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Elektrophysiologie

Elektrische Impulse in Pflanzen messen

Der Bieler Master-Student of Science in Engineering Pascal Steiner erforscht Signale in Tomatenpflanzen: eine Grundlagenforschung mit viel Potenzial.

Versuchsaufbau für die Messung von elektrischen Impulsen bei Pflanzen. Bild: zvg

Daniela Deck

Wie setzen Pflanzen äussere Einflüsse wie Temperatur, Feuchtigkeit, Luftdruck, Licht und Dunkelheit in elektrische Signale um? Welche Stressmuster zeigen sich, wenn eine Flamme gegen ein Blatt gehalten wird? Mit diesen Forschungsfragen hat Pascal Steiner am Departement für Technik und Informatik der Berner Fachhochschule ein Semester lang elektrische Impulse im Millivoltbereich in Tomatenpflanzen gemessen und aufgezeichnet. Dazu verwendete der Informatikstudent ein selbst gebautes Messgerät und zur Kontrolle der Ergebnisse ein Messgerät des Waadtländer Start-up-Unternehmens Vivent.

Pflanzen haben nicht wie Tiere und Menschen Nervenstränge. Dennoch gibt es im pflanzlichen Organismus elektrische Impulse. Entdeckt wurde das bereits im 19. Jahrhundert. Ein eindrückliches Beispiel dafür ist die Venusfliegenfalle, die aufgrund eines elektrischen Signals zuschnappt, wenn ihr ein Insekt in die Falle geht. Doch bis vor kurzem schien es keine Nutzungsmöglichkeiten für Elektrizität in der Pflanzenwelt zu geben. Dank der Leistungsfähigkeit moderner Computer zur Sammlung und Auswertung von Daten rückt das Thema nun in den Fokus.

Was diese Lebensäusserungen in Pflanzen, fachlich «Elektrophysiologie» genannt, auslöst und was die elektrischen Impulse bezwecken, diesbezüglich steckt die Forschung noch in den Kinderschuhen. Erst wenn diese Geheimnisse gelüftet sind, können Gartenbau und Landwirtschaft von den Erkenntnissen profitieren.

Handwerk und Computer

Wie kommt ein Informatiker zu diesem Biologiethema? «Schon als Kind in der Pfadi habe ich gern die Veränderungen an Pflanzen im Wald beobachtet und später auf Reisen haben Naturphänomene mich fasziniert. Ausserdem wollte ich für meine Semesterarbeit etwas Praktisches und Handwerkliches machen und nicht nur am Computer arbeiten», sagt Steiner. Das Thema wird ihn weiter beschäftigen: «Die Erkenntnisse, die ich gesammelt habe, will ich nächstes Jahr für meine Masterarbeit nutzen.» Der Wissensdurst zu Elektrophysiologie habe mit der Pflege und Beobachtung der Pflanzen in seinem Wohnzimmer stetig zugenommen.

Steiners Ziel: die Aufbereitung von Datenreihen elektrischer Impulse. Das Material soll anschliessend für Biologen und für die Agrarindustrie für spezifische Forschungsfragen nutzbar sein. Zudem will der junge Forscher herausfinden, wie elektrische Pflanzenimpulse in der freien Natur ohne Zugang zu Steckdosen gesammelt und an Server übermittelt werden können. Letztlich soll seine Masterarbeit dazu beitragen, dass Pflanzen dereinst pflanzengerechter kultiviert werden.

Am Anfang, diesen Februar, musste nach dem Vorbild des Vivent-Messgeräts zuerst ein Prototyp gebaut werden. «Ich habe mir Akupunkturnadeln und Sensoren gekauft, diese zusammengelötet und über USB-Anschlüsse mit einem Minicomputer verbunden.» Dieser sammelt die Impulsdaten rund um die Uhr. Vom Minicomputer lädt Steiner die Datensätze jeweils auf seinen Laptop. Die Pflanzen hat er nicht selbst gezogen, sondern in einer Gärtnerei gekauft. Tomatengewächse hat er gewählt, weil diese robust sind, gut zu kultivieren und in der biologischen Forschung oft verwendet werden. Bis auf eine hätten die Pflanzen die Behandlung mit Kontaktgel und Klammern und die Stiche der Elektroden in die Stängel gut vertragen. Von den meisten habe er feine Tomaten ernten können.

Schwierige Interpretation

Die Messung von Elektrophysiologie ist eine diffizile Sache. Die Signale sind schwach und für Nicht-Biologen schwierig zu interpretieren. Noch ist unklar, wie Pflanzen Wohlbefinden und Unbehagen auf diesem Weg ausdrücken. Störfaktoren, zum Beispiel elektrische Ströme in der Wohnung, können die Ergebnisse leicht verfälschen. «Die ersten Wochen habe ich mit dem Aussieben von Störfaktoren und dem Aufbau einer stabilen Umgebung wie Wasserzufuhr, Rhythmus von Tag und Nacht verbracht», erinnert sich Steiner. «Da war mir das Vivent-Gerät als Kontrollinstanz eine grosse Hilfe.»

Eine weitere Herausforderung war der häufige Zusammenbruch des Systems. Der Student hatte keine Zeit, um neben den Pflanzen zu sitzen und von Hand Neustarts zu veranlassen. «Ich musste die Versuchsordnung so einrichten, dass das System nach einem Crash selbstständig wieder startet.» Auch das sei nach einigen falschen Anläufen gelungen.

Neben der Sammlung spontaner Lebensäusserungen, machte Steiner Experimente mit Stresssituationen. Mit der Flamme aus einem Feuerzeug erhitzte er mehrmals für einige Sekunden ein einzelnes Blatt. «Bei den elektrischen Signalen ist da tatsächlich eine Veränderung zu sehen», sagt er.

Daten zugänglich machen

Steiner gibt indessen zu bedenken: Bei der Erforschung der Elektrophysiologie dürfe nicht vergessen werden, dass Pflanzen und ihre Zellen neben elektrischen Impulsen andere Kommunikationsmittel nutzen. Vor allem sind das chemische (Botenstoffe) und physikalische, zum Beispiel den osmotischen Druck. Letzterer kommt bei unterschiedlichen Konzentrationen von Flüssigkeiten an Membranen zum Zug.

Dass Steiner die zahlreichen Hindernisse überwinden konnte, schreibt er massgeblich der Unterstützung durch Professorin Annett Laube zu. «Als ich Ende letztes Jahr mit der Idee für die Semesterarbeit zu ihr kam, war sie überrascht und zuerst ein bisschen skeptisch. Mein Praxisausflug Richtung Biologie war nicht alltäglich.» Sie habe sich zuerst selbst ins Thema einlesen müssen. «Schliesslich war sie es, die mich ermutigt hat durchzuhalten und nicht aufzugeben.»

Der Lohn der Mühe zur Elektrophysiologie von Tomatenpflanzen sind die Baupläne und Programmcodes. Diese will Steiner nun auf die Shareplattform Github hochladen und damit anderen Forschern zugänglich machen. Seine Masterarbeit will er nach einem Auslandsemester an der Informatikhochschule in Nizza in Angriff nehmen. Das Masterthema befasst sich mit Fragen der Schnittstellen zwischen Feldforschung und Speichereinheiten sowie des Datentransfers. Das sind klassische Aufgaben der Computerwissenschaften. Die Zusammenarbeit mit der Firma Vivent setzt er fort.

Auf Pflanzen will Steiner in seiner Wohnung auch künftig nicht verzichten. Aktuell ist sein Favorit eine Vanillepflanze, die so schnell wächst, dass täglich Veränderungen sichtbar seien.

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