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Biel

«Eine würzige Suppe verrät den guten Koch»

Im November erinnert der Suppentag jeweils daran, dass es auch in der reichen Schweiz viele arme Menschen gibt. Die bekannte Köchin Annemarie Wildeisen hat gestern am Zentralplatz Suppe geschöpft – und viele Spenden gesammelt.

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Deborah Balmer

Kommen, essen, spenden: Schon kurz vor dem Mittag lassen sich im Zelt beim Restaurant Arcade auf dem Zentralplatz in Biel Passanten von der Fernsehköchin Annemarie Wildeisen Suppe ausschenken. Zwar hat sie das Sellerie-Vanille-Süppchen mit Haselnuss-Crumbels nicht selber gekocht, doch ihren vollen Segen dazu gegeben hat sie: «Diese Suppe schmeckt sehr fein und ist nicht alltäglich. Die leichte Vanille-Note macht sie speziell», sagt Annemarie Wildeisen, die schon zahlreiche Kochbücher verfasst hat und mit ihrer Tochter in einer Kochsendung kocht. «Beim Suppenkochen merkt man, wer ein guter Koch ist: Eine gute Suppe muss stets gut gewürzt sein. Es gibt nichts Schlimmeres als so ein wässriges Süppchen, das nach nichts schmeckt. Und wer sich mit dem Drumherum noch Mühe gibt, kann zusätzliche Punkte holen.» Die zahlreichen Gäste geben ihr Recht, die hellgelbe Sellerie-Suppe von «Arcade»-Koch Ron Fischer ist kein fades Süppchen. «Mm, das schmeckt ausgezeichnet», sagt eine Frau und lässt sich gleich nochmals nachschöpfen. Da spendet man dann gerne etwas mehr Geld für den guten Zweck.

Bereits zum 15. Mal hat gestern in mehreren Schweizer Städten der Suppentag stattgefunden, an dem Geld für arme Menschen gesammelt wird. Berühmte Personen aus Politik, Sport, Kultur und Wirtschaft schöpften wie immer im November in Zürich, Bern, Basel, Aarau und Lausanne Suppe. Wer den Suppentag besuchte, zeigte echte Solidarität mit armen Menschen, die es auch in der reichen Schweiz gibt. Denn die gesammelten Spenden gehen vollumfänglich an die Organisation «Schweizer Tafel». Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Sieben Prozent der Schweizer Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Jede siebte Person in der Schweiz ist von Armut bedroht. Im Gegensatz dazu stehen die zwei Millionen Tonnen Nahrungsmittel, die hierzulande jedes Jahr im Abfall landen. Das ist etwa ein Drittel aller Lebensmittel, die in unserer Wegwerfgesellschaft so vernichtet wird.

«Wussten Sie, dass Armut auch einsam macht?», steht auf dem Flyer der «Schweizer Tafel», der am Bieler Suppentag aufliegt. Täglich verteilt die Schweizer Tafel etwa 16 Tonnen Lebensmittel an 500 Institutionen wie Frauenhäuser, Notunterkünfte und Gassenküchen. Ein Spendenfranken generiert einen Mehrwert von rund 22 Franken und ermöglicht die Verteilung von mehr als 2,4 Kilogramm Lebensmittel an bedürftige Menschen. Denn die «Schweizer Tafel» sammelt bei Grossverteilern Lebensmittel, die noch einwandfrei sind, aber überflüssig, und verteilt diese dort, wo sie dringend gebraucht werden.

«Sie haben hier einen Fan. Darf meine Kollegin ein Foto mit Ihnen machen, Frau Wildeisen?» «Ja, klar», sagt die Köchin und unterbricht kurz das Suppenschöpfen. Sie habe nicht lange überlegen müssen, und spontan zugesagt, um am Bieler Suppentag dabei zu sein. Dahinter stecke schliesslich eine sehr gute Idee: «Armut gibt es leider auch in der Schweiz, obwohl man das im Alltag nicht so mitbekommt», sagt sie. Kennt sie Armut auch aus ihrem eigenen Leben? «Zum Glück nicht. Als Studentin musste ich aber mit wenig Geld auskommen, arm gefühlt habe ich mich dabei aber nie.» 

Der Spendentopf ist schon gut gefüllt. Ein Gast räumt zwischen zwei Löffeln Suppe ein, als geschiedener Mann wisse er, was es heisst, arm zu sein. In seinen härtesten Zeiten habe er auch mal seinen Bruder um Geld anpumpen müssen. «Kein gutes Gefühl.» BDP-Stadtrat Reto Gugger organisiert den Bieler Suppentag vonseiten Credit Suisse mit. Er hat dieses Jahr nicht nur Annemarie Wildeisen ins Boot geholt, sondern auch den Verein der Bieler Soroptimistinnen, die sich weltweit dafür einsetzen, das Leben von Frauen und Mädchen zu verbessern. Der Suppentag lebt nämlich auch von vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern. «Ja, es hat noch mehr Suppe!», ruft Reto Gugger, der findet, dass die Bielerinnen und Bieler besonders grossherzig sind, wenn es ums Spenden geht. «Vielleicht, weil man hier weniger in Schichten lebt als in anderen Städten und jeder jemanden kennt, der arm ist.» Gugger hat eine Art Suppenkoeffizient berechnet und verglichen, wie viel Geld auf wie viele Liter Suppe in den Städten jeweils zusammenkommt. «Biel schneidet da immer sehr gut ab.» Er erlebte es im eigenen Umfeld, wie schnell es manchmal gehen kann, dass jemand plötzlich durch einen Unfall, durch Krankheit oder einen Todesfall von der Sonnen- auf die Schattenseite gerät. «Der Grat zwischen Wohlstand und Armut ist manchmal sehr schmal», sagt er.

Annemarie Wildeisen schöpft und schenkt noch immer Suppe aus. Ihre Lieblingssuppe sei eigentlich eine Sommersuppe, sagt sie: eine mit gerösteten Tomaten. «Ich habe auch ein ausgezeichnetes Rezept für eine Spargel-Vanille-Suppe.» Und gestern hat die berühmte Köchin auf dem Zentralplatz in Biel nun vielleicht auch das Sellerie-Vanille-Süppchen neu in ihr Repertoire aufgenommen.

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