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BT-Lokaltermin

«Es bleibt uns nichts anderes, als zu kämpfen»

Ein schönes Leben sei auch mit weniger Wachstum und Mobilität möglich, sagt Klimatologe Heinz Wanner. Um die Klimaziele zu erreichen, sei aber auch Technologie nötig – gerade die Schweiz könne mit neuen Entwicklungen Geld verdienen.

Heinz Wanner: «Die Schweiz ist eine erhebliche Wirtschaftsmacht.» Bilder: NIco Kobel
  • Dossier

Interview: Tobias Graden

Heinz Wanner, die letzten Monate mit den Klimademos müssen aufregend gewesen sein für Sie als Klimatologen.
Heinz Wanner: Ich bin pensioniert, ich nehme das relativ gelassen. Aber die Entwicklung beschäftigt mich natürlich schon. Ich habe die Aktionen von Greta Thunberg verfolgt, insbesondere ihren Auftritt in Davos. Sie hat das WEF aufgemischt, nachdem wir Klimaforscher jahrelang erfolglos eine grosse Klimasitzung für Davos gefordert haben. Die jugendliche Klimabewegung hat dann Themen aufgegriffen, die wir seit 30 Jahren in unseren Vorlesungen präsentiert haben.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen in aller Deutlichkeit die Folgen unseres Lebensstils und was geändert werden muss, damit das Ökosystem, wie wir es kennen, weiterexistieren kann. Kann man sich da als Wissenschaftler von politischen Forderungen fernhalten?
Wir halten uns ja nicht fern. Es gibt dieses Buch eines amerikanischen Kollegen, «The Honest Broker», «Der ehrliche Makler». Er sagt: Die Wissenschaft muss die Fakten liefern und aufzeigen, was in der Natur im Gange ist und was sich machen lässt. Es ist aber nicht ihre Aufgabe zu sagen, welche Massnahme mit welchen Mitteln gewählt werden soll. Klar: Wir sehen uns mit der Klimaerwärmung konfrontiert – auch wenn ich selten diesen Ausdruck gebrauche, denn entscheidend ist in erster Linie die Wasserverknappung in den Aussertropen und Subtropen. Und wir zeigen auf, wie sich die Entwicklung korrigieren lässt: Indem man möglichst den Kohlenstoff aus dem ganzen Kreislauf nimmt. 

Über 12000 Wissenschaftler im deutschsprachigen Raum unterstützen den Aufruf der Klimabewegung. Haben Sie ihn auch unterzeichnet?
Ja, denn dieser ist fundamental richtig.

Eine Forderung der Bewegung ist der «Systemwandel», sollten die Ziele im bestehenden System nicht erreicht werden können. Teilen Sie diese Haltung?
Ich habe immer schon gesagt: Wir kommen nicht darum herum, das Energie- und Mobilitätsproblem anzugehen und die Wirtschaftskreisläufe zu dekarbonisieren. Wir müssen das Energiesystem diversifizieren, die Erneuerbaren nutzen und auch die Geothermie weiterverfolgen. Und ich bin Anhänger der modernen Ökonomen, die sagen, wir müssten das Wachstumsdogma überdenken. Wir können nicht im neoliberalen Sinne immer weiterwachsen! Sondern wir können auch mit beschränkten Kreisläufen und weniger Mobilität ein schönes Leben haben.

Sind denn Forderungen wie «Netto Null CO2-Emissionen bis 2030» aus wissenschaftlicher Sicht überhaupt realistisch?
Riesenschritte und Revolutionen sind in unserem demokratischen System nicht möglich. Ich gestehe aber der Jugend das Recht zu, auch radikale Forderungen einzubringen. Ich habe im UNO-Klimarat, in der Weltklimakonferenz und gegenüber unseren Parlamentsmitgliedern stets versucht, einen sinnvollen Mittelweg aufzuzeigen. Wir müssen vor allem auch die Technologie miteinbeziehen. In der Schweiz gibt es sehr gute technologische Forschung, und mit ihren Entwicklungen lässt sich auch Geld verdienen.

Die Abstimmung zum Energiegesetz hat gezeigt, dass dies noch keine Mehrheit überzeugt.
Ich habe mit vielen Leuten aus verschiedenen, auch bürgerlichen Parteien gute Kontakte. Es gibt beispielsweise in der FDP durchaus einen Flügel, der dies ähnlich versteht und die Chancen sieht, die sich durch grüne Technologien ergeben.

Angenommen, es gelänge tatsächlich, bis 2030 auf null CO2-Emissionen zu kommen – was wäre der Effekt für die Klimaveränderung?
Das Klima ist wie ein träges Dampfschiff. Man kann seinen Lauf nicht per sofort bremsen. Es ist beispielsweise sehr viel CO2 in den Ozeanen gespeichert, dieses wird noch lange Zeit an die Atmosphäre abgegeben. Das heisst: Die Erwärmung setzt sich vorderhand fort, die Gletscher schmelzen weiter und der CO2-Gehalt steigt verlangsamt noch weiter an. Doch dieser Anstieg liesse sich bremsen. Diese Abflachung müssen wir unbedingt erreichen, aber die bereits geschaffenen Probleme lassen sich nicht blitzartig lösen.

In Frankreich entzündeten sich Proteste an der geplanten Einführung einer Öko-Steuer auf Brennstoffe. Die Gelbwesten zeigen, dass Klimapolitik auch als Sozialpolitik gedacht werden muss, wenn sie Erfolg haben will. Ist es überhaupt möglich, Klimapolitik so zu gestalten, dass sie nicht weh tut?
Das ist eines der grossen Probleme. Jene Ökonomen, die für Kreislaufbeschränkungen eintreten, sagen, dass es in Demokratien deutlich schwieriger ist als in Diktaturen, rigorose Massnahmen zu ergreifen. Ich bin aber weit davon entfernt, deswegen die Demokratie in Frage zu stellen. Wir müssen in ihr den Weg  finden. Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit Joschka Fischer. Ich sagte ihm, es müsse doch schneller vorwärtsgehen. Er antwortete: «Sie verkennen die Demokratie. Man muss in der Demokratie kämpfen. Früher dachte ich, durch Steinwürfe gehe es schneller vorwärts. Ich habe gemerkt: Als Vizekanzler gehts besser.»

Der Anteil der Schweiz an den globalen Emissionen ist verschwindend klein. Wenn wir uns auf Kosten unseres Wohlstandes einschränken, bringt dies dem Weltklima so gut wie nichts, solange nicht die grossen Emittenten wirksame Massnahmen ergreifen.
Erstens: Wenn wir die Schweiz als Wirtschaftsmacht rechnen und die Geldflüsse miteinbeziehen, die für umweltschädliche Entwicklungen und Methoden eingesetzt werden, dann ist sie eine erhebliche Macht. Zweitens: Wir haben als forschungsreiches Land technologische Chancen, die wir nutzen können, und das müssen wir tun. Drittens: Wenn wir als reiche Leute nicht mit gutem Beispiel vorangehen und stattdessen den Armen irgendwo in Afrika Vorschriften machen wollen, dann habe ich Mühe damit. Denn wir haben gute Möglichkeiten, uns ein bisschen einzuschränken.

Gleichwohl: Wenn wir als Schweiz etwas machen, aber Amerika zieht – wie derzeit – nicht mit, dann ist der Effekt aufs Klima mässig.
Das ist so. Aber: Es gibt in den USA eine Organisation von mittlerweile über 200 Politikerinnen und Politikern, darunter viele Stadtpräsidenten, die alle das Pariser Abkommen einhalten wollen. Sie vertreten dutzende Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner. Es gibt also auch dort massenhaft Menschen, die nicht dem Präsidenten folgen, sondern handeln wollen.

Die meistverkauften Autos in den USA sind allerdings weiterhin riesige Pick-Ups.
Ich habe in Colorado gewohnt, in Fort Collins an der Grenze zu Wyoming. Wenn ich dort am Abend im Saloon mit den Farmern geredet habe, war bei diesen wenig Bewusstsein für die Problematik vorhanden. Aber wenn ich ihnen erzählt habe, worum es in meiner Forschung geht, haben sie mir mit Interesse zugehört. Wenn allerdings an der Spitze der USA Vertreter des von der Ölindustrie unterstützten Ostküstenestablishments stehen wie George W. Bush und nun Donald Trump, dann macht sich Bequemlichkeit breit, das ist klar.

Wie steht es denn im Moment ums Klima?
Nach wie vor nicht gut. Wir haben bislang während der Eiszeiten zirka 200 ppm CO2 in der Atmosphäre gehabt, in den Zwischeneiszeiten 270 bis 280, und jetzt sind wir bei 410, Tendenz steigend. Wir haben es nicht im Griff, insbesondere im Bereich der Mobilität, das ist ganz klar.

Manche Kreise werden nicht müde, Skeptiker aus der Wissenschaftsgemeinde zu präsentieren. Ist das, was Sie sagen, tatsächlich Konsens?
Ja. Wir Klimatologen sind unabhängige Leute, kaum jemand ist in einer politischen Partei, bewusst nicht. Wir sagen das, was wir messen und was wir in den Modellen sehen. Gewiss, bei einzelnen Ergebnissen können wir uns auch mal täuschen, aber wir versuchen unser Bestes als «ehrliche Makler». Von jenen, die tatsächlich in der Wissenschaftscommunity sind, die das Klimasystem verstehen und an ihm forschen, sind es weit über 90 Prozent, die von diesen Fakten überzeugt sind. Wichtig ist zu wissen: Was hat jemand für eine Ausbildung und von wem ist er beeinflusst? Ich diskutiere gerne mit Skeptikern, sofern sie wirklich unabhängig sind und sich tatsächlich mit dem Klimasystem befasst haben.

Sind Sie zuversichtlich, dass uns die Wende noch gelingt?
Ich bin in manchen Bereichen skeptisch. Aber wenn ich meine Enkel sehe, sage ich mir: Es bleibt uns nichts anderes, als zu kämpfen. Hoffnung gibt der Umstand, dass weite Kreise in Technik und Forschung wissen, was es geschlagen hat. Ich verstehe aber nicht, warum man in der Schweiz die Geothermie nicht weiterverfolgt, und warum man nicht die Staumauern erhöht, um höhere Kapazitäten zu schaffen – nun, da das Wasser im Frühling schneller abfliesst – und stattdessen billigen Atom- und Kohlestrom einkauft.

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Zur Person
- geboren 1945
- aufgewachsen in Meinisberg
- Primarlehrer, danach Studium in Geografie und Klimawissenschaften, später Dissertation und Habilitation
- ab 1988 Professor an der Universität Bern
- von 2001 bis 2007 Direktor des NFP Klima
- ab 2007 Gründungspräsident des Oeschger Klimaforschungszentrums der Universität Bern, 2010 Emeritierung
- bis 2015 Mitglied des UNO-Klimarates IPCC tg

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Gut besuchte Klimadebatte
«Klimastreik: Notstand oder Hysterie?» Mit dieser Fragestellung wurde am Donnerstag der BT-Lokaltermin in Biel durchgeführt. Nach einem Input des Klimatologen Heinz Wanner diskutierte Klimaaktivistin und Juso-Politikerin Gianna Strobel mit FDP-Stadtrat Leonhard Cadetg, SVP-Stadträtin Sandra Schneider und Biels Bau-, Energie- und Umweltministerin Barabra Schwickert (Grüne) auf dem Podium, verfolgt von rund 80 Interessierten.
Strobel hat die Klimastreik-Bewegung in Biel mitinitiiert und findet: Um den Klimawandel aufzuhalten muss beim Klimaschutz angepackt werden – und zwar massiv. Den Klimanotstand auszurufen sei nur der erste Schritt. Auf Schneider, die dies «eine absolute Hysterie» nannte, erwiderte Strobel, dass sie sich wünschen würde, es handle sich nur um Propaganda, dem sei aber nicht so.
Cadetg mahnte, dass es nicht angezeigt sei, beim Klimaschutz Tagespolitik zu betreiben, man müsse langfristiger denken. Der Rektor des Seeland-Gymnasiums sagte, er hoffe, dass die Jugend durch die Klimastreik-Bewegung politisiert und diese dereinst das System übernehmen werde. Und Schwickert schliesslich bejahte, dass viel getan werden müsse, verwies aber auch darauf, dass gerade die Stadt Biel bereits grosse Anstrengungen unternehme. lsg

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