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Frauenstimmrecht

«Es bleibt noch viel zu tun»

Drei Bücher, die aus Anlass von 50 Jahre Frauenstimmrecht erschienen sind, nähern sich dem Thema auf unterschiedliche Weise. Im Fazit sind sie sich jedoch ähnlich.

Emilie Lieberherr, Pionierin im Kampf um das Frauenstimmrecht, legt mit Genugtuung einen Wahlzettel in die Urne. Keystone
Annelise Alder 
 
Grund zum Feiern gibt es eigentlich nicht. Das wird rasch klar, wenn man sich mit dem Thema 50 Jahre Frauenstimmrecht befasst. Das Jubiläum aber ist Anlass, «vor Augen zu führen, dass demokratische Rechte nichts Selbstverständliches» sind. Es dient auch der Standortbestimmung. Wie steht es heute um die Gleichstellung von Frauen und Männern in den verschiedenen Bereichen unseres Lebens? 
Ein kritischer Blick allein in öffentliche Lebenswelten spricht für sich. Antworten liefern auch drei Bücher. Sie gehen das Thema zwar unterschiedlich an, im Fazit sind sie sich aber ähnlich: Es gibt noch viel zu tun.
Zunächst gilt es aber, 50 Jahre Demokratie in der Schweiz zu würdigen. Was davor war, entsprach nämlich keiner «wirklichen» Demokratie. Schliesslich war bis dahin über die Hälfte der Bevölkerung von politischer Teilhabe ausgeschlossen. Weshalb? Die Männer wollten unter sich bleiben. Der Bundesrat pochte 1957 immer noch auf einen «Männerstaat». 
Die Geschlechterforscherin Andrea Maihofer, so ist im Buch «50 Jahre Frauenstimmrecht» zu lesen, erkennt darin ein Selbstverständnis, das auf den «Ursprungsmythos des Rütlischwurs» zurückgeht und spricht von einem «zutiefst männerbündischen Verständnis von Staat und Demokratie».
 
Vorkämpferinnen verdienen Anerkennung und Würdigung
Kein Wunder stiessen die Frauen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts für das Recht auf politische, gesellschaftliche und rechtliche Gleichstellung kämpften, auf zähen Widerstand. Ihre Namen kennt man heute kaum. Das Jubiläum sei deshalb ein Anlass, sich mit «ihrer Geschichte zu befassen» und die vielen Frauen zu würdigen, die für ihren Mut meist nur Hohn, Spott und Anfeindungen ernteten. 
Die Genferin Marie Goegg-Pouchoulin, die 1864 bis 1866 an der Obergasse in Biel lebte, war eine von vielen Vorkämpferinnen. Sie forderte bereits 1868 «vollständige Gleichheit vor dem Gesetz». Doch es sollte noch über 100 Jahre dauern, bis die Frauen auf nationaler Ebene das Stimmrecht erhielten. Der Grund für diese späte Anerkennung politischer Teilhabe erklärt sich auch mit dem politischen System der Schweiz. Eine Verfassungsänderung bedingt eine Volksabstimmung und die war notwendig, um das Frauenstimmrecht einzuführen. Mit «Volk» waren im Jahr 1971 jedoch nur die Schweizer Männer gemeint. 
Jede neue Errungenschaft musste hart erkämpft werden
Nach der Einführung des Frauenstimmrechts im Jahr 1971 kam es in den folgenden Jahrzehnten zu zahlreichen Vorstössen und Initiativen in Sachen rechtlicher und gesellschaftlicher Gleichstellung der Geschlechter. In den Essays in «Jeder Frau ihre Stimme» von renommierten Historikerinnen wie Elisabeth Joris oder Fabienne Amlinger geht es um Themen wie Recht auf Abtreibung, Lesbenkultur, Einrichtung von Gleichstellungsbüros, internationale Vernetzung oder Geschlechterforschung. 
Die fundiert recherchierten Beiträge geben eine Übersicht über die Meilensteine bezüglich Gleichstellung und rechtlicher Autonomie in den letzten fünf Jahrzehnten. Berichtet wird auch von Widersprüchen, Niederlagen und Streit unter Feministinnen. Tatsache ist: Jede neue Errungenschaft in Sachen Frau in der Schweiz musste hart erkämpft werden. So wurde erst 1981 die Gleichstellung von Frau und Mann in die Verfassung aufgenommen. 1992 wird Vergewaltigung in der Ehe strafbar und 2002 tritt die Fristenregelung des Schwangerschaftsabbruchs in Kraft. 
Beinahe wie ein Relikt wirkt der Umstand, dass das Stimm- und Wahlrecht für Frauen im Kanton Appenzell Innerrhoden erst 1990 und erst noch auf Geheiss des Bundesgerichts eingeführt wurde.
 
Gleichstellung geht als Aufgabe die gesamte Gesellschaft an
Wie bilanzieren prominente Frauen die letzten Jahrzehnte bezüglich politischer, rechtlicher und gesellschaftlicher Teilhabe? Ganz unterschiedlich, wie in den Porträts und Interviews in «50 Jahre Frauenstimmrecht» zu erfahren ist. Elisabeth Kopp, die erste Bundesrätin, die auf massiven politischen Druck zurücktreten musste, findet, dass sich ihr Einsatz für das neue Eherecht gelohnt habe. Die erste Bundesrichterin der Schweiz, Margrith Bigler-Eggenberger musste sich für ihr Amt ein «dickes Fell» zulegen, um die vielen Anfeindungen auszuhalten. Sie rät jungen Frauen zu einem selbstständigen und unabhängigen Leben. Und Andrea Maihofer findet es an der Zeit, dass die offizielle Schweiz für das Unrecht, den Frauen ihr Stimmrecht verweigert zu haben, endlich eingestehen solle.
Noch immer sitzen in den Köpfen vieler Frauen und Männer tradierte Rollenbilder fest. Fanni Fetzer, Leiterin des Kunstmuseums Luzern, plädiert deshalb dafür, «Stereotypen zu durchbrechen» und Gleichstellung nicht als feministische, sondern als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu betrachten. Doch der Blick in die Zukunft stimmt wenig zuversichtlich. Regula Stämpfli, eine international anerkannte Expertin für Demokratie und Medien, warnt vor der digitalen Revolution, welche Frauen nicht nur ausgrenze, sondern auch rhetorischen, sexuellen und realen Übergriffen aussetze. 
 
Ironischer Blick trotz wenig erfreulicher Aussichten
Ein ironisch gebrochener Blick auf Errungenes und Erwünschtes tut ob dieser Aussichten Not. Dem Sammelband mit dem Titel «Gruss aus der Küche» und dem kecken Cover ist ein Augenzwinkern eingeschrieben. Die rund 30 Texte von «schreibenden Frauen zwischen 30 und 80» beleuchten das Thema aus mitunter überraschenden Blickwinkeln. So trug die «Grande Dame der Schweizer Werbung» Doris Gisler Truog mit ihren Plakaten massgeblich zum Erfolg der Abstimmung von 1971 bei. 
Die Journalistin Nicole Althaus formuliert zehn Thesen, um «neue Normen des Zusammenlebens zu etablieren» und auch sie stellt zurecht fest, dass Gleichberechtigung von Frau und Mann kein Frauenanliegen sei, sondern die ganze Gesellschaft betreffe. Ariane von Graffenried schliesslich deckt in einem fiktiven Brief die Widersprüche zwischen Aussagen und Handeln der damaligen Präsidentin des «Bundes der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht» Getrud Haldimann auf. 
Am Schluss aber muss auch Althaus konstatieren: «Es bleibt noch viel zu tun.»

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