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Biel

Entsetzen über Hakenkreuz an Synagoge

Die Jüdische Gemeinde Biel ist gestern Opfer eines antisemitischen Vorfalls geworden: Unbekannte haben ein Hakenkreuz und Parolen in die Tür der Synagoge geritzt. Das Entsetzen ist gross – aber auch die Solidarität mit der Gemeinde.

Spricht von einer Hasstat: Ralph Friedländer vor der Synagoge 
in Biel. 
Bild: Lino Schaeren

Lino Schaeren

Ralph Friedländer hängt braunes Packpapier an die Tür der Synagoge der Jüdischen Gemeinde Biel. Der Vize-Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) verdeckt damit behelfsmässig, was ihn tief erschüttert hat: Gestern Morgen haben Passanten entdeckt, dass Unbekannte mit einem scharfen Gegenstand antisemitische und nationalsozialistische Botschaften auf der Eingangstür der Synagoge hinterlassen haben. Ein grosses Hakenkreuz sowie die Parolen «Sieg Heil» und «Juden Pack» wurden eingeritzt. Die Jüdische Gemeinde Biel und der SIG benennen den Angriff als «Schändung der Synagoge» und schreiben in einer gemeinsamen Medienmitteilung von einem «schweren antisemitischen Vorfall». Sie wollen eine Strafanzeige einreichen.

Tatsächlich wiegt die Tat auch im landesweiten Kontext schwer. SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner sagt: «Dass ein jüdisches Gotteshaus mit antisemitischen Parolen versehen wird, ist in der Schweiz aussergewöhnlich.» Auch deshalb wurde die Kommunikation im Zusammenhang mit dem Vorfall zur Sache des Dachverbands erklärt; von der Jüdischen Gemeinde Biel war gestern niemand erreichbar. Der gestrige Vorfall in Biel ist die gravierendste von mehreren Attacken auf die jüdische Gemeinde in der Schweiz in den letzten Wochen.

Ende Januar wurden vor der Synagoge in Lausanne eine Packung Speck und ein ausgestopftes Schwein platziert, nur eine halbe Woche später wurde die Synagoge in Genf mit Schweinefleisch beworfen. Die Interkommunale Koordinationsstelle gegen Antisemitismus und Diffamierung (Cicad) bezeichnete dies als Akte von höchst symbolischer Dimension: Die Verwendung von Schweinefleisch bei solchen Übergriffen habe zum Ziel, Juden zu verhöhnen und zu demütigen. Das Schwein gilt bei den Juden als unreines Tier. In Zürich wurde am 17. Januar eine Online-Veranstaltung der Jüdischen Liberalen Gemeinde gestört, als sich vermummte antisemitische Aktivisten in das Zoom-Meeting einschlichen und unter anderem Hitler-Bilder zeigten. Auch hier wurde Anzeige erstattet.

 

Antisemitismus nimmt zu

Einen ersichtlichen Zusammenhang zwischen all diesen Taten gibt es bisher nicht. Trotzdem ist Christina Schumacher über die Häufung der Vorfälle besorgt. Die Präsidentin der Sektion Bern der Gesellschaft Schweiz-Israel (GSI) sagt: «Mit Blick auf die Anschläge im umliegenden Ausland haben wir in der Schweiz gerne das Gefühl, dass es solche Probleme bei uns nicht gibt. Vorfälle wie in Biel beweisen das Gegenteil.» Auch Kreutner vom Dachverband der Jüdischen Gemeinden ist alarmiert. Die Situation im Internet, in Leserkommentaren und sozialen Medien, sei schon länger alarmierend, sagt er. «Auf Worte folgen Taten, davor haben wir immer gewarnt und es zeigt sich einmal mehr, dass die Gefahr real ist.»

Die Zahl der antisemitischen Übergriffe hat in der Schweiz in den letzten Jahren allerdings nicht merklich zugenommen. Im Antisemitismusbericht 2019 für die Deutschschweiz werden 38 antisemitische Vorfälle aufgeführt, 2018 waren es 42, ein Jahr zuvor 39. Auch die Zahlen aus der Westschweiz lassen nicht auf eine klare Zunahme antisemitischer Akte in den letzten Jahren schliessen. Das Empfinden unter den jüdischen Personen ist indes ein anderes.

In einer EU-Studie aus dem Jahr 2018 gaben 89 Prozent der Befragten an, dass der Antisemitismus seit 2013 zugenommen hat. Das war also noch vor dem Attentat auf eine Synagoge in Halle im Jahr 2019. 2020 veröffentlichte Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, die Resultate einer ähnlich angelegten Studie wie jene aus der EU mit Bezug auf die Schweiz. Die Entwicklung wurde von den befragten jüdischen Personen in der Schweiz zwar deutlich weniger dramatisch eingestuft als im EU-Raum. Dennoch waren 74 Prozent der Studienteilnehmenden der Meinung, dass Antisemitismus in der Schweiz in den letzten fünf Jahren zugenommen hat. 89 Prozent der Befragten bezeichneten zudem den Antisemitismus im Internet als grosses Problem.

 

Finanzielle Unterstützung

Zurück zu Ralph Friedländer vor der Synagoge in Biel. Der Vize-Präsident des SIG sagt, dass die Politik in den letzten Jahren die Gefahr erkannt habe, die von Extremisten auch in der Schweiz auf religiöse Minderheiten ausgehe. Ausdruck davon ist die halbe Million Franken, die der Bund 2020 für die bessere Sicherung von religiösen Einrichtungen gesprochen hat. Ein kleiner Betrag davon – 3750 Franken – ging auch an die Bieler Synagoge, die damit kleine bauliche Verbesserungen vornehmen wollte im Schutz gegen Terror- und Hassangriffe. Zuvor hatte bereits die Stadt Biel finanzielle Hilfe zugesichert. Friedländer lobt dieses Engagement; hadert gleichzeitig aber damit, dass sich der Kanton Bern nicht auch beteiligt.

So wird zwar der Polizeischutz vom Staat finanziert – bei Veranstaltungen in der Synagoge sind in der Regel Einsatzkräfte der Polizei in der Nähe, zu denen die gläubige Gemeinde einen direkten Kontakt hat. Friedländer verweist aber auf die laufenden Sicherheitskosten, die für die Jüdischen Gemeinden etwa durch die Eingangskontrollen bei Gottesdiensten entstünden. Einige Gemeinden hätten dafür eigens einen Sicherheitsbeauftragten mandatiert.

 

Grosse Solidarität

Die Bieler Gemeinde dürfte dafür allerdings zu klein sein. Die im frühen 19. Jahrhundert gegründete Gemeinschaft war einst eine grosse Kommune, heute zählt die Gemeinde aber nur noch zwischen 30 und 40 Mitglieder. Laut Ralph Friedländer zieht es immer mehr Jüdinnen und Juden in die grossen Zentren, etwa nach Zürich, wo die grösste Jüdische Gemeinde der Schweiz beheimatet ist. So kommt es, dass die Bieler Gemeinde immer kleiner wurde und heute überaltert ist; wobei die Mitgliederzahl in den letzten Jahren laut Friedländer stabilisiert werden konnte.

So klein die Gemeinde in Biel, so gross ist die Unterstützung, die sie nach Bekanntwerden der gestrigen Tat erfährt. Der Bieler Gemeinderat drückte seine Solidarität aus, «kein Platz für Antisemitismus und Rassismus in unserer Stadt!», schrieb Stadtpräsident Erich Fehr (SP) bei Twitter, «Wenn Dummheit unerträglich wird» Kulturdirektorin Glenda Gonzalez Bassi (PSR) bei Facebook. Auch der Berner Regierungsrat verurteilte die Schändung der Synagoge. Die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz liess verlauten, dass solche Taten gegen Gotteshäuser in der Schweiz keinen Platz hätten. Und Felix Gmür, Bischof des Bistums Basel, zu dem Biel einst gehörte, verurteilte die Tat «aufs Schärfste». «Es ist eine Schande, dass so etwas heute noch passiert!», schrieb er bei Twitter.

Die gestrige Attacke auf die Bieler Synagoge war die erste seit 15 Jahren. Die letzten beim Verband registrierten Vorfälle gehen auf die Jahre 2005 und 2006 zurück, als das Gebäude verschmiert und ein Fenster eingeworfen wurde. Die Gemeinde und der SIG hoffen, dass die Urheber der neuesten Hassbotschaften ermittelt werden. Der Eingang der Synagoge ist videoüberwacht. Die Aufnahmen wurden der Polizei übergeben.

Stichwörter: Biel, Schändung, Synagoge, Region

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