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Aus dem Grossen Rat

Einfach nur (m)ein Velo

Velofahren ist hip. Seit der Klimadebatte erst recht. Und es ist längst normal, dass Velos, elektrisch unterstützt, mit Integralhelm und gelber Nummer, an einem vorbeiflitzen. Velofahren ist gesund, für Mensch und Natur. Das ist keineswegs eine neue Erkenntnis.

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Bei den Vorträgen der einen oder anderen Grossrats-Mitglieder klingt es aber – je nach rhetorischer Begabung – nach «Breaking News». Oder nach einem Sprung in der Schallplatte.

Ungeachtet aller Trends und parteipolitischer Couleur, liebe ich mein Velo, seit mir mein Grossvater das Fahren beigebracht hat. Die Aussicht auf ein «grosses» Velo war wie das Versprechen an die Freiheit, die der «Marlboro-Man» täglich von der Plakatwand herunter versprach. Zufrieden mit sich und der Welt, dem Sonnenuntergang entgegen reitend. Der pure Genuss. Das eigene Velo wurde der Beweis, dass die Kinderschuhe ausgetragen und die Abenteuer-versprechenden Jugendjahre aufgelegt waren.

Offiziell so weit war es beim Wechsel von der Prim in die Sek. Dem Ruf der Freiheit folgend, standen am ersten Schultag der Fünften weit mehr als 70 Velos quasi vor dem Klassenzimmer. Die Stahlrosskoppel, ein viel zu kleiner Unterstand, bot bei weitem nicht genug Platz für unsere treuen Gefährten. Und so begann das bis zum letzten Schultag dauernde Katz-Maus-Spiel mit der grössten Autorität auf der Weide, dem Schulhausabwart. Der hatte kein Verständnis für unsere Komfortansprüche, er hatte dafür zu sorgen, dass die «Göpple» nicht überall herumstanden. Das machte er mit einer Vehemenz, dass jedem Cowboy das Grinsen vergangen wäre. Und es war der Anfang von Parkplatzdiskussionen, die uns wohl alle nie mehr loslassen sollten.

Damals habe ich keinen Meter mehr als nötig zu Fuss zurückgelegt. Mit dem Bus übrigens auch nicht. Viel zu uncool. Ausserdem war die Haltestelle nicht direkt vor dem Schulhaus, womit ich dann doch hätte laufen müssen. Heute, mehr als 30 Jahre später, und um eine bequeme Option reicher – das Auto – kann ich wählen, welches Verkehrsmittel ich nehme. Je nach Bedürfnis und Zielort. Velo fahre ich immer noch gern und oft. Mit eben dieser Selbstverständlichkeit pedalte ich kürzlich zur Bäckerei. Gerade, als eine Bekannte aus dem Laden kam. Erstaunt schaute sie auf mein Velo. «Oh», sagte sie, «fährt die FDP jetzt Velo?» und geht mit einem «Tschü-üss» davon.

Ziemlich perplex bleibe ich vor dem Eingang stehen. Schlagartig wird mir klar; «Marlboro-Man» ist weg und mit ihm die Zeit, in der mein Velo nur ein Velo war. «Das», sage ich laut zu mir selbst, «das ist doch einfach nur mein Velo, kein Statement!»

kontext@bielertagblatt.ch

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