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Wochenkommentar

Ein Zeichen gegen homophobe Hetze setzen

Die 90er-Jahre: In der persönlich gefärbten Wahrnehmung war das eine Zeit des Aufbruchs. Menschen erkämpften sich Freiheit, totalitäre Systeme zerbrachen, Grenzen begannen zu verschwinden, die sexuelle Orientierung verlor an Relevanz – «anything goes».

Andrea Butorin

von Andrea Butorin, Redaktionsleiterin Kontext

«Anything» – bis zu dem Punkt, an dem andere Menschen Schaden nehmen. 1994 wollte der Bundesrat wegen «Anzeichen latenter Fremdenfeindlichkeit» öffentlich verbreiteter Hetze und Hass einen Riegel schieben. Die Schweizer Stimmbevölkerung folgte ihm und nahm das Antirassismusgesetz klar an. Seither ist es gemäss Strafgesetzbuch und Militärstrafgesetz verboten, öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder zu Diskriminierung aufzurufen.

Vieles, wofür der Weg in den 90ern geebnet schien, hat sich leider nicht bewahrheitet. Heute werden wieder Mauern aufgebaut, Grenzen geschlossen, Kriege geführt. Auch die Diskriminierung ist nicht aus der Welt geschafft. Im Gegenteil, der Umgangston scheint rau wie nie zuvor, ganz besonders im Internet. Das bekommen insbesondere jene zu spüren, die anders sind.

Und so ist auch homophobe Gewalt in der Schweiz immer noch Alltag. LGBT–Organisationen registrierten jüngst im Rahmen eines Monitorings, das ein Jahr lang durchgeführt wurde, jede Woche zwei diskriminierende Vorfälle gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle oder Transgender. Dem will der Bundesrat nun erneut einen Riegel schieben, und zwar mit der Ausweitung besagten Artikels auf die sexuelle Orientierung.

Während die Diskriminierung einer homosexuellen Einzelperson auch heute schon straf- oder zivilrechtlich geahndet werden kann, ist es bislang nicht verboten, Homosexuelle als Gruppe zu beschimpfen oder herabzuwürdigen. Am 9. Februar hat die Stimmbevölkerung nun die Gelegenheit, das zu ändern. 

In einem Artikel zum Thema, der unter anderem in der «Solothurner Zeitung» und der «Luzerner Zeitung» erschien, beantwortet Journalist Karl Kälin die Frage, was im Fall einer Gesetzesannahme gemäss den Gegnern nicht mehr zulässig sei, wie folgt: «Der Sittener Bischof Jean-Marie Lovey sagte in einem Interview, Homosexualität sei eine Schwäche der Natur, die geheilt werden könne. Die Gegner warnen, dass eine solche Äusserung von der neuen Strafnorm erfasst werden könnte. Sie befürchten auch, dass der Bäcker sanktioniert wird, der sich weigert, einem homosexuellen Paar einen Hochzeitskuchen zu backen. Das gleiche gilt für einen christlichen Hotelbesitzer, der homosexuellen Paaren kein Zimmer vermietet und dies in der Hausordnung vermerkt.»

Mit dieser Antwort liefert Kälin die besten Argumente für eine Annahme der Gesetzeserweiterung. Denn will jemand ernsthaft dem Sittener Bischof, dem Bäcker und dem Hotelier solcherart verbale Entgleisungen durchgehen lassen? Oder dem früheren SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi, der sagte, Homosexuelle hätten einen «Hirnlappen, der verkehrt läuft»?

«Anything goes» darf auch heute nicht bedeuten, dass man jegliche übergriffige Äusserungen tolerieren muss. Deshalb greift das Argument nicht, das Gesetz sei ein Angriff auf die Meinungsäusserungsfreiheit. Das behaupteten 1994 schon die Gegner des Antirassismusgesetzes.  Laut Daniel Jositsch, Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht sowie SP-Ständerat, ist es laut «NZZ Online» aber nicht so, dass jede Form der Diskriminierung bestraft wird, «sondern lediglich massive Übergriffe, die die betroffene Person im Kern ihrer Menschenwürde treffen».

Hinsichtlich der geplanten Gesetzesreform ist allerdings der Einwand gerechtfertigt, dass Trans- und Intermenschen davon ausgeschlossen sind. Schuld an dieser Lücke ist der Nationalrat, der die Erweiterung des Diskriminierungsschutzes auf Basis der Geschlechteridentität vereitelte.

Und die Übergewichtigen? Die Alten? Die Handicapierten? Unbestritten findet auf verschiedensten Ebenen Diskriminierung statt. Und doch gibt es aufgrund der zahlreich dokumentierten Vorfälle gegen Homosexuelle gute Gründe, dieses Gesetz jetzt anzunehmen.

In der Hoffnung, dass weitere Ergänzungen aufgrund einer zur Räson gekommenen Gesellschaft und gestiegener Toleranz schlicht nicht mehr nötig sein werden.

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