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Biel

Eine Schwarze Null,
 versehen mit vielen Fragezeichen

Das Budget 2021 der Stadt Biel sieht trotz massiven Corona-Auswirkungen ein ausgeglichenes Ergebnis vor. Möglich wird dies nur dank ausserordentlichen Buchgewinnen in der Höhe von 25 Millionen Franken.

Besorgter Blick auf die Entwicklung der Bieler Stadtfinanzen: Finanzdirektorin Silvia Steidle.
 Bild: Matthias Käser

Lino Schaeren

Die Coronakrise trifft nicht nur die Bieler Unternehmen, sondern auch die Stadt selbst schwer. Das verdeutlicht das Budget für das Jahr 2021, das Finanzdirektorin Silvia Steidle (PRR) gestern präsentiert hat. Zwar sieht die Erfolgsrechnung letztlich ein ausgeglichenes Ergebnis vor. Dies aber nur, weil die massiven Einnahmenausfälle durch Buchgewinne in der Höhe von 25 Millionen Franken ausgeglichen werden. Alleine bei den juristischen Personen rechnen die Behörden mit einem Minderertrag gegenüber dem Budget 2020 von rund 13 Millionen – was einem Minus von knapp 38 Prozent entspricht. Das ist ein deutlich stärkerer Rückgang als in anderen Städten prognostiziert. Grund dafür ist, dass der exportorientierte Wirtschaftsstandort Biel von der Krise besonders stark getroffen wurde.

Um überhaupt eine Schätzung der Steuereinnahmen für das Budget 2021 vornehmen zu können, hat Steuerverwalter Urs Stauffer auf ein ungewöhnliches Mittel gesetzt: Er hat nebst den Prognosen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) und weiterer Fachexperten direkt bei den grossen Bieler Unternehmen Klinken geputzt. Trotzdem seien die Zahlen mit Vorsicht zu geniessen. Stauffer sagt: «In 25 Jahren, in denen ich am Budgetprozess in Biel beteiligt bin, war die Ungewissheit nie so gross wie jetzt.» Weil auch in Biel viele Angestellte über Monate in Kurzarbeit versetzt wurden und die Arbeitslosenquote merklich angestiegen ist, rechnet die Finanzdirektion auch bei den natürlichen Personen mit einem Minus bei den Steuereinnahmen von 1,5 Millionen Franken.

Einzig der Mehreinnahmen bei der Liegenschaftssteuer aufgrund der «Allgemeinen Neubewertung 2020» ist es zu verdanken, dass die budgetierten Steuereinnahmen gegenüber dem Voranschlag 2020 nur um 14 Millionen Franken auf knapp 135 Millionen sinken sollen: Der tiefste Wert seit 2015 – und das, obschon 2016 die Steuern für die natürlichen Personen um einen Zehntel erhöht worden sind. Das zeigt einmal mehr, wie abhängig die Stadt Biel von den Unternehmenssteuern ist; die Pro-Kopf-Steuerkraft in der Seeland-Metropole ist im Vergleich mit anderen Städten äusserst tief.

Eine Vision finanzieren

Trotz des prognostizierten Einbruchs bei den Steuereinnahmen sieht das Budget 2021 weder Sparmassnahmen noch eine Steuererhöhung vor. Im Gegenteil: So steigt etwa der Personalaufwand um 2,1 Prozent auf 93,7 Millionen Franken. Die Investitionen sollen zudem mit 47,6 Millionen weiterhin hochgehalten werden. Der Gemeinderat hält fest: Bei wachsender Bevölkerung sei es unausweichlich, weiter in die öffentliche Infrastruktur, vor allem in die Schulgebäude, zu investieren. Dafür wird sich die Stadt weiter verschulden müssen. Denn die Liquiditätsrechnung im Budget 2021 ist tiefrot: Der Selbstfinanzierungsgrad liegt bei minus 14 Prozent. Konkret heisst das: Die Stadt wird knapp sieben Millionen Fremdkapital aufnehmen müssen, um überhaupt die Verwaltungskosten decken zu können. Für die Investitionen kommen dann noch einmal knapp 50 Millionen hinzu – der Fehlfinanzierungsbetrag beträgt insgesamt also rund 55 Millionen Franken.

In der Erfolgsrechnung wird das Minus indes durch Buchgewinne ausgeglichen. Zum einen will der Gemeinderat ein Defizit mit der Entnahme von zehn Millionen aus der Spezialfinanzierung «Buchgewinne aus Liegenschaften des Finanzvermögens» verhindern. Finanzdirektorin Steidle verweist darauf, dass diese Kasse genau für solche Fälle vorgesehen sei. Zum anderen setzt die Stadtregierung auf Reserveauflösungen: Die durch die Ausgliederung des Energie Service Biel (ESB) erzielten Aufwertungsgewinne müssen seit 2018 gesetzlich vorgeschrieben über 16 Jahre linear abgeschrieben werden; was der Stadt jährlich gut 10 Millionen Franken einbringt. Fünf Millionen davon fliessen direkt in eine weitere Spezialfinanzierung, die andere Hälfte bessert die Stadtrechnung auf.

Doppelt so hohe Buchgewinne will der Gemeinderat ab 2021 zudem mit der Auflösung der Neubewertungsreserve des Finanzvermögens erzielen. Die lineare Auflösung über fünf Jahre würde jährlich eine buchhalterische Besserstellung um 20 Millionen Franken bedeuten; allerdings sieht der Gemeinderat auch hier vor, mit der Hälfte davon eine Spezialfinanzierung zu äufnen: Bis 2025 sollen so 50 Millionen in die Kasse «Umsetzung der Strategie Biel 2030» fliessen.

Der Gemeinderat hatte seine «Vision 2030» vergangenes Jahr formuliert; sie sieht etwa Klimaziele, die Förderung der Zweisprachigkeit oder Leitlinien für die Stadtentwicklung vor. Laut Steidle soll die neue Spezialfinanzierung es der Regierung in der kommenden Amtszeit ermöglichen, die Strategie mit konkreten Massnahmen umzusetzen. Die Auflösung der Neubewertungsreserve linear über fünf Jahre ab 2021 ist gesetzlich vorgegeben – solange die Gemeinde nichts anderes definiert. Die Stadt Biel könnte also durchaus entscheiden, mit den rund 100 Millionen in kleineren Tranchen die Stadtrechnung über einen deutlich längeren Zeitraum aufzubessern – oder aber ganz auf eine Auflösung zu verzichten. Der Gemeinderat selber wollte die Reserve ursprünglich über sieben Jahre auflösen, was jährlich 14 Millionen Buchgewinn ergeben hätte. Der Stadtrat wies das entsprechende Reglement diesen Juni aber zurück, die Regierung muss noch einmal über die Bücher. Je nach dem, wie das Parlament die Auflösung in der nächsten Runde ausgestalten will, müsste dann auch das Budget 2021 angepasst werden – in den roten Bereich. Dadurch gerät der Stadtrat zusätzlich unter Druck.

Trotz der angespannten Situation in der Coronakrise sagt Frédéric Ryser nach wie vor: «Die Bieler Stadtfinanzen sind gesund.» Der Abteilungsleiter Finanzen sieht die hohen Schulden Biels zwar als Problem, das er zusammen mit der gesamten Finanzverwaltung seit seinem Stellenantritt versuche, einzudämmen. Die jetzige Krise biete der Stadt jedoch keine andere Alternative, als auf Fremdkapital zurückzugreifen. Das, so Ryser, sei der einzige Weg, um die Aktivitäten der Verwaltung und die Investitionen sicherzustellen. Im Finanzplan ist eine Bruttoverschuldung im Allgemeinen Haushalt bis Ende 2021 von 805 Millionen Franken vorgesehen. Entgegen kommt Biel, dass die Zinssätze nach wie vor tief sind – und sie sollen laut städtischer Prognose bis 2024 sogar noch etwas weiter sinken. Die Stadt zahlt derzeit bei einem durchschnittlichen Satz von 1,2 Prozent jährlich 10,15 Millionen Zinsen für Darlehen.

Einnahmequellen gesucht

Trotz des Optimismus für 2021 ist sich auch der Finanzchef bewusst, dass die Reserven in Form von Buchgewinnen die Auswirkungen der Krise höchstens mittelfristig auffangen können. Der Gemeinderat hofft denn auch, dass das optimistische Szenario der Experten des Staatssekretariats für Wirtschaft eintreten wird: Dieses sieht eine rasche konjunkturelle Erholung im In- und Ausland vor, während das zweite Szenario von einer zweiten Coronawelle ausgeht.

Egal ob pessimistisch oder optimistisch: Im Bieler Finanzplan wird für das Jahr 2022 in jedem Fall ein städtisches Defizit prognostiziert. Steidle sagt denn auch: «Uns fehlen derzeit Einnahmen von rund 20 Millionen.» An eine Steuererhöhung sei zumindest kurzfristig aber nicht zu denken, da eben gerade auch die Unternehmer und Privatpersonen von der Krise hart getroffen worden seien. Der Gemeinderat hat deshalb im August eine externe Studie in Auftrag gegeben, die mögliche zusätzliche Einnahmequellen für die Stadt aufzeigen soll. Eine davon könnte städtischer Wohnungsbau sein, wie Steidle auf Anfrage bestätigt.

Die Finanzdirektorin wird kommenden Monat aber erst einmal das Budget 2021 durch den Stadtrat bringen müssen. Steidle rechnet mit einer intensiven Diskussion im Parlament – und das wohl zurec ht. Die SVP jedenfalls, die seit Jahren nach Ausgabenbeschränkungen ruft, hat gestern nach der Budgetpräsentation die Forderung nach einer Aufgabenverzichtsplanung schon einmal mittels Medienmitteilung erneuert.

Stichwörter: Finanzen, Budget, Gewinn

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