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Nidau

Er wurde pensioniert, als sie geboren wurde

Sie ist die jüngste, er der älteste Kandidierende: Der 81-jährige Roland Rutishauser tritt an, um seinen SVP-Sitz im Nidauer Stadtrat zu verteidigen, während die aktuell noch 17-jährige Lea Gutermuth bei den Grünen erstmals Politikluft schnuppert.

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  • Dossier
von Carmen Stalder
 
Am 26. September wird Lea Gutermuth gerade einmal 18 Jahre und ein Monat alt sein – und damit erstmals in ihrem Leben abstimmen können. Sie freue sich, einen eigenen Beitrag leisten und mit ihrer Stimme mitentscheiden zu können, sagt sie im Hinblick auf diesen Tag.
 
Anders als ihre gleichaltrigen Kolleginnen und Kollegen wird sie aber nicht nur zum ersten Mal ein Stimmcouvert ausfüllen, sondern sie lässt sich auch gleich als Stadtratskandidatin für die Grünen aufstellen. Mit Jahrgang 2003 ist Lea Gutermuth die jüngste Kandidatin auf der Stadtratsliste für die Nidauer Wahlen. Mit ihrem Eintritt in die Politik tritt sie in die Fussstapfen ihrer Eltern. Sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater sind im Vorstand der Grünen Nidau, erstere war zudem während acht Jahren Stadträtin. Dank ihren Eltern habe sie bereits Einblicke in die Politik erhalten. «Am Esstisch diskutieren wir über die politischen Themen, die uns gerade beschäftigen.»
 
Zu diesen Themen gehören wenig überraschend für eine grün politisierende Familie die Umwelt und der Klimawandel. Entsprechende Werte hat die 17-Jährige von zuhause mitbekommen: Gutermuths verzichten wenn möglich auf Plastik und weichen dafür auf Unverpackt-Läden aus, viele Einkäufe erledigen sie auf dem Märit im Stedtli, wo sie gerne lokale und saisonale Produkte einkaufen. Ein Auto besitzt die Familie nicht und in die Ferien geht es meist mit dem Zug. «Ich kann an einer Hand abzählen, wie oft ich in meinem Leben geflogen bin», sagt die junge Grüne.
 
Überzeugte Vegetarierin
 
Seit zweieinhalb Jahren ernährt sie sich vegetarisch. Von der fleischlosen Ernährung konnte sie nicht nur die jüngere Schwester und den älteren Bruder überzeugen, sondern auch zahlreiche Freundinnen und Freunde. «Nur meine Eltern sind keine Vegis. Jedenfalls noch nicht», fügt sie mit einem Lachen an. Kochen und Backen gehören zu ihren liebsten Hobbys, gerne entwickelt sie dabei auch neue Kreationen.
 
Die Nidauerin steht vor ihrem letzten Jahr an der Fachmittelschule in Biel. Anschliessend möchte sie die Fachmatur absolvieren, um an der pädagogischen Hochschule studieren zu können. Ihr Traum ist es, als Lehrerin Kindergärteler sowie Erst- und Zweitlklässlerinnen zu unterrichten. Bis dahin verdient sie sich mit drei Jobs ein Taschengeld: als Babysitterin, als Verkäuferin an einem Märitstand und in einem Uhrengeschäft im Brügger Migros.
 
Nicht zu jung
 
Falls Lea Gutermuth in den Stadtrat gewählt würde, schwebt ihr schon eine Idee für ein erstes Projekt vor: Sie würde einen Vorstoss lancieren, der für die Nidauer Kitas vegetarische Ernährung fordert. «Das ist einerseits gesund für die Kinder, andererseits würde es auch das Bewusstsein der Eltern für mehr Nachhaltigkeit schärfen», ist sie überzeugt.
 
Stellt sich die Frage, ob man mit knapp 18 Jahren nicht zu jung ist für den Einstieg in die Lokalpolitik? Keineswegs, findet Gutermuth. Ihre Generation lebe schliesslich noch lange auf dieser Erde und müsse entsprechend mitreden können. «Die fehlende Erfahrung kann auch ein Pluspunkt sein – etwa indem man frische Ideen einbringt.» Sie wünscht sich, von den älteren Politikerinnen und Politikern im Stedtli respektiert zu werden. Man solle die Ideen von ihr und von Gleichaltrigen anhören, anstatt sie vorschnell als zu jung abzustempeln.
 
* * * * *
 
 
Eigentlich kann Roland Rutishauser nicht viel mit der SVP anfangen. «Was da schweizweit läuft, geht gar nicht», sagt er entschieden. In Nidau dagegen sei das eine andere Sache: Da versuchten die Mitglieder, objektiv zu bleiben, statt eine starre Parteilinie zu verfolgen. «Das ist genau meine Linie», sagt er. Und so trat er kurz vor den Wahlen 2017 der hiesigen SVP bei. Zwei Jahre später konnte er in den Stadtrat nachrücken und hat seither keine einzige Sitzung verpasst. An den kommenden Wahlen kandidiert er erneut – vom Politisieren hat er auch mit seinen 81 Jahren noch nicht genug.
 
Rutishauser würde sich selbst in der liberalen Ecke der SVP verorten. Er bezeichnet sich als rücksichtsvoll und als guten Zuhörer, zudem könne er rasch Entscheide fällen. Das sind Eigenschaften, die ihm in seiner beruflichen Karriere zugutegekommen sind: 40 Jahre lang stand er im Polizeidienst, davon war er 26 Jahre Polizeichef von Nidau. Ein abwechslungsreicher, aber auch aufreibender Job sei das gewesen. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm ein Einsatz, bei dem er einem Kind mit Erstickungsanfällen das Leben retten konnte. «Genau wegen so etwas wollte ich diese Arbeit machen.» Gemeinsam mit seinem Sohn ist er viel um die Welt gereist, nach Australien, Kanada und in die USA. Bis vor zehn Jahren war er als Privatpilot unterwegs. Heute taucht er als «absoluter Kinofan» am liebsten vor der Leinwand in andere Welten ein.
 
Er weiss, wie der Karren läuft
 
Seinen grossen Erfahrungsschatz kann Rutishauser gut im Parlament und in die Fraktionssitzungen einbringen. Die Abläufe im Stedtli kennt er in- und auswendig, hat er doch als Aufsichtsperson unzählige Stadtratssitzungen mitverfolgt. Ein besonderes Interesse hegt der gebürtige Berner, der in Biel aufgewachsen ist, für die Verkehrspolitik. Vor Jahren war er an der Gestaltung der Ortsdurchfahrt beteiligt, nun hat er sich als Politiker erfolgreich gegen die erneuten Umgestaltungspläne des Kantons gewehrt.
 
Eine nicht ganz unwichtige Rolle hat Rutishauser beimAgglolac-Entscheid gespielt. Eigentlich habe er das Projekt befürwortet, verrät er. Zwei Tage vor der entscheidenden Stadtratssitzung habe ihn Parteipräsident Leander Gabathuler aber noch umstimmen können. Hätte der Senior nicht Nein gestimmt, hätte es keine Pattsituation gegeben, in der schliesslich Stadtratspräsident Markus Baumann (ebenfalls SVP) den Stichentscheid fällen musste. Sein Umschwenken habe bei manchen Stadtratskollegen durchaus für Ärger gesorgt, sagt er.
 
Nicht zu alt
 
Mit Jahrgang 1940 ist Roland Rutishauser der älteste Kandidat an den Nidauer Wahlen. Darin sieht er jedoch kein Hindernis. «Zu alt für die Politik ist man erst, wenn es gesundheitlich oder im Kopf nicht mehr gut geht.» Aus Solidarität mit der SVP Nidau wolle er unbedingt seinen Sitz verteidigen und am liebsten gleichzeitig die bürgerliche Mehrheit zurückerobern.
 
Wenn Rutishauser den Voten von jungen Politikerinnen und Politikern lauscht, muss er manchmal lächeln. Gerade in der links-grünen Ecke gebe es einige Träumerinnen und Träumer. «Die kommen noch auf die Welt», denkt er dann für sich. Einen Rat will er ihnen aber nicht erteilen, diese Erfahrungen müsse jeder für sich selbst machen. An die geballte Lebenserfahrung von Roland Rutishauser kommt an diesen Wahlen jedenfalls garantiert niemand sonst heran.

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