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Biel

Eine Frage des Rückfallrisikos

Der Bieler Peter Hans Kneubühl soll ordentlich verwahrt werden. Für ein Gericht immer das letzte Mittel. Ziel ist es eigentlich, jemanden zu therapieren, damit er nicht rückfällig wird. Drei Varianten der Verwahrung gibt es in der Schweiz.

Symbolbild: bt/a
  • Dossier

Deborah Balmer

Anfang März wird Peter Hans Kneubühl wieder vor den Richtern am Regionalgericht Berner Jura-Seeland stehen. Seine Vorgeschichte ist bekannt: Der heute 76-Jährige hatte im September 2010 das Lindenquartier und am Ende die ganze Stadt Biel in Atem gehalten. Neun Tage lang war er auf der Flucht vor der Polizei, er gab mehrere Schüsse ab, einer davon traf einen Polizisten am Kopf und verletzte ihn (das BT berichtete).


Schuldfähig ist er gemäss den Richtern nicht. Laut Psychiatern soll Kneubühl an einer starken wahnhaften Störung leiden. Er befindet sich derzeit in einer vom Gericht angeordneten stationären therapeutischen Massnahme. Weil er sich dort aber nicht auf die Therapie einlässt (freiwillig oder krankheitsbedingt), soll der als «Amok-Rentner» bekannt gewordene nun verwahrt werden. Ein entsprechender Antrag kommt von den Bewährungs- und Vollzugsdiensten des Kantons Bern. Nicht ausgeschlossen, dass Kneubühl den Rest des Lebens in einer geschlossenen Einrichtung verbringen muss.


Doch was bedeutet es für einen Straftäter, wenn er verwahrt wird? In erster Linie heisst das, dass das Gericht zu einem letzten Mittel greift. Denn Ziel ist eigentlich immer, eine Person zu therapieren, damit sie wieder entlassen werden kann und keinen Rückfall hat. Ist sie untherapierbar, kann es zur Verwahrung kommen.


Jonas Weber ist Strafrechtsprofessor an der Universität Bern. Er sagt, dass es vom Gesetz her kein Problem sei, eine psychisch schwer kranke Person zu verwahren. «Auch dann, wenn sich diese vielleicht gerade aufgrund einer psychischen Krankheit nicht auf eine Therapie einlässt.» Für diese Person sei das aber natürlich tragisch, weil sie vielleicht subjektiv gesehen gesund sei. «Und es eben nicht um den Unwillen, sondern um die Unfähigkeit geht», so Weber.


Er drohte, sich zu rächen
Bei der Verwahrung handelt es sich nicht wie beim Freiheitsentzug um eine Strafe für eine kriminelle Tat, sondern um den Schutz der Bevölkerung. «Die Sicherheit der Bevölkerung muss dann gegen die Freiheitsrechte des Betroffenen abgewogen werden», sagt Jonas Weber.
Was genau bei Peter Hans Kneubühl alles versucht wurde, um auf seine wahnhafte Störung einzugehen, wird das Regionalgericht beurteilen müssen. Wie hoch ist die Rückfallgefahr? Muss man weitere schwere Straftaten befürchten?
Das Gericht führte schon 2013 beim erstinstanzlichen Urteil am Regionalgericht Biel an, dass es nicht sicher sei, ob eine Therapie bei ihm anschlage. Weil er in seiner eigenen Welt lebe, in der er gegen einen Polizeistaat kämpfte und nicht das Gefühl habe, krank zu sein. Kneubühl drohte auch damit, sich an gewissen Leuten zu rächen.


Eine ordentliche Verwahrung wird im Anschluss an eine abgesessenen Freiheitsstrafe vollzogen. Sie muss regelmässig überprüft werden.


Wenn die Gefahr besteht, dass der Straftäter in Freiheit rückfällig wird, kann auch die ordentliche Verwahrung ein Leben lang dauern.
Mit Sicherheit ein Leben lang dauert die lebenslängliche Verwahrung. Möglich ist das lebenslange Wegsperren von sehr gefährlichen Gewalt- oder Sexualverbrechern erst, seit 2004 eine entsprechende Volksinitiative angenommen wurde. Zwei Psychiater müssen unabhängig voneinander befinden, dass ein Täter, der ein besonders grausames Verbrechen begangen hat, untherapierbar ist. Im Gegensatz zur ordentlichen Verwahrung gibt es dabei keine Möglichkeit auf eine Entlassung oder einen Hafturlaub. Entlassen werden könnte ein lebenslang Verwahrter höchstens, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse eine erfolgreiche Therapie möglich machen.


Das Bundesgericht hat allerdings bisher jede Verurteilung zu einer lebenslangen Verwahrung wieder aufgehoben. In der Schweiz gibt es einen einzigen Täter, bei dem das Gericht im Jahr 2010 eine lebenslange Verwahrung ausgesprochen hat. Und dieser hat sich zuzusagen selber verwahrt, weil er das Urteil aus freien Stücken nicht weiterziehen wollte. Allerdings verbüsst der Mann, ein Vergewaltiger und Mörder einer Prostituierten, zunächst eine Freiheitsstrafe von 20 Jahren. Die lebenslange Verwahrung wurde also in der Schweiz noch nie vollzogen.


Wird eine Behandlungsmassnahme in einer geschlossenen Anstalt vollzogen, spricht man von der «kleinen Verwahrung». Der Grund:Diese Massnahme ist von Gesetzes wegen zwar auf fünf Jahre befristet, kann aber beliebig oft verlängert werden.
Geregelt ist diese in Artikel 59 des Strafgesetzbuches. Angeordnet wird sie, wenn eine schwere psychische Störung vorliegt, die mit der Tat zusammenhängt.  

Verstoss gegen Menschenrechte
Sicher ist, dass bereits die ordentliche Verwahrung umstritten ist. Weil es sich dabei wie erwähnt um eine Massnahme und nicht um eine Strafe handelt, sollte sich diese eigentlich deutlich von Vollzug einer Freiheitsstrafe unterscheiden. «In der Schweiz sind aber zwischen 90 und 95 Prozent der Verwahrten unter normalen Strafbedingungen untergebracht. Einzig der Titel vom Strafgefangenen zum Verwahrten ändert sich», sagt Weber. Eine Praxis, die laut Weber gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstösst.


Anders in Deutschland, wo es keine Vermischung von Freiheitsstrafen und Sicherheitsverwahrung gibt. Dort werden gefährliche und nicht therapierbare Straftäter nach dem Verbüssen der der schuldangemessenen Freiheitsstrafe in eine Art hochgesichertes Wohnheim verlegt, in dem sich die Lebensqualität deutlich von der eines Gefängnisses, unterscheidet.


Sei es, weil sie in einem grösseren Zimmer leben oder grosszügigere Freizeitangebote erhalten. «Dass dies in der Schweiz nicht der Fall ist, kann man als skandalös bezeichnen», sagt  Weber.

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