Sie sind hier

Abo

Biel-Mett

Eine Vernunftheirat und für Biel eine Premiere

Die Baugenossenschaft Mettlenweg reisst ihre Siedlung am Narzissenweg in Biel-Mett ab und erstellt einen Neubau. Für das 50-Millionen-Projekt hat sie einen Investor an Bord geholt.

Der Neubau der Genossenschaft Mettlenweg: Geplant sind zwölf Häuser mit insgesamt 138 Wohnungen. Die Mietpreise sind dem Bieler Markt angemessen und bewegen sich zwischen 1140 und 1780 Franken pro Monat. Carole Lauener/bieler tagblatt

Benedikt Loderer, Stadtwanderer

«Die klügste Sanierung ist das Abreissen», stand vor gut drei Jahren im «Bieler Tagblatt». Unterdessen hat die Baugenossenschaft Mettlenweg Ernst gemacht: Zurzeit ist die Abrissbirne am Werk. Die biederen Wohnblöcke aus dem Jahr 1949 verschwinden und machen neuen Bauten Platz. Eine Baugenossenschaft unternimmt einen Ersatzneubau – in Biel zum allerersten Mal. Stichwort Unternehmung, die Genossenschaft wird zur Unternehmerin. Etwas, was sie gut 60 Jahre nie mehr war. Sie gründet dafür auch eine eigene Genossenschaft: Narcisse Jaune. Der Vorstand macht sich vom Verwalter zum Bauherren und will ein 50-Millionen-Projekt verwirklichen, was zweierlei braucht: Mut und Vorsicht. Das ist der eine Teil der Geschichte.

Das Land heiratet das Geld

Der andere ist die Vernunftheirat. Die Braut hat das Land und der Bräutigam das Geld. Zwar ist die Genossenschaft nicht arm, sie hat als Eigenkapital das Grundstück. Doch wenn sie in ihre Kasse schaut, ist da doch zu wenig drin. Bei 50 Millionen geht der Braut der Schnauf aus, die Vorsicht dämpft den Mut. Es gibt aber Leute, die von Berufs wegen Geld anlegen, die Espace Real Estate aus Solothurn zum Beispiel. Das ist ein bauerfahrener Bräutigam. Sein Geschäft ist das Entwickeln und Abwickeln von Neubauten, in Biel zurzeit ein grosser Wohnblock auf dem Gelände der einstigen Vereinigten Drahtwerke zum Beispiel.

Die Genossenschaft und der Investor tun sich zusammen, sie gründen eine Zweckehe, eine einfache Gesellschaft, und bauen gemeinsam. Das ist nicht Liebe, aber Neigung, denn neben dem nötigen Kapital liefert die Espace Real Estate auch Managementerfahrung, sie hat schon einige Grossbaustellen erfolgreich durchgezogen. Die Vorsicht verlangt Sicherheit. Der Genossenschaftsvorstand findet sie beim Investor.

Der seinerseits findet eine Gelegenheit zur Geldanlage, er macht sein Geschäft. Allerdings ist er Partner, nicht Alleinherrscher, denn er heiratet auch die ganze Vorgeschichte des Projekts. Sie beginnt mit der Frage: Was tun mit den in die Jahre gekommenen Häusern am Narzissenweg? Ihre Grundrisse sind zu eng, ihr Energieverbrauch beängstigend, und ringhörig sind sie auch. 2008 haben die Joliat Suter Architekten in einer Machbarkeitsstudie nachgewiesen, dass Abbrechen und Neubauen das Gesündeste wäre. Doch was da stand, waren nicht einfach Häuser, sondern eine Siedlungseinheit. So steht’s in der Bauverordnung der Stadt Biel. Das heisst, die Siedlung von 1949 ist ein geschütztes Ensemble.

Wollten die Baugenossen sich an die Vorschriften halten und keine Ausnahmen beanspruchen, was Zeit und Mühe sparen hilft, so mussten sie ein Wettbewerbsverfahren durchführen. :mlzd Architekten gewannen den Einladungs-Wettbewerb 2010. Sie haben den Genossenschaftscharakter am besten umgesetzt. Sie schufen ein gemeinsames äusseres Innen, eine Erschliessungs- und Begegnungszone, von der aus alle zwölf Häuser betreten werden. Das alte Ensemble wird durch ein neues ersetzt. Anders herum: Die Braut brachte ein fertiges Projekt in die Ehe. Daran konnte das Paar noch schrauben, grundsätzlich ändern konnte es dies aber nicht mehr.

Neu für Biel ist nicht nur die Vernunftehe der Genossenschaft mit einem Investor, sondern auch, dass die beiden zwar das Grundstück halbieren und jeder seine sechs Häuser kriegt, aber sie trotzdem gemeinsam betreiben. Unter dem Strich hat die Genossenschaft den Erlös aus der Hälfte ihres Grundstücks in ihre Neubauten investiert, und Espace Real Estate hat die andere Hälfte gekauft und ihr Projekt akzeptiert. Aber: Die Hälfte der neuen Wohnungen sind nun nicht mehr gemeinnützig. Ob solche Vernunftehen auch für andere Genossenschaften eine Lösung sind, wird sich weisen. Es wären auch Liebesheiraten unter Genossenschaften denkbar.

Wohnflächen wie um 1970

Doch was ist mit den Leuten, die zum Teil schon seit über 40 Jahren in den alten Häusern wohnen? Sie sind Genossenschafter, also stimmberechtigt. Fürs Abreissen und Neubauen brauchte es da hartnäckige Überzeugungsarbeit des Vorstands. Rund ein Drittel der Mieter wird in der Siedlung bleiben. Sie zügeln alle in die Altbauten der zweiten Etappe, schauen zu, wie die erste wächst, ziehen dann in die erste um und sehen der zweiten beim Bau zu. Gewiss, sie wohnen anschliessend teurer – bequemer und komfortabler allerdings auch (siehe Infobox). Die Genossenschaft bietet auch noch einen sozialen Mehrwert, sprich Gemeinschaftsräume für Mittagstisch, Privatanlässe, Kinderbetreuung, Waschsalon, Fitness, Gästezimmer; im ganzen zehn Angebote, die die «Sozialkompetenz, die Solidarität und den Zusammenhalt» fördern sollen.

Die Mieten sind dem Bieler Markt angemessen, also vergleichsweise niedrig, obwohl die Baukosten hier keineswegs billiger sind. Zwei Faktoren machen das möglich: Zum einen sind alle zwölf Häuser gleich, was Einsparungen durch Wiederholung ergibt. Zum anderen, und das ist wichtiger, sind die Wohnflächen knapper als unterdessen üblich.

Die Grundrisse sparen an den Verkehrsflächen. Sie entsprechen den Wohnungsgrössen der Göhner-Wohnungen aus den Siebzigerjahren. Es zeichnet sich eine neue Bescheidenheit ab. Für Mieter und für Investoren wohlverstanden. Man könnte sagen: Die Siedlung Narzissenweg ist ein Auftakt. Eine wirklich hoffnungsvolle Ouvertüre hingegen ist es nicht.
 
 

Nachrichten zu Biel »