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Mobilität

Entgegen den Erwartungen ging 
der Verkehr in Biel nochmals zurück

Ein Bericht des Berner Ingenieurs Fritz Kobi zeigt, dass die Zahl der Autos in der Stadt Biel an verschiedenen neuralgischen Stellen abgenommen hat. Zu verdanken ist das dem Ostast und den flankierenden Massnahmen.

Die Ländtestrasse in Biel, Bild: Aimé Ehi
  • Dossier

Deborah Balmer

In der Lösungsfindung um den Bieler Westast sollen Befürworter und Gegner der Autobahn von denselben Grundlagen ausgehen: Aus diesem Grund hat die Kerngruppe zwei Experten beauftragt, die einerseits den Verkehr und andererseits den Städtebau in der Stadt Biel und der Region genauer unter die Lupe nehmen. Gestern sind diese beiden Berichte öffentlich geworden und dienen nun als Basis für den weiteren Dialog.

«Mobilität und Verkehr – eine Standortbestimmung», so heisst der Bericht von Fritz Kobi. Dass Überraschendste dürfte sein, dass der renommierte Berner Verkehrsexperten feststellt, dass der Verkehr in der Stadt Biel 2019 im Vergleich zu 2018 nochmals zurückgegangen ist.

Fritz Kobi sagt: «Der Ostast hat also etwas gebracht, sogar mehr als ursprünglich gedacht.» Oder wie er in seinem Fazit im Bericht schreibt: «In Biel hat die Wirkung der Kombination Ostast und der flankierenden Massnahmen die Erwartungen übertroffen.»

 

Verkehrschaos nicht eingetroffen

Allerdings gibt es auch Strassenabschnitte, auf denen der Verkehr bei den aktuellsten Messungen (2019) zugenommen hat. So auf der Bernstrasse, der Wehrbrücke, der Allmendstrasse und der Ipsachstrasse. Auf vielen Abschnitten jedoch, und auch auf dem Guido-Müller-Platz, ging die Zahl der Autos und Lastwagen zurück. Ausgerechnet auf dem Platz also, für den für die Zeit nach der Eröffnung des Ostasts ein Verkehrschaos prognostiziert wurde. Die exakten Zahlen zu den letzten Verkehrszählungen sind allerdings nicht öffentlich. Fritz Kobi sagt ergänzend: «Die Zahlen lassen noch keine Interpretation zu, ob es den Westast nun braucht oder nicht – wie sich der Verkehr entwickelt, hat längerfristig viele Einflüsse.»

Nicht neu ist, dass in der Stadt Biel nur 20 Prozent des heutigen Verkehrs Durchgangsverkehr ist. Das sind auf der Bernstrasse 4000 Autos, auf der Ländestrasse 2500 und in Ipsach rund 3000 Fahrzeuge pro Tag. Der Rest, also hohe 80 Prozent des Verkehrs, zählt zum sogenannten hausgemachten Verkehr.

Fritz Kobi gibt in seinem Bericht zu bedenken, dass die Bauzeit für den Westast rund 15 Jahre beträgt. Mit den zu erwartenden Verfahren (Weiterzug bis ans Bundesgericht) sei davon auszugehen, dass im Falle einer Genehmigung der Westast wohl erst im Zeitraum 2045 in Betrieb genommen werden könnte. «Steht Biel also damit 25 bis 30 Jahre still?», fragt Kobi.

In der Kerngruppe gab es zumindest in den letzten beiden Sitzungen eine Art Konsens darüber, dass man bereits mit kurzfristigeren Massnahmen die Stadt für Velofahrer, Fussgänger und den öffentlichen Verkehr und auch für Autofahrer attraktiver machen sollte (das BT berichtete).

Die Diskussion um den Westast stehe beispielhaft für die gegenwärtige Situation in der Schweiz, schreibt Kobi weiter. Projekte mit langen Planungsprozessen hätten es schwer. «Was gestern gewünscht und bejubelt wurde, entspricht heute nicht mehr den aktuellen Vorstellungen und Rahmenbedingungen», sagt er. Umweltschutz, Urbanität, Mobilität, Lebensqualität: Die heutigen Werte seien nicht mehr die gleichen wie Mitte des letzten Jahrhunderts.

Der Bericht gibt auch einen Einblick in die Verkehrsentwicklung der Schweiz: Ab 1990 rücken das wachsende Umweltbewusstsein, die Überlastung der Strassen und die zunehmende Belastung der Siedlungsgebiete durch Autos den Ausbau des öVs zur Lösung der Verkehrsprobleme in den städtischen Räumen ins Zentrum. In den Grossstädten werden S-Bahnen und Tram- und Busnetze stark ausgebaut. In den letzten Jahren setzen Städte zudem verstärkt auf eine Stärkung des Fuss- und Veloverkehrs. Kobi verweist auch auf sein «Berner Modell», bei dem Fussgänger und Autos in einer Tempo-30-Zone nebeneinander auskommen.

Auch in der Stadt Biel hat der Wandel Spuren hinterlassen: Ziel ist es auch hier, den motorisierten Individualverkehr nicht mehr weiter ansteigen zu lassen. Dafür den Fuss- und Veloverkehr sowie den öffentlichen Verkehr zu fördern. So sieht es die Stadt in der Verkehrsplanung vor.

 

Schwierig, eine Prognose zu machen

Laut Kobi sind die auf der Trendentwicklung basierenden Verkehrsprognosen in den Städten erschreckend. Grund: Die Innenverdichtung, die in den Städten und grösseren Ortschaften bereits begonnen hat. Auch in Biel und Nidau und in der Agglomeration sei dies der Fall.

Wie sich der Verkehr tatsächlich entwickeln wird, sei gleichzeitig schwer vorauszusagen. «Denn auch in der jetzigen Zeit ist vieles im Umbruch.» So zeigt sich beispielsweise in allen grösseren Schweizer Städten eine Tendenz zu einem «autofreien Lebensstil».

«Was wird ‹Greta› bewirken?, fragt Kobi. Er wirft in den Raum, dass die SBB quasi über Nacht die Wiedereinführung der vor einigen Jahren gestrichenen Nachtzüge ankündigte. Werden sich selbstfahrende Autos durchsetzen, wird der Verkehr also zunehmen? «Es bestehen Unsicherheiten. Auch im Dialogprozess. Es stellt sich die Frage nach dem Umgang mit Prognosen», so Kobi.

Die Infrastruktur werde oft nachfrageorientiert nach der Prognose ausgebaut. Quasi eine statische Planung. Kobi fragt: «Ist das noch kompatibel mit den Vorstellungen einer zukunftsfähigen Stadt? Oder müsste im städtischen Gebiet nicht ein Paradigmenwechsel erfolgen, hin zur angebotsorientierten, dynamischen Planung?»

Für den Westast würde das heissen, dass zuerst das Entwerfen und Diskutieren einer Stossrichtung inklusive Vorgehensstrategie im Vordergrund steht. Ein Ansatz, in den sowohl der aktuelle städtebauliche wie auch verkehrliche Handlungsbedarf integriert wären. Kobi schreibt: «Erst wenn eine Stossrichtung und Vorgehensstrategie als Empfehlung vorliegen und seitens der Behörden beschlossen sind, kann es darum gehen, ein Projekt in einem partizipativen Prozess mit den direkt Betroffenen zu erarbeiten und zu optimieren.»

 

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«Die fehlende Entwicklung ist frappant»

Das Gebiet zwischen Biel und Nidau ist zwar durchgehend bebaut, aber unternutzt. Der Stadtplaner Han van de Wetering 
hat genauer hingeschaut.

Han van de Wetering hat einen Bericht geschrieben, der im laufenden Dialogprozess ebenfalls etwas zur Lösungsfindung beitragen soll. «Standortbestimmung Städtebau» heisst dieser. Der Experte hat den Raum der Agglomeration Biel angeschaut, besonders aber das Gebiet auf der Achse Brüggmoos bis Rusel.

Dabei geht er zurück in der Geschichte: In die 1850er-Jahre, als das Gebiet zwischen Nidau und Biel noch ein grüner Zwischenraum war. Und ins Jahr 1864, als mit dem Bau des ersten Bahnhofs Biels im Bereich des heutigen Guisanplatzes das Gebiet für die Stadtentwicklung aktiviert wurde.

Bereits in den 1950er-Jahren wird dann die Bernstrasse gebaut. Laut van de Wetering ist dabei die Ausgestaltung als Landstrasse auffallend. Ausser bei der Garage an der Guglerstrasse gebe es keinen Bezug zwischen Bebauung und Strasse. Die Siedlung Weidteile entsteht in den späten 60er-Jahren als letzte grosse Entwicklung im Gebiet zwischen Biel und Nidau. Besonders weil die Ländte- und Aarbergstrasse eine wichtige Verbindung zwischen den beiden Städten ist, sei die fehlende Entwicklungsdynamik frappant. «Das Gebiet ist zwar fast durchgehend bebaut, für seine strategische, zentrale Lage aber eher unternutzt.»

In den nächsten Jahren ändert sich das: Neben dem grossen Projekt Agglolac in Nidau direkt am Seeufer, ist ein weiteres wichtiges Projekt Entwicklungsschwerpunkt: der Campus. 2020 soll der Switzerland Innovation Park fertiggestellt werden, 2022 entsteht der Campus Biel/Bienne, in dem die technischen Disziplinen der Fachhochschule untergebracht werden. Das Gebiet zwischen Bahnhof und See wird also zu einem urbanen, intensiv genutzten Stadtteil. Mit dem Fokus auf Bildung stehe «eine gute Erreichbarkeit mit dem öV im Vordergrund».

Die Stadtentwicklung sei sehr lang auf das Projekt Westast ausgelegt gewesen. So sei das Hochhauskonzept oder auch die Verdichtung im gesamten Gebiet der Weidteile ohne Westast nicht nachvollziehbar. «Aufgrund der langen Planungs- und Bauzeit von grossen verkehrsinfrastrukturellen Bauwerken sollte viel mehr aus dem Bestand heraus gedacht werden», schreibt van de Wetering. Es brauche nun in erster Linie dringend Lösungen für die nächsten 10 bis 25 Jahre.

So sollten die öV-Erschliessung und die Anbindung an die angrenzenden Stadtquartiere Priorität und haben und die Bedeutung des Gebiets stärken. Der Raum Brüggmoos-Rusel sei ein städtebaulich sensibler Raum mit vielen wertvollen, erhaltenswerten Gebieten und Elementen und vielen besondere Freiräumen. Für die Entwicklung – sowohl bauliche als auch verkehrliche – soll die historische Struktur viel stärker berücksichtigt werden.

Die beiden Städte hätten sich besonders zum Thema Klima und Mobilität ambitiöse Ziele gesetzt. Der Dialogprozess soll laut van de Wetering dazu genutzt werden, sich mit nachhaltigen, innovativen, platzsparender Mobilität und deren Auswirkungen auf das Projekt Westast auseinandersetzen.

Deborah Balmer

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