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Gewerbe & Gastronomie

Einlegen und erhitzen, kochen und pröbeln

Drei junge Bieler erfinden ein neues Getränk. Devia hat nur eine Zutat – und die wird von den meisten nicht erkannt. Die Bars in der Region zeigen sich interessiert. Doch dann stoppt die Coronakrise das Projekt. Nun geht es aber los.

«Wie gross wollen wir werden?» Diese Frage haben die drei Männer noch nicht beantwortet. Till Schertenleib, Lukas Schertenleib und Robin van Sloten (von links). Bilder: zvg

von Raphael Amstutz

Eine Küche in Biel. In der Mitte ein Kupferbecher und darum herum drei junge Männer. Es brodelt, es dampft, es riecht. Alchemie im Seeland. Lukas Schertenleib, sein Bruder Till Schertenleib und der WG-Mitbewohner Robin van Sloten tüfteln an einem neuen Getränk. Nach vielen Versuchen entsteht Devia.

Bald soll das Getränk die Menschen in den Bars in der Region und bis nach Bern erfreuen – und vor allem geschmacklich überraschen.

Doch von Anfang an: Die drei Männer, die tüftelnd in der Küche stehen, sind gesellig, treffen sich gerne auswärts und bevorzugen dabei in den Bars Produkte von lokalen Anbietern. Irgendeinmal kommen zwei Gedanken auf: Warum machen wir nicht selber etwas? Und: Warum in bekannten Kategorien – Gin, Whiskey oder Likör – denken?

Und so legen sie los: Sie haben die Ausdauer, sie haben die Kreativität, sie haben die Freude. Nach ausführlicher Lektüre hier und dort kommt bald der besagte Kupferbecher zum Einsatz. Dass Lukas’ Bruder Chemie studiert, ist kein Nachteil. Und so wird eingelegt und erhitzt, gekocht und geprobt. «Manches war schlicht ungeniessbar», sagt Lukas Schertenleib und lacht. Anderes sei auf Anhieb fein gewesen, habe aber einige Zeit später Farbe und Geschmack verändert – «nicht zum Guten», wie er es diplomatisch ausdrückt.

Also wird noch mehr gelesen und noch mehr ausprobiert. Wochenlang. Gleichzeitig werden Brennereien in der Region angefragt. Die drei bleiben schliesslich bei Oliver Matter in Kallnach hängen, der unter anderem den Absinthe von US-Musiker Marilyn Manson herstellt (das BT berichtete). «Oliver Matter ist in der Region der Spezialist für Kräuterschnaps. Wir haben ihn Löcher in den Bauch gefragt und er hat sich sympathischerweise viel Zeit für uns genommen», fasst Schertenleib die ersten Begegnungen zusammen. Nach und nach erfahren sie alles über die richtigen Temperaturen, den Anteil der Verwässerung, die möglichen Mixturen.

Kein Gin, kein Whiskey, kein Obstbrand. Devia ist tatsächlich etwas Neues: Der Drink besteht aus Basilikum. «Bei den zahlreichen Degustationen, die wir im Freundeskreis durchgeführt haben, hat es kaum jemand herausgefunden», so Schertenleib. «Am meisten wurde uns gesagt, der Geschmack erinnere an kalten Verveine-Tee. Die klassische und uns bekannte Basilikumnnote wird durch das Destillieren verändert.» Verkocht wurden testweise auch Koriander oder Salbei. Was die drei gelernt haben: Frische Kräuter werden durch den Destillationsprozess rasch ranzig. Also werden für Devia getrocknete Kräuter verwendet.

Eine Freundschaft zu Matter entsteht – und auch eine geschäftliche Beziehung. Denn ihr Produkt kommt an. Die Jungunternehmer sind gut vernetzt und die Bars und Restaurants, die sie besuchen (in Biel zum Beispiel das «Lokal», das «Provisorium», das «Pooc», die «Lindenegg» oder das «Du commerce», in Bern unter anderen das «Lehrerzimmer»), sind auf Anhieb interessiert. Von den ersten 150 Flaschen, die in Kallnach entstanden sind, werden nicht wenige gleich bestellt. Die Jungunternehmer sind gleichzeitig überrascht und erfreut. «Niemand sagte einfach Nein. Oft wurden wir sogar direkt angefragt, als es sich herumgesprochen hat, dass wir etwas entwickelt haben. Ein solches Vertrauen erleben zu dürfen, ist für absolute Neulinge, die wir ja sind, nicht selbstverständlich», sagt Schertenleib. Und so sind bereits 700 weitere Flaschen in Planung.

Die drei gründen eine AG, da in der Schweiz eine hohe Alkoholsteuer erhoben wird; fast 30 Franken je Liter reiner Alkohol (100 Volumenprozent Alkohol). «Wenn wir eine grössere Menge aufs Mal herstellen, wird das teuer und übersteigt das minimale Eigenkapital einer GmbH bereits. Die AG macht deshalb Sinn und bietet uns mehr Flexibilität für die Zukunft», so Schertenleib.

Mitte/Ende März hätten eigentlich die Bestellungen ausgeliefert werden sollen, eine Lancierung hin auf die warmen Frühlingstage. Dann kommt die Coronakrise und erzeugt auch bei ihnen eine Vollbremsung.

«Unser grosser Vorteil», so Schertenleib, «ist die Tatsache, dass bei unserem Geschäft keine Löhne oder Miete bezahlt werden müssen. Wir sind sehr schlank aufgestellt und jeder von uns hat andere Einnahmequellen.» Wie schwierig es für die kleinen Bars ist, erfahren sie in den zahlreichen Gesprächen, die folgen. Die drei entscheiden sich, den Lokalen einen Solidaritätsrabatt von zehn Prozent auf ihre ersten Bestellungen zu geben. Dies gilt auch für die bereits erfolgten Bestellungen. «So können wir momentan am besten helfen», erklärt Schertenleib.

Apropos zehn Prozent: Dieser Anteil der Einkünfte soll zukünftig in regionale Projekte fliessen. Die Idee dahinter: «Wir wollen lokal bleiben.» Heisst: Wenn Devia zum Beispiel auch in Zürich Erfolg haben sollte, sollen zehn Prozent der «Zürich-Einnahmen» auch in Zürich bleiben. Konkrete Pläne, wer hier in Biel unterstützt werden könnte, gibt es noch keine. Denn erst 2021 wird die Sache aktuell; dann, wenn die Einnahmen von 2020 bekannt sind. «Wir setzen wie beim ganzen Projekt auf die Schwarmintelligenz», sagt Schertenleib. «Wir fragen die Barbetreiberinnen und Lokalbesitzer, wen sie unterstützen wollen.» Ob es dann ein Open-Air, ein Bikepark oder der Umbau einer Bar ist, werde im Plenum, allenfalls mit einer Abstimmung über Social Media entschieden.

Nun freuen sich die drei auf die Lancierung – und hoffen, dass dies bald der Fall sein wird. Lukas Schertenleib blickt mit Dankbarkeit auf die vergangenen Monate, den Weg hin zum fertigen Produkt, zurück: «Als Neulinge sind wir täglich vor neuen Herausforderungen gestanden – und täglich haben wir neue Antworten gefunden und es haben sich neue Freundschaften ergeben.»

«Wie gross wollen wir werden?» Diese Frage haben die drei noch nicht beantwortet. Die Männer studieren und arbeiten. Eins ist klar: Der Spass am Ganzen soll nicht verloren gehen.

Derweil ist der Kupferbecher in der Küche bereits wieder befüllt. Sie hätten da so zwei, drei Ideen, lassen die drei ausrichten.

Link: www.hello-devia.ch

Was es ist
Devia will ein «neues Trinkerlebnis» sein, da sich das Getränk nicht mit Gin, Whisky oder Likör vergleichen oder in andere bekannte Kategorien einordnen lässt. Das Produkt ist laut den Herstellern «puristisch und simpel» – und zwar in allen Bereichen: geschmacklich, optisch, bezüglich der Anzahl Zutaten. Nur etwas ist nämlich drin: Basilikum. Auf Zucker wurde gänzlich verzichtet, das Getränk enthält 32 Volumenprozent Alkohol.

Warum es so heisst
Eigentlich sollte das Getränk Potio heissen (lateinisch für «das Getränk»). Der Name fand aber keine Mehrheit – «er wurde als zu unaussprechlich und zu männlich empfunden», sagt Lukas Schertenleib. «Und genau das wollen wir ja nicht. Wir wollen ein Getränk, das eben gerade nicht klassifizierbar ist.» Genau wie bei den Zutaten wird auch beim Namen lange getüftelt. Schliesslich der Entscheid: Devia. Lateinisch für «Schleichweg», «ungebahnte Wege».

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