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Föderalismus

Eine Region, eine Stimme

Eine Reform des Ständerates sei notwendig, davon sind viele Politiker überzeugt. Nur, wer soll einen Sitz im Stöckli erhalten: der Berner Jura, Biel oder die Frankophonen?

Die beiden Berner Ständeräte Werner Luginbühl (BDP, Krattigen) und Hans Stöckli (SP, Biel) sollen Gesellschaft bekommen. Doch eine Reform des Stöcklis erscheint heute als unüberwindbare Hürde, Bild: Olivier Gresset/bt

von Fabian Maienfisch

Beim Joggen ist Anne-Caroline Graber auf eine Idee gekommen. Eine Idee, die die politischen Strukturen der Schweiz, wie sie seit 1848 fast unverändert existieren, grundlegend verändern könnte. Die SVP-Grossrätin aus Neuenstadt plant nichts Geringeres als die Reform des Ständerates. Konkret soll die «chambre de reflexion» von 46 auf 70 Sitze vergrössert werden. Doch warum will eine Kantonspolitikerin die politischen Institutionen des Bundes verändern?

«Seit 2011 hat der Berner Jura zum ersten Mal in der Geschichte keinen eigenen Vertreter mehr im Bundesparlament», sagt Graber. Bei den Nationalratswahlen 2011 wurde ihr Vater, Jean-Pierre Graber (SVP), abgewählt. Und seither brodelt es im Berner Jura: Die frankophone Minderheit ist über die Parteigrenzen hinweg unzufrieden (siehe Infobox).

«Diese Entwicklung bedroht die Identität des Kantons», ist Graber überzeugt. Denn: Wenn Bern sich weiterhin als bilingue sehen will, und als Brücke zur Westschweiz, dann brauche es einen frankophonen Berner auf Bundesebene. Darum bereitet sie jetzt eine überarbeitete Standesinitiative vor.

 

Ein berechtigtes Anliegen?

Darin will die studierte Politologin den bevölkerungsreichen Kantonen mehr Gewicht geben sowie die Halbkantone abschaffen (siehe Grafik). Es sei heute nicht mehr zu rechtfertigen, dass der Halbkanton Basel-Landschaft mit 280 000 Einwohnern lediglich einen Ständerat stelle, während Schaffhausen mit nur 80 000 Einwohnern zwei habe. «Die demografische Entwicklung wird nicht beachtet. Das macht keinen Sinn», sagt sie. Gemäss ihrem Modell bekämen Bern und Zürich - die zwei einzigen Kantone mit über einer Million Einwohnern - fünf Sitze im Stöckli. Einer der fünf Berner Sitze wäre für den Berner Jura reserviert. Weiter würden alle Halbkantone mindestens einen zweiten Sitz erhalten. Die restlichen Kantone erhalten abgestuft nach Bevölkerungsgrösse ihre Ständeräte. Wichtig sei, dass kein Kanton einen Sitz verliere, betont Graber.

Um auf die bernjurassische Minderheit aufmerksam zu machen, sei Grabers Anliegen berechtigt, sagt Fritz Sager, Politologe am Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern. Und dass der Schweizer Föderalismus hinsichtlich Repräsentation Schwächen hat, bestreitet er nicht. Indes: «Daraus eine vollständige Neuordnung des Ständerats abzuleiten, ist aus meiner Sicht übertrieben.»

Sager macht einen grundlegenden Fehler in der Idee aus: Ein gewichteter Ständerat würde das Prinzip des Föderalismus verletzten. Denn dieses besagt, dass alle Kantone gleich sind. «Wenn der Ständerat laufend an die Kantonsdemografie angepasst wird, verliert er seine Funktion als Vertretung der gleichberechtigten Kantone.»

 

Wo bleiben die Städte?

Laut Sager würde die Reform des Weiteren zu einer noch stärkeren Vertretung der bereits gut vertretenen ländlichen Randregionen im Ständerat führen. Daher erwartet der Professor für Politikwissenschaft vor allem aus den urbanen Räumen Opposition.

Tatsächlich fühlen sich die Städte gegenüber dem Land untervertreten. Vor einigen Jahren haben Vertreter des Städteverbandes verlangt, dass die Zahl der Ständeräte um zehn erhöht werden sollte, um den zehn grössten Schweizer Städten je einen Ständeratssitz zu geben. Aufgrund dieser Idee hätte Biel einen Vertreter ins Stöckli entsenden dürfen. Die Idee hatte aber keine Chance.

Eine angemessene Vertretung der Städte auf Bundesebene fordert auch Biels Stadtpräsident Erich Fehr. «Ich sehe keinen Grund, warum die ländlichen Regionen noch mehr Gewicht bekommen sollten.» Der SP-Mann hält fest, dass die Interessen der urbanen Schweiz beim Bund zu oft ignoriert werden. Fehr anerkennt aber, dass der Berner Jura ein spezieller Fall sei, gehe es doch um eine sprachliche Minderheit innerhalb eines Kantons. «Wir müssen darum innerhalb des Kantons Bern eine Lösung suchen.»

 

Was tun die Berner Parteien?

Dieser Ansicht ist auch Hans Stöckli. Der Bieler sitzt seit drei Jahren für die SP im Ständerat. Grabers Reformvorschläge stossen bei ihm grundsätzlich auf offene Ohren. Grosse Chancen räumt er der Idee aber nicht ein. Wie Parteikollege Fehr glaubt auch er, dass die Berner bemüht sein müssten, selber für eine angemessene Vertretung der französischen Bevölkerung im Bundesparlament zu sorgen. Stöckli nimmt daher die Berner Parteien in die Pflicht: Bei der Listengestaltung und im Wahlkampf sollten sie dafür sorgen, dass die Frankophonen wieder ausreichend vertreten sein werden.

Am 18. Oktober 2015 wird sich zeigen, ob Stöcklis Mahnung ernst genommen wurde. Dann finden die nächsten Eidgenössischen National- und Ständeratswahlen statt. Einiges scheint sich aber bereits jetzt zu tun. So hat beispielsweise der Vorstand der SVP Kanton Bern der Delegiertenversammlung vom Januar 2015 empfohlen, die beiden Kandidierenden der UDC Jura Bernois - Anne-Caroline Graber und Grossrat Manfred Bühler (Cortébert) - zuoberst auf der Liste für den Nationalrat zu platzieren. Die Berner SP gesteht den Frankophonen eine eigene Liste zu. Und die Liberalen haben die bilingue Stadt-Bernerin Claudine Esseiva für den Ständerat nominiert.

Anne-Caroline Graber will sich jedoch nicht auf diese Bemühungen verlassen. Um ihre Idee aufs politische Parkett zu bringen, hat sie eine Standesinitiative vorbereitet, die sie überarbeitet in Kürze als Motion in den Grossen Rat einbringen wird. Das Berner Parlament wird dann entscheiden, ob es Grabers Vorschlag an die Eidgenössischen Räte überweisen will. Das wird jedoch nicht mehr vor den nächsten Wahlen der Fall sein.

Kommentare

rowoltz1955

Wieso nicht den Ständerat abschaffen ?? Seit Jahren blockieren sich die beiden Räte. Der NR könnte auch aufgewertet werden. Nur ein Rat würde mehr Effizienz und Kosteneinsparungen bedeuten !


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