D'Antonio. Und der Mann hat Erfahrung im Konflikt zwischen Nachschwärmern und Anwohnern. D'Antonio hat den Duo-Club in der ehemaligen Biella-Factory geführt und damals viele Ressourcen investiert, dass auch auf der Strasse um den Club Ruhe herrscht. Vom Regierungsstatthalter gab es zwar viel Lob; doch die Lärmklagen blieben und schliesslich wurde die provisorische Überzeitenbewilligung nicht verlängert. D'Antonio zog wie zwei weitere Clubbetreiber der ehemaligen Biella-Factory an die Zentralstrasse. Nun soll gemäss dem vorliegenden Projekt dort ein Hotel entstehen. Die Probleme könnten sich wiederholen. Doch an einen erneuten Verdrängungskampf über die Vorherrschaft im Quartier will D'Antonio nicht denken. Es gehe nicht um entweder Clubs oder Anwohner, sondern darum, dass beide nebeneinander funktionieren können.

Dass ein Hotel genau in diesem Bereich ideal platziert wäre, davon ist auch die Bauherrin noch nicht vollends überzeugt. So sagt Reto Graf von der Alpine Finanz AG, dass dieser Standort noch nicht in Stein gemeisselt sei. Ganz grundsätzlich sieht er zwischen dem Hotel und den Clubs aber weniger Konfliktpotenzial als zwischen Mietern und Nachtschwärmern. Ein Hotel, sagt er, könne heute gut isoliert und so konzipiert werden, dass die Fenster geschlossen bleiben. In einer Mietwohnung könne man jedoch nicht erwarten, dass der Bewohner im Sommer die Fenster nicht öffnet. In Sachen Konzeption der Überbauung will Graf auf die sich abzeichnenden Konflikte eingehen, ansonsten plädiert er nicht dafür, schon im Vorfeld einen runden Tisch mit Behörden und Clubbetreibern ins Leben zu rufen. Erst, wenn das Problem wirklich da sei, müsse man schauen, wie man es lösen kann. Ähnlich tönt es von Regierungsstatthalter Werner Könitzer. Spekulieren sei der falsche Weg, Lösungen solle man dann suchen, wenn das Problem auftritt.

Ein Blick auf die jüngste Vergangenheit des Bieler Nachtlebens verspricht nichts Gutes für die Lokalbetreiber. Man erinnert sich an die Biella-Factory, wo wegen zu vieler Konflikte im Jahr 2011 eine 20-jährige Party-Ära zu Ende ging. Ausgangspunkt war auch dort ein Neubau im Quartier, deren Bewohner nicht mit den Clubs leben wollten. Oder da wäre der Guisanplatz, der in den Jahren 2009 und 2010 eine Renaissance erlebte. Seither ist das Gebiet eine Begegnungszone für Nachtschwärmer. Das blieb nicht ohne Folgen. Während die Wirte im Sommer gerne länger ihre Terrassen bewirten würden, hiess es aus dem Hotel Elite und von Anwohnern: auf keinen Fall. Die Lokalbetreiber haben heute die strikte Auflage, die Leute um 00.30 Uhr von der Strasse ins Innere zu holen.

Das klare Bekenntnis

Läuft die Party-Meile Zentralstrasse durch den «Papillon» Gefahr, ihre Überzeitenbewilligung zu verlieren? Ist gar der Chessu-Standort gefährdet? Soweit will Reto Graf von Seiten der Bauherrin in seiner Aussage nicht gehen. Er gibt aber zu Bedenken, dass die Nutzung dieses Gebietes dereinst zur Diskussion stehen könnte. Denn wenn ein Miteinander nicht funktioniere und Beschwerden von Bewohnern kämen, müssten sich die Behörden zwangsläufig mit diesem Thema auseinandersetzen. Damit hat er durchaus Recht, aber gefährlich tönt es von Seiten der Behörden für die Lokalbetreiber nicht. «Das Nachtleben gehört einfach in unsere Gesellschaft», sagt Werner Könitzer, der als Regierungsstatthalter zuständig ist für die Bewilligungen der Lokale. Im Perimeter an der Zentralstrasse, sagt Könitzer, habe man definitive Bewilligungen bis 5 Uhr erteilt - und dies nach langer Überlegung, wo der bestmögliche Standort sei. Der Gaskessel, so Könitzer weiter, bestehe seit Jahrzehnten. «Wenn nun jemand neu in dieses Gebiet zieht, kann er nicht einfach klagen, der Chessu muss weg.» Man müsse sich fragen: Wer war zuerst da? Auch ein Mieter habe eine gewisse Eigenverantwortung. Zumindest bezüglich Gaskessel gibt auch Stadtpräsident Erich Fehr ein klares Bekenntnis ab. Für die Coupole gebe es eine Bestandesgarantie. «Jeder, der in diesem Gebiet etwas machen will, kennt diese Rahmenbedingung.»

Kommentare

Sepp1

Am Schluss verlieren die Clubs und die Immobilienhaie gewinnen. Wie immer...


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