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Nidau

Ein Projekt mit «Win-Win-Win-Effekt»

Sozialhilfebezügern ein Praktikum in einem KMU vermitteln – das möchten jetzt auch die Sozialen Dienste Nidau, basierend auf ersten guten Erfahrungen eines Aarberger Modellprojektes. Gemeinderat Roland Lutz (SVP) setzt sich persönlich dafür ein.

Heinz Häfliger, Geschäftsleiter der Auto Paoluzzo AG in Nidau (links), kann sich gut vorstellen, in seiner Werkstatt einem Sozialhilfebezüger ein Praktikum zu ermöglichen. Gemeinderat Roland Lutz dankt mit Handschlag. Janosch Szabo

Janosch Szabo

Die Sozialhilfebezüger beschäftigen Nidaus Gemeinderat Roland Lutz, Ressort Soziales, nicht nur, weil sie die Kasse belasten, sondern auch menschlich: «Viele wollen arbeiten, sind motiviert, gesund und schaffen trotz hunderter Bewerbungen den Wiedereinstieg nicht. Das tut mir weh.»

Die Gründe sind vielfältig: das Alter, lückenhafte Berufstätigkeit, schlechte, beziehungsweise mangelhafte Ausbildung, oder Nachteile nach Sozialhilfebezug wegen längerer Krankheit. «Man rutscht manchmal ganz schnell hinein und kommt kaum mehr raus», so Lutz. Dagegen will er nun zusammen mit Christine Spreyermann, Abteilungsleiterin der Sozialen Dienste Nidau, und mit Unterstützung des Gemeinderats vorgehen.

Im besten Fall: Anstellung

Das Prinzip des Projekts, das kurz vor der Umsetzung steht, ist einfach: Eine Sozialhilfe beziehende Person, die motiviert ist und geeignet zu arbeiten, macht ein maximal sechsmonatiges Praktikum bei einem lokalen Unternehmen und verbessert damit ihre Chancen am Arbeitsmarkt. Sie bekommt währenddessen weiterhin Sozialhilfe. Für den Gewerbebetrieb, der mithilft, der Person den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt zu erleichtern, fallen keine Kosten an. Und: Die Gemeinde muss, anders als bei Beschäftigungsprogrammen, kein zusätzliches Geld in die Hand nehmen. Es wird zwar eine Projektleiterin angestellt, die geeignete Sozialhilfebeziehende an entsprechende Praktikaplätze vermittelt. Die dafür nötigen zehn Stellenprozente sollen aber intern bei den Sozialen Diensten abgezweigt werden, ohne dass das bestehende Personalbudget erhöht werden muss.

«Im besten Fall», sagt Lutz, «werden wir den Sozialhilfebezüger umgehend nach dem Praktikum los». Dies, wenn sich die Person im Unternehmen derart bewährt, dass sie gleich im Anschluss in einer festen Anstellung weiterbeschäftigt wird. «Das wäre eine optimale Reintegration in die Arbeitswelt.» Primäres Ziel des Projekts sei indes, dass die oder der Betroffene wieder mal richtig arbeiten könne und dafür auch einen Nachweis erhalte, eventuell sogar ein gutes Zeugnis – bei einer anschliessenden Stellensuche ein wesentlicher Vorteil. «Wenn nur schon zwei oder drei Bezüger pro Jahr durch so ein Praktikum von der Sozialhilfe wegkämen, wäre ich glücklich und die Kasse entlastet», sagt Lutz zu den Zielsetzungen.

Aarberg als Vorbild

Dass dies durchaus realistisch ist, zeigen erste Erfahrungen aus Aarberg. Die dortige Sozialabteilung ist zusammen mit den ihr angeschlossenen Gemeinden Bargen, Bühl, Hermrigen, Kallnach, Kappelen, Merzligen und Walperswil Vorreiterin auf dem Gebiet der Eingliederung von Sozialhilfebeziehenden durch Praktika-Stellen im ersten Arbeitsmarkt. Von dorther auch die Inspiration: Lutz hat sich in Aarberg alles ausführlich erklären lassen. Die erzielten konkreten Erfolge sprechen für sich: Von 19 drei- bis sechsmonatigen Praktika in den letzten zwei Jahren führten fünf zu gleich daran anknüpfenden Festanstellungen und damit zu einer direkten Entlastung der Sozialhilfekasse. Anna Gfeller, stellvertretende Leiterin der Sozialabteilung Aarberg, weiss dazu die Geschichte eines 56-jährigen Sozialhilfebezügers, der sich im Praktikum so sehr bewährte, dass ihn der Betrieb umgehend an ein Unternehmen vermittelte, wo gerade eine Arbeitskraft gesucht wurde. Er arbeite nun 50 Prozent und brauche nur noch ergänzende Unterstützungsgelder.

Elf weitere Sozialhilfeempfänger schlossen ihr Praktikum erfolgreich ab und haben damit ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt gesteigert. Gfeller sagt: «Wenn einem ein Betrieb aus dem ersten Arbeitsmarkt ein Zeugnis ausstellt, hat das unter Umständen eine andere Bedeutung als ein Zeugnis eines Arbeitsintegrationsprogramms.»

Dass andererseits nur drei Vermittelte ihr Praktikum frühzeitig abbrachen, liegt an einer strengen Auswahl im Vorfeld: «Es kommen für ein solches Praktikum nur Sozialhilfebezüger in Frage, bei denen zum Beispiel eine grosse Chance auf Wiedereingliederung besteht», erklärt Gfeller. Man bespreche jeden Fall im Team. Wichtige Kriterien seien die Motivation der betreffenden Person, ihr aktueller Lebensstil und das vorhandene Potential. Nicht zuletzt muss es auch für den Betrieb passen. Die Liste der KMU, die beim Projekt mitmachen, sei zwar mittlerweile auf 35 Betriebe angewachsen: «Aber es können natürlich nicht immer alle eine Hilfskraft brauchen», so Anna Gfeller. Effektiv zu einem Praktikum seien so in den letzten zwei Jahren zehn Prozent ihrer Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger gekommen.

Wenn Beziehungen helfen

Eine wichtige Rolle spielten und spielen beim Aarberger Projekt das Engagement der Lokal-Politikerinnen und -Politiker und ihre Beziehungen. «In den kleinen Gemeinden konnten wir unsere persönlichen Kontakte zu lokalen Unternehmen nutzen, um sie ins Boot zu holen», beschreibt Ruth Dauwalder, Gemeinderätin von Walperswil, den ländlichen Vorteil. Sie ist es nun auch, die das Projekt nach aussen bekannt macht.

Auf Anfrage des Verein seeland. biel/bienne stellte sie es letztes Jahr zuerst Seeländer Gemeinden vor, Anfang diesen Jahres dann sogar auf nationaler Ebene im Rahmen des Nationalen Tages der Armut, organisiert durch das Bundesamt für Sozialversicherungen. «Die Rückmeldungen sind überall sehr positiv», sagt Dauwalder.

Ob es in Nidau auch klappen wird? Das wird sich nun, da Konzept und Kurzpräsentation stehen, bald zeigen. Die erste entscheidende Phase steht bevor: die Suche nach Unternehmen. Roland Lutz will sich nach den Sommerferien persönlich an vorderster Front engagieren.

Er denkt an mechanische Betriebe, Garagen, Handwerksbetriebe, Reinigungsunternehmen, Betriebe im Bereich Unterhalt, Garten, Handel, Gastronomie, Transport, alle eben, bei denen auch nicht-spezialisierte Arbeitskräfte zum Einsatz kommen könnten. Es werde wohl schwieriger als im ländlichen Gebiet, wo man noch mehr vernetzt sei durch persönliche Kontakte, schätzt Lutz.

Einer schon an Bord

Trotzdem ist er zuversichtlich und hat für das Projekt auch schon einen ersten Arbeitgeber gewinnen können: Die Garage Auto Paoluzzo AG, mit Heinz Häfliger als Geschäftsleiter. Der Betrieb hat gerade erst im Rahmen eines ähnlichen Projektes einen Sozialhilfebezüger beschäftigt und diesem nach einem Praktikum gar eine Lehre ermöglicht, die er diesen Frühling mit Erfolg abgeschlossen hat.

Eine positive Erfahrung, die Mut macht. «Solchen, die arbeiten wollen, denen aber der Hintergrund fehlt, eine Möglichkeit bieten, das aufzuholen», dies kann sich Häfliger deshalb auch weiterhin vorstellen. Ein Praktikum in seiner Werkstatt könne von Reinigungs- und Unterhaltsarbeiten bis hin zu kleinen Reparaturen gehen, das komme ganz auf die Eignung der Person an.

Dass es am Anfang Betreuung braucht, ist ihm dabei klar. Dann aber erwarte er von ihr auch Selbstständigkeit und Zuverlässigkeit. «Wir sind ein Arbeitgeber, der rentabel sein muss und keine soziale Institution. Ein Praktikant darf zumindest nicht stören.»

Genau solche Erwartungen, Wünsche, aber auch allfällige Bedenken möchte Lutz in den kommenden Monaten mit grundsätzlich für das Projekt offenen Nidauer Unternehmerinnen und Unternehmern besprechen. Sagen dann Einige überzeugt zu, reiche das schon. Denn: «Sind die ersten Praktika erst einmal erfolgreich absolviert, lassen sich bestimmt weitere Betriebe ins Boot holen», sagt Lutz, und wie um sich Mut zu machen noch dazu: «Ich muss es probieren. Ich will die Sozialhilfequote senken. Und dieses Projekt ist eine gute Möglichkeit dafür. Eine ganz einfache Sache im Prinzip mit Win-Win-Win-Effekt.»

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Sozialhilfequote von Nidau ist leicht rückläufig

Nidaus Sozialhilfequote ist im Jahr 2015 erneut gesunken, um 0,3 Prozent auf nun 9,9 Prozent, wie die SVP Nidau kürzlich in einem Communiqué mitteilte. Ihr Präsident und Gemeinderat Roland Lutz ist mit dem Ressort Soziales damit auf Kurs, auch bezüglich der Kosten, die damit einhergehend letztes Jahr im gesamten Bereich Sozialhilfe um rund 10 Prozent gesenkt werden konnten, konkret um 1,2 Millionen auf 11,4 Millionen Franken.

Ausschlaggebend dafür seien vor allem die in Nidau praktizierten strengen Kontrollen, so Lutz: eine jährliche Dossierprüfung der Sozialkommission einerseits und eine periodische umfassende Anspruchsprüfung der Abteilung Soziales andererseits. Ausser- dem gelte bei jedem frisch angelegten Dossier das Vier-Augen-Prinzip.

Nicht zuletzt tragen diverse teils vom Kanton teils von Nidau finanzierte Arbeitsintegrationsprogramme zur Senkung bei. «Wobei», so Lutz, «meiner Ansicht nach ist deren Erfolg mit jährlich fünf bis zehn wieder in Teilzeit- oder Vollzeitarbeit Integrierten bescheiden.» Mit den kostenneutralen Praktika direkt im ersten Arbeitsmarkt (siehe Haupttext) erhofft er sich nun, auf einer weiteren Schiene die Sozialhilfequote und die Kosten zu senken.

Und was ist mit den 2013 in Nidau nach unten korrigierten Mietzinslimiten für Sozialhilfebezüger? «Die haben in einer ersten Phase Auswirkungen gezeigt», sagt Lutz, «ich denke aber nicht, dass sich das jetzt noch in den Zahlen niederschlägt.» Kürzlich zog Biel bezüglich Senkung der Mietzinslimiten nach (das BT berichtete). Aber auch über die beiden Gemeinden hinaus ist das Thema aktuell. Der Verein seeland.biel/bienne habe, so Lutz, ein Projekt lanciert, um die Sache mit den Mietzinslimiten regional unter einen Hut zu bringen. js

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