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Gerd Leonhard

Es gibt Hoffnung für den Menschen

Gerd Leonhard Die Automatisierung beseitige 54 Prozent der heutigen Arbeitsplätze, sagt Futurist Gerd Leonhard. Und doch:Neben Programmen, Algorithmen und künstlicher Intelligenz brauche es den Menschen weiterhin.

Futurist Gerd Leonhard: «Google weiss mehr über mich als meine Frau.» copyright: peter samuel jaggi/bieler tagblatt

von Tobias Graden

Er erzähle keine «Weisheitsdinge», sagt Gerd Leonhard, der Futurist. Er mache keine Aussagen darüber, wie die ferne Zukunft aussehen könnte. Sein Zeithorizont: fünf Jahre. Wie sieht also die Welt im Jahr 2020 aus, und was bedeutet das für das Marketing? 

«Exponentielle Transformation»

Es sind auf den ersten Blick keine beruhigenden Aussichten, die Leonhard vermittelt. «54 Prozent der heutigen Arbeitsplätze werden der Automatisierung zum Opfer fallen», sagt er – der Befund stammt nicht von ihm, sondern von anderen Forschern. Denn 2020 werde die Welt radikal vernetzt sein, sie werde billiger vernetzt sein, immer mehr Aspekte werden online stattfinden, ja: Hirn und Internet verbinden sich. 

Verantwortlich dafür ist die «exponentielle digitale Transformation». Die Entwicklung zur allumfassenden digitalen Weltgestaltung verläuft also nicht linear, sondern exponentiell, dafür steht auch das Moore’sche Gesetz über die Entwicklung der Rechenkapazität von Computern. Und: Wir stehen auf dieser exponentiellen Kurve nicht mehr beim Wert von 0,001, sondern bei 4. Kurz: «In absehbarer Zeit werden Dinge normal sein, die wir noch vor Kurzem für unmöglich gehalten haben.»

Nun birgt diese exponentielle digitale Transformation nicht nur enorme Chancen, sondern auch enorme Risiken, gerade auch mit Blick auf Werbung und Marketing. «Auch Vertrauensbrüche werden exponentiell verstärkt», sagt Leonhard und nennt etwa den VW-Abgasskandal als Beispiel. 

Software frisst die Welt

Wichtiger Treiber dieses Wandels ist die Cloud-Technologie. In zehn Jahren werden gemäss Leonhard 90 Prozent aller Transaktionen in der Coud gespeichert sein, mit Algorithmen werden diese Daten ausgewertet, Muster identifiziert, Vorhersagen gemacht. «Software is eating the world», lautet der Sinnspruch dazu: Software frisst die Welt.

«Google weiss mehr über mich als meine Frau», kommentiert Leonhard lapidar. 

Das hat Auswirkungen für das Marketing. Während in grossen Konzernen heute noch dutzende, wenn nicht hunderte Mitarbeiter eine Marketing-Strategie entwickeln, genügen künftig zwei plus das entsprechende Computerprogramm. Zu glauben, solche Aussichten würden an der Skepsis der Verantwortlichen in den Firmen scheitern, wäre naiv: 2020 gehören 75 Prozent der Entscheider in den Konzernen den Millennials an, die mit der entsprechenden Affinität aufgewachsen sind. 

Alleine mit Datensammeln und Auswerten ist es aber nicht getan – dabei wird es aber auch nicht bleiben. Das Stichwort dazu: Künstliche Intelligenz. Die Systeme werden laufend dazulernen, Fehler selber ausmerzen, immer besser werden. Es wird dazu führen, dass selbst Berufe, die heute noch sicher scheinen, Gefahr laufen, durch Technologie ersetzt zu werden, etwa juristische Berater: Das System vergleicht einen aktuellen Fall mit allen ihm bekannten Daten und sagt in wenigen Sekunden zuverlässig die Wahrscheinlichkeit voraus, mit der ein Prozess gewonnen werden kann. 

Ist das alles gut oder schlecht? Leonhard nimmt keine Wertung vor, stellt einfach seine Beobachtungen in den Raum. Er sagt aber: «Es wird creepy.»

Plädoyer für «Humarithmen»

Und der Mensch? Es gibt Hoffnung. «Konsumenten sind keine Algorithmen», sagt Leonhard. Das gilt natürlich für den Menschen allgemein, aber auch in seinem Verhalten im Markt: «Konsumentscheide werden nicht nur rational gefällt.» 

Das bedeutet für die Verantwortlichen im Marketing: Sie müssen leisten, was die Maschine nicht kann. Und das ist: Emotionen wecken, Vertrauen schaffen, Geschichten erzählen. «Bedeutung kann nicht automatisiert werden», so der Futurist. Nötig sind also «Humarithmen» ebenso wie Algorithmen: Alles, was Fleissarbeit und Datenverarbeitung ist, wird an die Maschine ausgelagert, der Mensch aber sorgt für die Entstehung von Bedeutung. 

Marketing werde auch die Aufgabe haben, Stille zu schaffen in einer Realität des permanenten Aufmerksamkeitslärms. Und sie solle nicht nur blosse Produkte anbieten, sondern Erlebnisse schaffen, Erfahrungen vermitteln: «Der Wert einer Marke wird in Erfahrungen gemessen.»

Empathie statt Künstlichkeit

Der Mensch kommt auch nicht umhin, normative Fragen zu stellen. Wenn in Japan bereits 1,4 Millionen Roboterhunde den Menschen Nähe spenden, treibt dies auch dem Futuristen ein Runzeln auf die Stirn. Und die interaktive «Cloud Barbie», mit der sich reden lässt, dürfte dem Kind ein böses Erwachen bescheren, wenn es, älter geworden, realisiert, dass ihre stetigen positiven Antworten nicht warm-empathisch, sondern kühl-künstlich sind. Ganz zu schweigen von den grossen Gefahren, die eine über das Internet der Dinge komplett vernetzte Welt birgt, wenn die Kontrolle über das System in falsche Hände gerät. 

Um das zu verhindern, ist jedoch Kenntnis nötig: «Zukunft besser zu verstehen und zu gestalten ist eine zentrale Aufgabe für uns alle.» 

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«Merken, dass wiralles geben»

Eishockey Kevin Schläpfer ist Trainer des EHC Biel. Er ist in der Nacht vor dem BMT erst spät ins Bett gekommen – und hat wohl auch kürzlich bei den Wirren um den Natitrainer-Posten etwas unruhig geschlafen: «Letzte Woche, das war nicht einfach, weil, ja, eben, schwierig.» Zusammenhalt entstehe in den schlechten Zeiten, sagt er im Gespräch mit Moderatorin Steffi Buchli, auch das Selbstvertrauen hole man sich in diesen. Schläpfer ist nicht nur ein bekanntlich emotionaler Mensch, Gefühle sind ihm auch in der Führung wichtig: «Es ist von Vorteil, nah bei den Spielern zu sein. Denn wenn es schlecht läuft, zählen nur noch Herz, Leidenschaft und Einsatz.» 

Wenn das Publikum merke, dass die Mannschaft alles gebe für den Verein, könne es auch mit Niederlagen umgehen. Sein Motto: Grundehrlich sein, sodass man stets jedem Menschen in die Augen schauen könne. Sein Rat: «Seid ehrlich, direkt, aber achtet auf die Wortwahl!» Letztendlich sei auch Eishockey «nur» ein Sport, ein Spiel, «es stirbt niemand;das dürfen wir nicht vergessen». tg

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«Drei positive Vorurteile pro Marke»

Markenführung Arnd Zschiesche und Oliver Errichiello führen in Hamburg das «Büro für Markenentwicklung». Ihr Credo:«Nur Leistung bindet Kundschaft». Errichiello hat viel, was er über Kundenverhalten weiss, von seinem vierjährigen Sohn gelernt. Der protestiert lauthals, wenn beim Vorlesen seines Lieblingsbuchs eine Zeile ausgelassen wird. Die Folgerung: «Es gibt ein Grundbedürfnis, die gleichen Dinge wiederzuempfinden.» Daraus folgert:Eine Marke umzupositionieren gelingt entweder nicht oder dauert zumindest lange. Das musste die Fluggesellschaft Condor einsehen, die zu Thomas Cook «umgesprüht» ihre Kunden vergraulte und die Massnahme rückgängig machte. 

Eine Marke nämlich ist ein soziales Phänomen, so Zschiesche und Errichiello, sie erbringt eine soziale Leistung. Sie ist dann eine Marke, wenn sich in den Köpfen der Menschen ein positives Vorurteil über die Leistung des Unternehmens gebildet hat, und mehr als drei solche positive Vorurteile pro Marke sind kaum zu schaffen, aber zum Glück auch nicht nötig. tg

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«Esprit de corps, vereint im Schicksal»

Uhren Walter von Känel ist Direktor der Uhrenmarke Longines. Mehr noch:Er ist ein Urgestein in der Branche, altgedient, ein treuer Soldat, wie er zu sagen pflegt. In gänzlicher Antithese zu den übrigen Referenten hält er auch seine Präsentation so, wie dies heute niemand mehr tut: In kurzer Zeit arbeitet er einen riesigen Stapel Folien herunter und präsentiert unzählige Zahlen. Die aber sind interessant, weil in der Swatch Gruppe kaum je Zahlen zu einzelnen Marken genannt werden. So erfährt man: Longines hat 30 Prozent Marktanteil im Segment, wendet fürs Marketing 14,6 Prozent der Kosten auf und hat einen Durchschnittspreis von 1850 Franken (Omega: 5600 Franken). 
Die Führungsgrundsätze des Patrons alter Schule klingen teils militärisch. Er beschwört den Korpsgeist, fordert Einheit im Schicksal und dass man mehr im «Feld» sein solle als in der «Basis». Aber auch: In einer schwierigen Situation brauche es die Kraft, mal eine Nacht über einen Entscheid zu schlafen. Bei von Känel auf jeden Fall vorhanden: die Authentizität. tg

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«Manchmal hilft auch Schreien»

Onlinehandel Dominik Rief ist Country Manager für die Schweiz beim Online-Versandhändler Zalando. Dieser sieht sich mannigfaltigen Herausforderungen gegenüber: Die Kundin will aus dem riesigen Sortiment nur sehen, was für sie interessant ist, sie will inspiriert werden, und ihre Ansprüche an den Service sind stetig im Steigen begriffen. Sie bestellt zunehmend über mobile Geräte, und die Lieferung soll sie im Tagesablauf möglichst nicht beeinträchtigen. Zalando versetze sich darum immer in die Schuhe der Kunden, wie Rief sagt, um das sich extrem schnell verändernde Kundenverhalten im Blick behalten zu können. Mehr noch: «Höchstes Ziel ist nicht der Profit oder der Umsatz, sondern die Kundenzufriedenheit.» 

Manchmal aber, als Zalando erst auf sich aufmerksam machen musste, helfe auch ein Schrei (das Merkmal der ersten Kampagne). Anders als andere Online-Händler plane Zalando keine stationären Läden. Kundinnenkontakt suche man aber stets wieder aufs Neue mit Pop-up-Stores. tg

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«Man muss ans eigene Tun glauben»

Musikbranche Thomas M. Stein ist Musikproduzent und Juror bei «Deutschland sucht den Superstar». Er hat am BMT aus seinem reichen Nähkästchen geplaudert. Sein Credo, sinngemäss: Bei allen Berechnungen und Analysen – letztlich braucht es den Menschen, der entscheidet, und zwar gut und gerne auch mal aus dem Bauch heraus und gegen Widerstände. So hat er etwa das Duo Klaus &Klaus zu temporären Stars gemacht, in den 60er-Jahren mit unkonventionellen Aktionen den Boden bereitet für den Erfolg von Asterix und Obelix in Deutschland und geduldig Aufbauarbeit in Europa geleistet, bis Gruppen wie The Backstreet Boys oder ‘Nsync auch in den USAeinschlugen. 

Oft habe er anders agiert, als dies in Firmen üblich war, wo heute oft «eine Nebelwolke der Ahnungslosigkeit» wabere. Es bringe nichts, externe Agenturen teure Berichte schreiben zu lassen, deren Schlussfolgerungen man ohnehin kenne. Im Gegenteil: «Man muss ans eigene Tun glauben», und dabei auch mal (kommerziell) scheitern. tg

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