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Biel

«Es besteht die Gefahr 
einer weiteren schweren Gewalttat»

Weil er jegliche Therapie verweigerte, hat das Regionalgericht für Peter Hans Kneubühl die Verwahrung angeordnet. 
Die Gefahr, dass der 76-Jährige in Freiheit erneut eine schwere Straftat verüben würde, wiegt zu schwer.

Gutachter Elmar Habermeyer sieht bei Peter Hans Kneubühl ein hohes Rückfallrisiko. Bild: Gerichtszeichung, Karin Widmer
  • Dossier

Lino Schaeren

«Ich kann Ihnen garantieren, dass ich nicht ruhen werde, bis der illegale Hausverkauf rückgängig gemacht worden ist und ich Ihnen den Hals umgedreht habe.» Dieser Satz steht in einem Brief, den Peter Hans Kneubühl geschrieben hat. Er schickte diese Zeilen aus dem Gefängnis heraus an die neuen Besitzer seines zwangsversteigerten Elternhauses. «Diesen Satz muss man nach wie vor ernst nehmen», sagte gestern Gerichtspräsident Markus Gross am Regionalgericht Berner Jura-Seeland. Dies umso mehr, weil Kneubühl bereits mehrfach mit Waffengewalt um sein Haus gekämpft habe. Und weil der Rentner bis heute niemandem verraten hat, wo er 2010 auf seiner Flucht das Jagdgewehr versteckte, mit dem er einen Polizisten schwer am Kopf verletzt hatte. Das Gericht sieht eine grosse Gefahr, dass es zu einer neuerlichen Gewalttat bis hin zu einem Tötungsdelikt kommt, wenn man Peter Hans Kneubühl auf freien Fuss setzen würde – und ordnete deshalb für den 76-Jährigen die ordentliche Verwahrung an.

Das Regionalgericht in Fünferbesetzung folgte damit dem Antrag der Bewährungs- und Vollzugsdienste (BVD) des Kantons Bern. Sie hatten 2018 die vom Bieler Gericht gegen Kneubühl verhängte stationäre Massnahme aufgehoben, weil sich der renitente Bieler Rentner nicht therapieren lassen wollte. Kneubühl hielt 2010 ganz Biel in Atem, als er am 8. September beim Versuch der Polizei, sein Haus im Lindenquartier zu räumen, zuerst mehrfach auf die Einsatzkräfte schoss und dann die Flucht ergriff. In der Nacht darauf kehrte er zum Haus zurück, eröffnete erneut das Feuer – und konnte wieder entkommen. Erst nach neun Tagen konnte Kneubühl gefasst werden. 2013 wurde er wegen mehrfacher versuchter vorsätzlicher Tötung und Gefährdung des Lebens verurteilt. Gleichzeitig hielten ihn die Gerichte aber für nicht schuldfähig. Mehrere Gutachten attestierten ihm eine wahnhafte Störung, weshalb anstelle einer Gefängnisstrafe eine Therapie angeordnet wurde.

Gefängnis statt Klinik

Doch Kneubühl liess sich nie darauf ein. Reagierte mit Hungerstreik auf den Versuch, ihn in eine entsprechende Einrichtung zu verlegen. Er sitzt deshalb nach wie vor im Regionalgefängnis Thun ein, wo er sich in Untersuchungshaft wähnt und überzeugt ist, dass sein Fall deshalb nicht abgeschlossen sei. Obschon er alle Rechtsmittel ausgeschöpft hat. Kneubühl sieht sich als Zentrum einer einzigen grossen Verschwörung, glaubt, dass ihn der Staat ständig überwacht und er gegen seine «Vernichtung» gekämpft habe. Der Rentner wähnte sich 2010 im Krieg, gab an, sich lediglich gegen einen Polizeiüberfall gewehrt zu haben. Bis heute glaubt er zudem, dass er angeklagt sei, seine Schwester vergewaltigt zu haben. Und dass gegen ihn ermittelt werde, weil er im Verdacht stehe, im Jahr 2000 seinen eigenen Vater getötet zu haben. «Solche Anschuldigungen wurden nie erhoben, ja er wurde nicht einmal solcher Taten verdächtigt», stellte Gerichtspräsident Gross gestern klar. «Vielleicht hilft es ja bei der Aufarbeitung der Lebensgeschichte, wenn dies ein Gericht einmal öffentlich feststellt.»

Ob Peter Hans Kneubühl tatsächlich gefährlich wäre, wenn er auf freien Fuss kommen würde, darüber gingen diese Woche am Regionalgericht die Expertenmeinungen auseinander. Werner Strik, Klinikdirektor bei den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern (UPD), äusserte Zweifel an der Wahn-Diagnose der Gutachter. Strik war 2017 für Kneubühls Behandlung verantwortlich, als dieser im Zuge seines zweiten Hungerstreiks auf die Bewachungsstation des Inselspitals und später auf die forensisch-psychiatrische Spezialstation Etoine gebracht wurde. Dort wurde der Bieler während sechs Monaten rundum überwacht und gegen seinen Willen medikamentös behandelt. Strik sagte vor Gericht, er könne die Diagnose Wahn nicht bestätigen, er diagnostizierte stattdessen schizoide Persönlichkeitsstörung. Kneubühl, so der Berner Psychiatrieprofessor, sei ein Eigenbrötler, der einen starken Drang habe, sich zurückzuziehen. Strik sprach sich gegen die Verwahrung aus und empfahl stattdessen viel mehr eine engmaschige Begleitung von Kneubühl durch Fachpersonen in Freiheit.

Elmar Habermeyer schätzte Kneubühl komplett anders ein. Der Direktor der Klinik für Forensische Psychiatrie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich hat zwei Gutachten über Kneubühl geschrieben. Habermeyer sagte, im Leben von Kneubühl gebe es keine Zufälle mehr, für ihn hänge alles mit dem Grundkonflikt mit seiner Schwester zusammen. «Das ist charakteristisch für den Wahn.» Der Gutachter sah eine hohe Rückfallgefahr, das Risiko sei gross, dass sich Kneubühl in Freiheit durch seinen Verfolgungswahn innert kürzester Zeit wieder in einer Notwehrlage sehe. Dass es wieder zu einer Gewaltanwendung komme, so Habermeyer, sei wahrscheinlicher als das Gegenteil.

Freiheit doch noch möglich?

Das Gericht folgte gestern dem Zürcher Professor. Gross führte aus, dass das Gericht von Gesetzes wegen gar nicht auf die Expertise von Strik hätte abstellen können, auch wenn diese überzeugend gewesen wäre, da dieser Kneubühls behandelnder Arzt war. Behandeln und begutachten, das gehe nicht zusammen. Sowieso erachtete das Gericht aber das Gutachten von Habermeyer als nachvollziehbar, während Strik nicht habe aufzeigen können, wie ein Szenario in Freiheit mit engem Kontakt zu Fachpersonen funktionieren könnte, wenn Kneubühl doch jede Zusammenarbeit mit den Behörden verweigere. Zudem sah das Gericht wie der Gutachter und anders als Strik bei Kneubühl unverrückbare Realitätsverkennungen – so habe sich der Rentner etwa am verhängnisvollen 8. September 2010 mit einem Überfall von mehreren hundert Elitepolizisten konfrontiert gesehen, während in Wahrheit lediglich drei Beamte in Zivil vor der Tür gestanden seien, als Kneubühl das erste Mal schoss.

Gross sagte, das Gericht habe versucht, sich ein Szenario vorzustellen, in dem Peter Hans Kneubühl schrittweise in Freiheit entlassen wird. «Doch dafür bräuchte es eine gewisse Kooperation mit den Behörden.» Kneubühl habe weder eine Wohnung noch ein soziales Umfeld, wäre in Freiheit auf Unterstützung angewiesen. Und in den letzten Jahren habe sich gezeigt, dass der Rentner auch eigentliche Unterstützer plötzlich in sein Wahnsystem integriere, so Gross. «Wir müssen davon ausgehen, dass er sich rasch wieder verfolgt fühlen würde.»

Trotzdem sagte der Gerichtspräsident, dass ein Entlassungsszenario denkbar wäre, wenn Kneubühl auch nur in minimalem Masse bereit wäre, zu kooperieren. Wenn der 76-Jährige endlich verraten würde, wo er auf seiner Flucht vor zehn Jahren sein Gewehr versteckt hat. Und Bereitschaft signalisieren würde, mit der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) zusammenzuarbeiten. «Dann könnte es möglich sein, ein Szenario in Freiheit zu entwickeln, das einer Überprüfung standhalten könnte», so Gross.

Weiterzug ist wahrscheinlich

Er betonte, dass die ordentliche Verwahrung nicht bedeute, dass Kneubühl für den Rest seines Lebens weggesperrt werde. Die Massnahme muss erstmals nach zwei Jahren und danach jährlich überprüft werden. Trotzdem sagte Pflichtverteidiger Sascha Schürch, dass er davon ausgehe, dass Peter Hans Kneubühl im Falle einer Verwahrung nie mehr freikomme. Dies auch, weil ein entsprechender Prozess Jahre dauern würde und sein Mandant schon 76-jährig sei.

Schürch erachtet es deshalb als sinnvoll, die höheren Instanzen anzurufen. Es ist also wahrscheinlich, dass die angeordnete Verwahrung vom Obergericht überprüft wird. Ob Kneubühl vor der höheren Instanz persönlich erscheinen würde? Dem Regionalgericht in Biel blieb er auch gestern fern – aus Protest gegen die aus seiner Sicht korrupte Justiz.

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