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Biel

Ein Sternekoch zu Gast im Spitalzentrum

Jean-Marc Soldati führt das Gault-Millau-Lokal «Du Cerf» in Sonceboz. Für drei Tage hat er sich einer ungewöhnlichen Aufgabe gestellt und die Leitung der Küche im Spitalzentrum Biel übernommen. Wie ist der Start ausgefallen?

Spitzenkoch Jean-Marc Soldati (mit Brille) kocht noch bis morgen im Spitalzentrum Biel. Bild: zvg/Marco Zanoni

Julie Gaudio/pl

Gestern, 10 Uhr: In der Küche des Spitalzentrums Biel (SZB) wird eifrig hantiert. In 40 Minuten müssen die Teller angerichtet und für den Transport in die Krankenzimmer bereit sein. Gleichzeitig stellen die Köchinnen und Köche Hunderte von Mahlzeiten für die Mitarbeitenden des SZB her. Das emsige Treiben geschieht unter dem wachsamen Auge von Jean-Pierre Pin, dem Leiter Verpflegung des Bieler Grossbetriebes.

Neben dem engen Zeitplan treibt die Anwesenheit des renommierten Küchenchefs Jean-Marc Soldati das Team zu Höchstleistungen an. Der Meisterkoch führt das Hotel-Restaurant du Cerf in Sonceboz. Seine Küche ist mit 16 Gault & Millau-Punkten und einem Michelin-Stern geadelt. Soldati überwacht mit geschultem Blick die Fertigstellung der Gerichte. Da und dort gibt er Anweisungen zur Garzeit und zum Tranchieren der Speisen.

 

«Eine ganz andere Logistik»

Der Sternekoch aus dem Berner Jura hat sein Quartier für drei Tage im SZB aufgeschlagen. Er folgt damit einer Einladung des Chefarztes der Inneren Medizin, Daniel Genné. «Ich habe sofort zugesagt, denn Ernährung ist ein Schwerpunkt des Lebens», erklärt Soldati und glaubt: «Eine schmackhafte und abwechslungsreiche Küche unterstützt die Rehabilitation der Kranken und hebt das Wohlbefinden aller Menschen.»

Spitälern haftet der Ruf an, keine einladende Küche zu bieten. Der Chef des «Le Cerf» widerspricht und verteidigt die Krankenhaus-Gastronomie: «Diese Sparte hat in den vergangenen Jahren enorme Veränderungen erlebt. Vieles wurde bei diesem Prozess hinterfragt.»

Jean-Marc Soldati ist sich gewohnt, für 25 bis 30 Personen auf Vorbestellung zu kochen. Mit seinem Einsatz in der Grossküche will er «dem Spitalpersonal, das in den letzten Jahren grosse Opferbereitschaft gezeigt hat, Dankbarkeit erweisen». Dafür musste sich der Chef umstellen: vom gediegenen Plattenservice in den Kantinenbetrieb mit 300 Menüs. Dabei war nicht klar, wie viele Mitarbeitende zum Mittagessen im Spitalrestaurant erscheinen würden. Bewundernd meint denn auch Soldati: «Ich erlebe hier eine ganz andere Logistik. Die Organisation hinter der Bereitstellung von so vielen Mahlzeiten ist verblüffend.»

 

Haute cuisine im Spital

Das Anrichten der Teller, die an die Krankenbetten geliefert werden, gleicht einem einstudierten Ballett: Die Tabletts mit dem Geschirr rollen auf dem Fliessband an. Eine ganze Armada von Köchinnen und Köchen teilt sich die Präzisionsarbeit: Einer serviert das Fleisch, eine andere Teigwaren, ein dritter Gemüse. Dabei werden bei jeder Portion individuelle Wünsche der Patientinnen und Patienten und Diätvorschriften berücksichtigt. Und so erscheinen am Ende des Bandes die hübsch garnierten Teller. Ein Koch wirft einen letzten Kontrollblick auf die Speisen und fügt da und dort eine Garnitur mit frischen Kräutern hinzu.

Dann werden die Tabletts in Wärmewagen geschoben und auf die verschiedenen Stationen gebracht. Bis zum Essen bleiben die Speisen 30 bis 40 Minuten heiss.

Jean-Marc Soldati ist kein Diätkoch. Deshalb hat er nicht alle Spezialmahlzeiten selbst zusammengestellt. Die Patientinnen und Patienten sind über Anwesenheit des Sternekochs im SZB informiert. Kein Wunder, bestellen etliche ein von ihm vorgeschlagenes Menü. «Den Garprozess im Griff zu behalten», sei bei dieser Form der Verpflegung «knifflig», so der Chef. Bei der Zubereitung des Seesaiblings geht er wie folgt vor: «Ich koche den Fisch ganz leicht bis zu einer Kerntemperatur von 30 Grad. Dank Induktionstechnik im Transportwagen gart der Saibling sanft bis auf den Punkt weiter.»

Es ist 11.20 Uhr. Im SZB-Restaurant Beau Moment treffen die ersten Mitarbeitenden ein. Unter der aufgehängten Speisekarte sind die drei Menüs auf Tellern ausgestellt. Heute heisst es Haute cuisine im Spitalrestaurant: Kürbissuppe mit frittiertem Ingwer und kleinen Brot-Croûtons; gerollte Geflügelbrust, gefüllt mit Shiitake-Pilzen und Winterspinat an kräftiger Rotweinsauce; Saiblingfilet im Kräutermantel glasig pochiert an feiner Weisswein-Velouté, dazu Schnittlauch gebunden mit weisser Butter, Basmatireis, kleine Gemüsewürfeli glasiert; zwei farbige Tofuterrinen im Haselnussmantel, Spinatschaum.

Die Beilagen sind nicht minder verlockend: Gemüse-Symphonie mit Karotten, Pastinaken, Kohlraben und Rosenkohlblättern geschwenkt in Butter. Als Dessert empfiehlt Jean-Marc Soldati sein Schokoladen-Crumble mit weissem Schokoladenmousse, dazu ein Karamellgelee mit gerösteten Nusssplittern.

 

Lob von allen Seiten

Nach dem Essen gehen alle Teller leer in die Küche zurück – wenn das kein Kompliment für den Chef ist. «Es war ausgezeichnet», bestätigt Antoine Oesch, leitender Arzt in der Chirurgie. «Der Gratin zergeht auf der Zunge, das Fleisch war auf den Punkt gekocht und die Sosse gut gewürzt», stimmt sein Arztkollege Boris Schiltz ein und meint: «Das ist mal eine Abwechslung von der Routine.»

Oesch, der regelmässig im Restaurant des SZB isst, präzisiert jedoch: «Hier wird stets sehr gute Küche geboten.» Die Demonstration von Soldati komme «mit seinen raffinierten Menüs eine Nuance souveräner» daher. Kaum hat er sein Dessert verspeist, verspricht Boris Schiltz, heute und morgen wieder im «Beau Moment» zu essen. Antoine Oesch bedauert, dass er freitags nicht im Haus ist.

Jedenfalls begrüssen die zwei Ärzte die Initiative des SZB und hoffen, dass der Anlass wiederholt werde. Er habe in mehreren Schweizer Spitälern gearbeitet, aber «etwas Vergleichbares habe ich noch nie gesehen», so Schiltz.

Auch in der Küche wird der Besuch von Jean-Marc Soldati als «inspirierend für das ganze Team» erlebt. Matteo Tschenett, der Verantwortliche für die Gastronomie am SZB, freut sich über die Tipps vom Meister. Er möchte in Zukunft einige Rezepte nachkochen und gerne wieder einen Sternekoch empfangen: «Es gibt in der Schweiz viele gute Chefs, und ein Austausch ist für alle eine Bereicherung.»

Soldati pflichtet ihm bei. Das Abenteuer habe ihm die Augen für die Besonderheiten der Spitalgastronomie geöffnet. Ein erstes Fazit des Gastgebers aus Sonceboz: «Ich weise jede Kritik an der Küche des Spitalzentrums zurück.»

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