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Klimajugend

«Es ist okay zu provozieren, damit über etwas geredet wird»

Die Bielerin Léa Dubochet organisiert die Klimastreiks in der Stadt Biel mit. Die 17-jährige Gymnasiastin sagt, dass sie 
vor einem Jahr für das Nichtfliegen noch Verständnislosigkeit erntete. Heute ist das in ihrem Umfeld aber selbstverständlich.

Copyright: Peter Samuel Jaggi / Bieler Tagblatt

Interview: Deborah Balmer

 

Léa Dubochet, am 14. Dezember 2018 gingen in der Schweiz zum ersten Mal Jugendliche auf die Strasse, um in der Klimakrise Taten statt Worte zu fordern. Seither wird regelmässig für einen besseren Klimaschutz gestreikt. Waren Sie von Anfang an mit dabei?

Léa Dubochet: Beim allerersten Streik noch nicht. Es lief damals alles sehr schnell ab, und ich habe zu spät davon erfahren. Am Anfang wusste ich auch noch nicht genau, um was es geht. In Biel war ich dann aber ab der ersten Klimamahnwache dabei.

 

Wie viel Zeit investieren Sie als Mitglied des Organisationskomitees nun für die Bewegung?

Wir halten jeden Monat eine Sitzung ab, die jeweils zwei Stunden dauert. Als Vorbereitung darauf investiere ich nochmals eine Stunde, um Traktanden durchzulesen und zu schreiben.

 

Wenn Sie auf ihr Umfeld schauen, wofür wurden Sie vor einem Jahr noch belächelt, was heute normal ist?

Ich denke, viele Leute leben bewusster. Früher nervte ich in meinem Freundeskreis mit Fragen wie: «Willst Du wirklich mit dem Flugzeug in die Ferien fliegen?» Mittlerweile frage ich das nicht mehr, weil die meisten darüber nachdenken. In meinem Freundeskreis reisen alle nur noch mit dem Zug.

 

Wohin führte die letzte Reise?

Nach Wien. Natürlich kommt man nicht mehr überall hin ohne Flugzeug. In Europa gibt es aber sehr viele schöne Orte. Eine Kollegin machte sich zudem Gedanken, was die Ernährung angeht. Sie versucht, ihren Fleischkonsum zu reduzieren. Es sind die kleinen Dinge.

 

Was haben Sie dieses Jahr noch umgesetzt, um umweltfreundlicher zu leben?

Ich habe aufgehört, neue Kleider zu kaufen. Ausser Socken, die muss ich mir noch neu besorgen. Seit einem Jahre kaufe ich entweder Secondhandsachen oder ich tausche Kleider mit anderen oder flicke die alten.

 

Der Klimabewegung ist es gelungen, grossen Druck auf Politik und Wirtschaft auszuüben. Doch nun geht es ja darum, konkrete Massnahmen einzufordern. Das dürfte schwieriger werden.

Das Beste wäre, weiter Druck auszuüben und gleichzeitig zu versuchen, die Diskussion auf eine andere Ebene zu bringen. Bisher ging es um sehr leichte Massnahmen, etwa darum, Flugticketpreise zu erhöhen. Ich glaube aber, es wäre besser, wenn wir über Radikaleres reden würden, wir uns getrauen würden, wirklich grosse Massnahmen einzufordern.

 

Haben Sie ein Beispiel?

Ich befürworte die Idee der Systemveränderung. Ich bin überzeugt, dass das System so, wie es jetzt ist, nicht nachhaltig funktionieren kann. Die Wirtschaft sollte nachhaltiger werden, wir sollten versuchen, das Wachstum zu bremsen. Ich bin für eine Umstrukturierung. Wie solche radikaleren Massnahmen umsetzbar sind, weiss ich aber nicht, weil ich ja keine Expertin bin. Ich finde es aber wichtig, dass die Diskussion in diese Richtung geht.

 

Weltweit sind derzeit 1400 Kohlekraftwerke in fast 60 Ländern geplant. Zahlreiche davon in China. Müsste man nicht viel eher Technologien entwickeln, um gegen den globalen Klimawandel anzukommen, statt zu glauben, man könne ihn verhindern, wenn man seine Kleider im Brockenhaus kauft?

Durchaus. Ich denke aber auch, dass man nicht den ganzen Glauben in solche Technologien setzen sollte. Leider sind Erdöl und Kohle noch immer die effizientesten Energieressourcen. Es ist also derzeit schwierig, den gesamten Energiebedarf nachhaltig zu decken. Wir sollten also unseren Konsum und den Energieverbrauch reduzieren. Und zwar als ganze Gesellschaft. Es geht nicht um den Einzelnen, der das Licht abschaltet.

 

Werden dabei Länder wie das boomende China mitmachen, die sich sagen, im Westen hat man sich auch jahrzehntelang nicht eingeschränkt?

Gerade in solchen Ländern sollte man darauf achten, dass die Wirtschaftsentwicklung nachhaltig abläuft. Eben auch, weil man ja aus dem Westen weiss, was sonst passiert. Uns motiviert das sogar, weiter Druck zu machen, damit man merkt, dass es so nicht funktionieren kann.

 

Auf Züge steigen, den Strassenverkehr blockieren – Extinction Rebellion ist eine viel krassere Umweltschutzbewegung, die mit zivilem Ungehorsam auf sich aufmerksam macht. Was halten Sie davon?

Ziviler Ungehorsam scheint eine sehr effiziente Methode zu sein, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Es gab zum Beispiel in London sehr grosse Blockaden, worüber die Medien ausführlich berichtet haben. Warum nicht? Mit der Bewegung selber und den genauen Zielen habe ich mich aber noch zu wenig auseinandergesetzt. Es ist fast immer gut, wenn man Aufmerksamkeit erregt, um auf das Thema Klimakrise hinzuweisen. Auch wenn es vielleicht nicht ein blockierter Zug sein muss.

 

Wenn Sie von Leuten in Ihrem Alter kritisiert werden, was sagen Sie?

Am häufigsten heisst es, dass man ja selber nicht besser sei, zum Beispiel auch gerne zu McDonald’s gehe oder Freude habe an heruntergeschriebenen Kleidern. Auf mich trifft das aber nicht zu. Und ich sage dann immer, dass die Klimabewegung Druck auf die Politik ausüben und klar machen will, dass wir nicht einverstanden sind mit dem heutigen System. Und das darf jeder, egal, was er in seinem Leben tut.

 

Die Klimajugend schimpft also gegen den Kapitalismus und damit gegen die bösen Firmen, die CO ausstossen – sind nicht die heutigen Feinde der Klimademonstranten in einigen Jahren ihre Arbeitgeber?

Ich glaube, dass die Jugend, die heute auf die Strasse geht, sich besonders gut überlegen wird, für wen sie in einigen Jahren arbeiten will. Ich habe mich mehrmals mit Studentinnen und Studenten unterhalten, die mir sagten, dass es ihnen sehr wichtig ist, wo sie später arbeiten. Ich persönlich würde mir das auch sehr gut überlegen und hätte Hemmungen, bei einer grossen, multinationalen Firma einzusteigen. Vielen anderen geht es gleich wie mir.

 

Generell verzichtet der Mensch ja nicht gern. Ist das bei der Jugend wirklich anders?

Es geht nicht darum, etwas aufzugeben, sondern etwas zu ersetzen, was am Ende ein Gewinn ist.

 

Auch Netflix-Streaming verbraucht Energie und bewirkt indirekt CO-Ausstoss. Unterwegs zehn Minuten ein Video anschauen, soll so viel Strom verbrauchen wie ein Elektroofen während fünf Minuten.

Auch hier geht es nicht darum, etwas auf den Konsumenten abzuschieben. Wir können uns alle unsere Welt sicher nicht mehr ohne Internet vorstellen. Es ist keine Option zu sagen, ich versende keine E-Mails oder schaue kein Netflix mehr. Man sollte sich aber Gedanken machen, woher die Energie kommt, die das alles verbraucht. Das Ziel ist, fossile Energieträger zu ersetzen, etwa mit Windkraft.

 

Wie soll Umweltschutz für einen 18-Jährigen aussehen, der in einem kleinen Seeländer Dorf lebt und auf ein Auto angewiesen ist?

Er ist trotzdem eingeladen, an unserer Bewegung teilzunehmen. Dass er ein Auto braucht, ist nicht sein Fehler, sondern ein Mangel des Systems. Es geht eben gerade darum, dass jeder nachhaltig leben können sollte. Und nicht darum, dass alle aufhören Auto zu fahren, wenn es dafür keine Alternative gibt.

 

Das Deutschschweizer Wort des Jahres ist Klimajugend. Denken Sie, dass sich junge Leute in einem Jahr noch gleich intensiv für den Klimawandel interessieren – oder war alles nur ein Hype?

Ich glaube, dass man sich noch dafür interessieren wird. Das Thema ist nun wirklich in den Köpfen drin. Man kann es gar nicht mehr wegdenken. Auch wenn der Hype der grossen Streiks vielleicht vorbei sein wird, hat sich das Thema etabliert.

 

Info: Die 17-jährige Léa Dubochet besucht das zweisprachige Gymnasium in Biel. Sie ist aktiv im Organisationskomitee des Klimastreiks Biel und Juso-Mitglied. Sie möchte internationale Beziehungen oder internationales Recht studieren.

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