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Regionalgericht

«Erhöhtes Rückfallrisiko»

Am gestrigen zweiten Prozesstag hat die Psychiaterin gesagt, wieso Peter Hans Kneubühl sich eigentlich nicht selber verteidigen könne - und dass er schuldunfähig sei.

In Handschellen gefesselt betritt Peter Hans Kneubühl begleitet von zwei Polizisten das Regionalgericht Berner Jura-Seeland. Vor Kneubühl und den Polizisten geht Pflichtverteidiger Philipp Kunz. Bild: Peter Samuel Jaggi

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Fall Kneubühl - Psychologisches Gutachten im Fokus, Beitrag von Canal3

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Deborah Balmer

Auch am zweiten Prozesstag wird Peter Hans Kneubühl von Polizisten begleitet in den Gerichtssaal am Regionalgericht geführt. Er trägt eine schwarze Jacke und Brille. Erneut sucht er kurz den Blick der anwesenden Journalisten, bevor er vor seinem Pflichtverteidiger Philipp Kunz Platz nimmt.

 

In tiefen Konflikt gestürzt

Laut der psychiatrischen Sachverständigen Anneliese Ermer leidet Kneubühl bereits seit den 90er-Jahren an einer wahnhaften Störung. Es ist die Zeit, in der er beginnt, sich verfolgt zu fühlen. Er sei deshalb immer wieder auf der Flucht gewesen, sei in der Schweiz und im Ausland untergetaucht. Damals hat er seine Arbeit als Physiklehrer gekündigt. Auch weil er dachte, er könne seinem Arbeitgeber nicht zumuten, mitten im Unterricht von der Polizei verhaftet zu werden. Kneubühl glaubt, in dieser Zeit mehrmals von der Polizei festgenommen und schlecht behandelt worden zu sein. Und einmal sei er in Burgdorf ohne Grund vor Gericht gestellt worden.

Kneubühl ist laut Psychiaterin nicht schizophren und leidet auch nicht an Halluzinationen. Auch eine grundlegende Gedächtnisstörung liege nicht vor, ebenso wenig eine Störung der Intelligenz. Zum Wahn gehöre aber, dass er beim Polizeieinsatz von hunderten von Polizisten sprach. Laut Polizeibericht waren aber am besagten 8. September nur etwa zehn Polizisten im Einsatz. Der Rentner ist aber jeweils felsenfest von der Richtigkeit seiner Annahmen überzeugt. «Er ist nicht in der Lage, eine andere Sichtweise anzunehmen», so die Psychiaterin. Hinweise und Belege, dass etwas anders sein könnte, werden von ihm als nicht zutreffend abgetan. So hielt er etwa an seiner Einschätzung fest, dass der Polizeiroboter sein Haus zerstört habe. Obwohl Fotos das Gegenteil beweisen.

Laut der Psychiaterin könnten die Inzestvorwürfe der Schwester bei Kneubühl den Wahn hervorgerufen haben. Sie betonte, dass dies nichts darüber aussage, ob der sexuelle Missbrauch tatsächlich stattgefunden habe oder nicht. «Diese Behauptung hat ihn in einen tiefen Konflikt gestürzt», so Ermer. Das Ausmass des Wahns bei Kneubühl sei von schwerem Ausmass. Es sei Tatsache, dass er sein soziales und berufliches Leben beeinträchtigt. Denn Kneubühl gab zu Beginn der 90er-Jahre seinen festen Wohnsitz auf, lebte in Armut und tauchte ab.

 

«Kann sich nicht verteidigen»

Der Renter wähne sich aber im Krieg mit Justiz und Polizei. Am 8. September 2010 rechnet er mit seinem Tod. Er verteidigt sich mit Waffen und in seiner Wahrnehmung ist das Haus am Abend wie eine Ruine vollständig zerstört. Er flüchtet, auch weil er fürchtet, vom Polizeiroboter zerquetscht zu werden. Aus forensisch-psychiatrischer Sicht sei aufgrund der fehlenden Einsichtswilligkeit von einer Schuldunfähigkeit auszugehen. Hier will der Staatsanwalt Andreas Jenzer wissen, ob Kneubühl mit dieser Diagnose sich überhaupt selber verteidigen könne. Von der Intelligenz her sei dies durchaus möglich, so Ermer. Laut der Psychiaterin liege seine Intelligenz im oberen Durchschnittsbereich. Allerdings könne Kneubühl seine Rechte im Verfahren tatsächlich nicht adäquat wahrnehmen.

Kneubühl fragt die Psychiaterin, ob denn nicht fast alle Menschen schuldfähig seien. Und: «Hängt es mit der politischen Einstellung zusammen, ob einer schuldfähig ist oder nicht?», will Kneubühl wissen. Woher die Gutachterin wissen wolle, dass es nicht hunderte von Polizisten gewesen seien. Er sagte auch, dass doch Wahnideen manchmal auch missbräuchlich attestiert würden. Und: «Es geht darum, den Wahrheitsgehalt zu überprüfen», so Kneubühl, der dabei in Aufregung gerät, so dass ihn der Verteidiger kurz an den Schultern festhält, um ihn zu beruhigen.

 

In Wahnsystem einbauen

Wird Kneubühl kritisiert, dann werden seine Kritiker in das Wahnsystem einbezogen. In seiner Wohnung fand die Polizei auch Diagramme, die aufzeigen sollten, wie Beamte, Politiker und Richter miteinander in Verbindung stehen. Ob sie mit den beiden Regierungsstatthaltern zusammengearbeitet habe, die ihn damals in eine psychiatrische Klinik stecken wollten, will Kneubühl wissen. Sie sei unabhängig, so Ermer, nicht gekauft und nicht korrupt. «Auch wenn ich in ihrem Kopf korrupt bin.»

Für eine zukünftige Risikoeinschätzung sei ungünstig, dass das Tatgeschehen mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang stehe, so Ermer. Er verneine, psychisch krank zu sein. Auch dass er keinerlei Einsicht zeige, sei ungünstig zu werten. Dass er sich vehement gegen eine Therapie wehre, spreche aber nicht dagegen, eine Behandlungsmassnahme durchzuführen. Weil die Behandelbarkeit schwierig sei, komme nur eine stationäre Massnahme in geschlossener Umgebung in Frage. Und: Käme Kneubühl in erneut in eine ähnlich Situation, bestünde ein erhöhtes Rückfallrisiko einer Gewalthandlung, so Ermer.

 

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