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Titelgeschichte

«Es braucht heute nicht mehr viel, bis es kracht»

Im Spitalzentrum Biel sorgen zahlreiche Menschen rund um die Uhr dafür, dass medizinische Notfälle rasch behandelt werden. Ihre Arbeit ist in den letzten Jahren schwieriger geworden.

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Text: Peter Staub
Fotos: Matthias Käser


Hektik, Geschrei, Ärztinnen und Pfleger im Laufschritt: Wie es auf einer Notfall-Station zugeht, flimmert in TV-Serien über den Bildschirm. Wie aber sieht es dort im wirklichen Leben aus? Um das herauszufinden, hat das BT die Notfall-Abteilung des Spitalzentrums Biel besucht. Gerne hätten wir die Reportage an einem Wochenende realisiert, da wir dann am meisten Betrieb erwarteten. Aus organisatorischen Gründen war es schliesslich an einem Montagabend soweit. Zu Beginn der Woche gehe es in der Regel genauso hektisch zu, hiess es vonseiten des Spitals. Dass es dann etwas anders kam, hatte auch Vorteile.

Um 20.30 Uhr herrscht im Notfall des Spitalzentrums alles andere als Hektik. Aus dem TV meinen wir zu wissen: «Ruhig» soll man hier nie sagen; Notfall-Mediziner sind so abergläubisch wie alte Seefahrer. Also umschreiben wir die Stimmung als unaufgeregt. Marie-Pierre Fauchère, Leiterin Kommunikation und Marketing im Spitalzentrum, die uns die nächsten drei Stunden begleitet, lächelt etwas gequält. Ihr ist nicht ganz wohl dabei, dass wir einen offenbar gänzlich stressfreien Abend erwischt haben. Wobei sich dies von einem Moment auf den anderen ändern kann.

Die Reportage beschränkt sich auf den «normalen» Notfall, also jene Abteilung, in der alle medizinischen Notfall-Patienten landen, die über 16 Jahre alt sind. Im Gegensatz zur gleich nebenanliegenden Notfallpraxis der Hausärzte, die ab 22 Uhr geschlossen ist, wird der Spitalnotfall rund um die Uhr betreut. «Der Notfall der Kinderklinik ist organisatorisch klar von uns getrennt», erklärt Sabine Thomke, die Chefärztin des Spitalnotfalls, die uns im Vorhof ihres «Reichs» empfängt. Es gibt jedoch einen gemeinsamen Empfang für den Spitalnotfall, die Hausarzt-Praxis und den Kindernotfall. Hier sitzt Erica Weber-Barblan.

Wir wollen mehr über sie erfahren. Denn wir machen aus der Not eine Tugend: So lange nicht mehr läuft, sprechen wir mit möglichst vielen Angestellten, um zu zeigen, wer die Menschen sind, die Tag und Nacht dafür sorgen, dass in Biel und Umgebung die Notfälle sachgerecht behandelt werden.

Der Vorraum, in dem Weber-Barblan seit 16 Uhr arbeitet, ist nicht besonders gross, aber doch geräumig genug, damit sie es sich bequem machen kann. Ab 21 Uhr ist sie alleine am Empfang, bis sie um 23 Uhr für die letzte halbe Stunde ihrer Schicht Gesellschaft der Ablösung erhält, damit sie die Patienten- und Dossierübergabe abwickeln kann.

Die Luft ist hier so kühl, dass Weber-Barblan einen Fleecepullover trägt. Dafür riecht es nicht nach Spital und aseptischen Mitteln. Sie sei seit eineinhalb Jahren pensioniert, helfe hier aber gerne noch aus, erzählt Weber-Barblan. Zuvor arbeitete sie 25 Jahre in der Notfallaufnahme und leitete diese 15 Jahre lang. Ursprünglich hatte sie Arztgehilfin gelernt, bevor sie sich zur medizinischen Sekretärin weiterbildete. «Die Arbeit ist viel hektischer geworden», stellt sie fest. Die Patienten seien heute aggressiver, alles müsse schneller gehen. Mit Aggressionen geht sie routiniert um: «Ich probiere ruhig zu bleiben.» Das gelinge ihr fast immer. Falls sich ein Patient dennoch nicht beruhigen lässt, kann Weber-Barblan mit einem Knopfdruck den hausinternen Sicherheitsdienst alarmieren. Diesen hat sie allerdings schon lange nicht mehr gebraucht. Ausser Aggressionen kommen auch Bagatellvorfälle immer häufiger vor. Und zwar nicht nur bei Erwachsenen: «Wenn das Bébé Fieber hat, sind die Eltern schnell bei uns.»

Einen Anruf beantwortet Erica Weber-Barblan fliessend auf Französisch. Als gebürtige Bündnerin sei sie nicht perfekt zweisprachig, sagt sie bescheiden. Dass sie heute Abend kaum Patienten aufnehmen muss, bedeutet nicht, dass sie keine Arbeit hat. Sie erledigt Büroarbeiten, die tagsüber liegen blieben. «So still wie heute ist es aber ganz, ganz selten, Sie sind einfach am falschen Tag gekommen», sagt sie.

Früchte und Nüsse
Neben der Loge liegen die Triagezimmer. Wobei «Zimmer» übertrieben ist: Vielmehr als ein Schragen hat dort nicht Platz. Weber und ihre Kolleginnen begleiten Patienten dort hinein und läuten dann den Pflegepersonen, die entscheiden, wer in den Notfall und wer in die
Hausarzt-Praxis kommt.

Dahinter öffnet sich der grosse Raum der Notfall-Abteilung, wo in der Mitte eine etwa vier mal vier Meter grosse Insel so etwas wie das Herzstück bildet. Hier ziehen sich Ärztinnen und Ärzte sowie das Pflegepersonal hinter die teilweise mit Sichtschutz versehenen Theken zurück, um in Computern Daten einzutragen, sich abzusprechen oder auch bloss, um einen mitgebrachten Apfel zu essen. Apropos Apfel: Es fällt auf, dass ausschliesslich Früchte und ungesalzene Nüsse als Snacks und Zwischenmahlzeiten auf den Tischen liegen: Das Gesundheitspersonal liebt gesundes Essen.

Die Angestellten tragen entweder die klassische weisse Tracht der Gesundheitsarbeiter oder aber königsblaue Kleider. Als wir auf der Station eintreffen, sehen wir ungefähr ein Dutzend Ärztinnen und Pfleger, wobei es nicht ganz einfach ist, den Überblick zu behalten. Denn obwohl nur zwei der insgesamt 16 angrenzenden Kojen mit Patienten belegt sind, herrscht unter den Angestellten ein stetiges Kommen und Gehen. Und weil im Notfall nicht bloss die festen Notfallärzte arbeiten (siehe Interview rechts), sondern abwechslungsweise Dienstärztinnen und Assistenzärzte aus anderen Abteilungen, ist es schwierig, zu sagen, wie viele von ihnen überhaupt in der Notfall-Abteilung arbeiten.

Kaum Zeit für Toilette
Hinter dem Tresen steht Nicole Fischer. Die Krankenpflegerin und diplomierte Notfallexpertin kümmert sich seit vier Jahren um Notfallpatienten. Ihr gefällt es hier, weil sie es mit Akutsituationen zu tun habe und die Arbeit abwechslungsreich sei: «Es kann sehr ruhig sein, aber es kann auch extrem viel laufen», sagt sie, die heute von 15 Uhr bis um 23.15 Uhr im Dienst ist. «Wenn alles reibungslos läuft.» Pausen zu machen, ist dann ein Problem, wenn es viel zu tun gibt. «Dann kann es vorkommen, dass wir kaum Zeit haben, um auf die Toilette zu gehen.»

Der Eindruck, dass gar nichts los ist, täuscht ein wenig. Gerade sind zwei Patienten eingetroffen. Und demnächst bringe die Ambulanz den nächsten, sagt die 30-Jährige, die in Ipsach aufwuchs und nun in Port lebt. Am Anfang der Schicht sei der Notfall voll gewesen. «Jetzt sieht es doch ruhiger aus.» Da ist es also doch, das R-Wort. Offenbar sind doch nicht alle Notfall-Angestellten abergläubisch. Beruhigend.

«Ganz, ganz schlimm»
Nach der Fachmittelschule in Biel wollte Nicole Fischer Tierärztin werden, aber nach einem Praktikum in der Klinik Linde entschied sie sich, in die Pflege zu gehen. Noch während der Grundausbildung sei ihr klar geworden, dass sie in den Notfall wollte. Dass gleich eine Ambulanz eintrifft, stresst sie nicht. «Aber klar, es ist kein Patient wie der andere», stellt sie fest.

Über der Theke, auf der Innenseite des Gevierts, ist eine digitale Anzeigetafel, ein «Dashboard», angebracht, auf der die aktuellen Patienten aufgeführt sind. Mit Namen, Kojennummer und Angaben, wer für die Pflege zuständig und welcher Arzt verantwortlich ist. Ein Farbcode zeigt die «Disziplin» des Patienten: Blau steht für Chirurgie, Rot für Innere Medizin. Eine Ziffer zeigt, wie dringend der Fall ist: 1 ist «ganz, ganz schlimm», 5 bedeutet «weniger schlimm», erklärt Fischer in einem Jargon, den auch der Journalist versteht.

Der Notfall verfügt über sieben Einzelkojen, eine Doppelkoje, zwei Reanimationsräume, mehrere Sitzkojen und mehrere sogenannte Couloirplätze. «Falls nötig holt der Sicherheitsdienst weitere Schragen, dann liegen die Patienten hier irgendwo», sagt Fischer. Das komme alle paar Tage vor. Oft auch an einem Montagabend, fügt sie lachend an.

Zwölf-Stunden-Schicht
Fast geräuschlos öffnet sich die doppelte Flügeltür zum Notfall und zwei uniformierte Ambulanzmitarbeiter schieben zügig, aber ohne Hektik eine ältere Person auf einem fahrbaren Schragen in den grossen Notfallraum, von wo der Patient aber sofort in einer Koje verschwindet. Es dauert nicht lange, bis der erste Rettungssanitäter wieder rauskommt. Gérard Evalet arbeitet seit gut einem Jahr bei der Ambulanz in Biel. Um 19 Uhr hat er die zwölfstündige Nachtschicht angetreten und nun den ersten Patienten insSpitalzentrum gebracht. Der Bernjurassier spricht fliessend Deutsch. Er erklärt, dass die zweiköpfigen Schichten immer so zusammengesetzt sind, dass je eine deutsch- und eine französischsprachige Person dabei ist.

Der 54-Jährige ist seit 15 Jahren im Rettungsdienst. Er arbeitete als Mechaniker und selbstständiger Geschäftsmann, bevor er sich bei der Ambulanz in Tavannes zum Rettungssanitäter umschulen liess. Der Patient, den sie in den Notfall brachten, entspreche einem üblichen Fall. «Alt und desorientiert», sagt Evalet. Solche Einsätze sind Routine: «Das haben wir fast jeden Tag.»

Evalets Kollege Philipp Eggimann befindet sich noch in der Ausbildung zum Rettungssanitäter, im dritten von drei Lehrjahren. Zuvor erwarb der 25-jährige Bieler an der Uni Bern einen Bachelor in Biologie und Sportwissenschaften. Seine Motivation, auf die Ambulanz umzusatteln: «Ich wollte etwas Sinnvolles machen.» Bis heute habe er es keine Minutebereut.

Die unregelmässigen Arbeitszeiten stören ihn nicht. Im Gegenteil: «Das ist etwas vom Besten in diesem Job», sagt er. Er habe oft dann frei, wenn andere arbeiten. Ihm gefällt es, am Wochenende zu arbeiten. Sport in einem Verein liegt zwar nicht drin, sein Sozialleben leide aber nicht darunter. «Ich bin anpassungsfähig und mein Kollegenkreis ist flexibel.»

Mit der psychischen Belastung, die seine Arbeit mit sich bringt, hat er kein Problem. Das Team mache bei heiklen Fällen sehr gute Nachbesprechungen. Das habe ihm bisher immer geholfen. Er könnte auch psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Dies sei bisher aber noch nicht nötig gewesen, obwohl er schon mehrmals tragische Momente erlebte. Wichtig sei, ein stabiles soziales Umfeld zu haben, wie das bei ihm der Fall sei. Die Rettungssanitäter verabschieden sich, um in der Stadt auf den nächsten Einsatz zu warten.

Quasi im Gegenzug zu ihrem Abgang betritt der Sicherheitsmann Stefan Lehmann die Bühne des Notfalls. Er werde immer dann gerufen, wenn Patienten ausfällig oder handgreiflich werden, sagt er. «Wir sorgen dafür, dass sie sich nicht selber schaden, aber wir schützen auch unser Personal und unser Inventar.» Wie im Normalfall üblich, ist bloss ein spitalinterner Sicherheitsmann im Einsatz. Falls er mit einer Situation allein nicht fertig wird, ruft Lehmann die Polizei. «Diese weiss, dass es pressiert, wenn wir anrufen, entsprechend schnell sind sie dann jeweils hier.» In 80 Prozent der Fälle sei dies jedoch nicht notwendig, meint er. Meistens reiche es, mit den Leuten zu reden.

Bevor er im Spitalzentrum anheuerte, war er als nebenamtlicher Feuerwehr-Instruktor tätig. Das passte, weil im Spitalzentrum auch die Brandsicherheit und Personalinstruktion zum Sicherheitsdienst gehören. Für Einsätze mit aggressiven Menschen bildete sich Lehmann im Spital weiter, in Überwältigungstechniken und in Psychologie. «Für mich ist auch jeder Patient eine Weiterbildung», sagt er. Als er vor zehn Jahren hier anfing, seien die Leute weniger dünnhäutig gewesen: «Es braucht nicht mehr viel, bis es kracht.»

Keine Frage der Hierarchie
Pro Schicht kommt der Sicherheitsdienst in der Regel mehrmals zum Einsatz, nicht nur im Notfall, auch im normalen Spitalbetrieb. «Manchmal verstehen gewisse Menschen nicht, warum sie im Spital bleiben müssen, das kann zu brenzligen Situationen führen», erklärt der 46-Jährige. Neben der Arbeit mit den Menschen gefällt dem gelernten Karosseriespengler aus dem Berner Jura, dass der Sicherheitsdienst von der Direktion bis hin zum Reinigungspersonal gut angesehen sei.

Hinter der Theke bereitet unterdessen der diplomierte Pflegefachmann Jon Spahni einen «Tropf» vor, mit dem ein Patient intravenös versorgt wird. Er ist seit einem Jahr auf der Notfallabteilung. Dass er eine blaue und keine weisse Kleidung trägt, hat nichts mit der Hierarchie zu tun: «Man kann die Farbe bei der Kleiderausgabe frei wählen», erklärt er lachend. Seit Schichtbeginn um 15 Uhr habe er erst fünf Patienten betreut, sagt der 33-jährige Bieler, der nach der Erstausbildung zum Grafiker auf die Pflege umsattelte, weil er nicht in einem Büro arbeiten wollte. «Der Notfall passt mir, hier kann ich selbstständiger arbeiten als auf anderen Abteilungen.» An der Schichtarbeit schätzt er unter anderem, dass er oft bei seinen drei Kindern sein kann.

Es ist unterdessen nach 22 Uhr. Alle sind beschäftigt, aber niemand rennt herum. Noch immer sind nur drei Kojen belegt. Neben der Chefärztin sind auch einige Assistenzärztinnen im Einsatz. Zum Beispiel Theresa Brix: Sie arbeitet seit August letzten Jahres in der Inneren Medizin und leistet heute Dienst auf der Notfall-Abteilung. Sie stammt aus der Umgebung von Berlin und kam durch den besten Freund ihrer Mutter nach Biel, der hier wohnt. Nach einem Praktikum im Spitalzentrum ist sie hier hängen geblieben. Auch weil sie die Zweisprachigkeit liebt. Französisch sei kein Problem: «Da habe ich mit den Kollegen keine Wahl», sagt die 25-Jährige lachend. Biel gefalle ihr super. Der See sei «total schön». Und man könne überall wandern. «Die Leute hier sind sehr tolerant, auch gegenüber Deutschen.»

«Alle werden akzeptiert»
Ihre Kollegin Tania Weber arbeitet als «interdisziplinäre Notfallassistentin». Das heisst, dass sie sowohl medizinische wie auch chirurgische Patienten als Assistenzärztin behandelt. Die 30-jährige Bielerin ist Mutter einer zehnmonatigen Tochter. Da auch ihr Ehemann Teilzeit arbeitet, können sie ihr Familienleben gut organisieren. Neben der abwechslungsreichen Arbeit gefällt ihr besonders die Stimmung im Team. «Alle werden akzeptiert, wie sie sind.»
Kurz vor dem Schichtwechsel um 23 Uhr gibt es doch noch einmal etwas Betrieb, aber auch dieses Mal keine Unruhe. Die Ambulanz rollt eine Frau mit starken Magenschmerzen auf dem Schragen in eine Koje, wo sie gleich betreut wird. Daneben findet der Schichtwechsel statt. Der 24-Stunden-Betrieb geht weiter.

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«Der Wechsel nach Biel war ein Kulturschock»
Seit fünf Jahren ist die gebürtige Grenchnerin Sabine Thomke die Chefärztin in der Notfall-Abteilung des Spitalzentrums Biel. Sie wünscht sich für ihren Beruf mehr Anerkennung.

Sabine Thomke, bevor Sie nach Biel kamen, arbeiteten Sie in Brooklyn und Solothurn als Notfall-Ärztin. Was ist hier anders?
Sabine Thomke: Mein Mann stammt aus New York. Er fühlte sich in Solothurn eingeengt, sodass wir schon vor meinem Stellenwechsel nach Biel zogen, wo ihm wohler ist. Ich erhielt hier den Auftrag, die Notfallstation mit Erkenntnissen aus dem «Lean-Management» zu professionalisieren und die Prozesse aus Patientensicht zu verändern.

Sie sind also nicht nur Chefärztin, sondern auch Managerin?
Ich bin für das Organisatorische und für die medizinische Qualität verantwortlich. Ich habe seit letztem Jahr nun mehr Ärzte, die mir direkt unterstellt sind. Damit habe ich mehr Einfluss auf die Station. Aufgrund der zunehmenden Patientenzahlen ist es wichtig, dass wir flexibler sind. Wir brauchen Assistenzärzte, die etwas Erfahrung haben, und Oberärzte, die interdisziplinär arbeiten können.

Können Sie alle Stellen besetzen?
Nein, die Rekrutierung ist nicht einfach. Neben der Berufserfahrung erwarten wir, dass die Ärzte bilingue sind. Dafür bieten wir als grosses Plus Teilzeitarbeit an. Wir arbeiten praktisch alle Teilzeit. Ich auch, seit Mai 70 statt 80 Prozent.

Bedeutet das nicht, dass Sie einfach mehr Überzeit machen?
Bei den Assistenzärzten achten wir darauf, dass sie Überzeit kompensieren. Meine Tage haben kein fixes Ende. 70 Prozent heisst bei mir, dass ich mehr freie Tage habe. Teilzeit kann – falls finanziell möglich – auch eine Überlebensstrategie sein. Vollzeit lässt sich dieser Job nicht lange ausüben, sonst geht man kaputt. Deshalb ist es wichtig, eine Balance zwischen Arbeit und Familie zu finden.

Abgesehen von der grossen psychischen Belastung können Sie Ihre Arbeit nicht planen.
Das ist richtig. Wir wissen nie, was auf uns zukommt. Wir sind weitgehend fremdbestimmt. Das ist sehr belastend.

Wie hat sich Ihre Arbeit in den letzten Jahren verändert?
Der Wechsel nach Biel war ein Kulturschock. Die Patienten hier sind nicht so homogen. Biel hat mich an Brooklyn erinnert: Es gibt verschiedene Kulturen, die sozialen Unterschiede sind grösser.

Wie gehen Sie damit um, wenn jemand weder Französisch noch Deutsch spricht?
Das fordert uns stark. Meistens haben die Patienten aber Leute bei sich, die übersetzen können.

Was sagen Sie zum geplanten Neubau des Spitalzentrums?
Super, darauf freue ich mich sehr. Wir haben keine Wahl, wir müssen runter in die Stadt.

Was brennt Ihnen sonst noch unter den Nägeln?
Jeder Tag ist herausfordernd, jeder Patient ist anders. Die Abnützung ist gross, sodass wir oft an der Motivation und der Teambildung arbeiten. Uns stört, dass es in der Schweiz keinen Facharzt-Titel für Notfall-Ärzte gibt. Dafür kämpfen wir seit Jahren, das würde uns mehr Anerkennung bringen. Die angelsächsischen Staaten sind uns da weit voraus. Da gibt es entsprechende Titel seit über 20 Jahren. Deshalb gehe ich gerne an Kongresse im englischsprachigen Raum, wo ich jeweils auf Notfall-Mediziner treffe, die stolz darauf sind, Emergency-Docs zu sein. Interview: Peter Staub

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