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Biel

Es pflanzte die Liebe zum Sport in die Kinderseele

Cosmos, Zesar, Cycles Wolf, Phoebus, Mutaped: In der Blüte der hiesigen Veloproduktion waren dies klingende Namen – und Biel
war ein Zentrum der Branche. Das Velo wurde vom Sportartikel zum Alltagsgerät, und es sollte gar die Jugend auf den rechten Weg leiten.

Die sportliche Welt von Frau bevorzugte 1929 Cosmos. Bild: memreg
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Tobias Graden

Fest blickt er in die Kamera, oder auch leicht daran vorbei. Ein Lächeln ist nicht auszumachen, Stolz aber schon. In beiden Händen hält er Kränze von Siegerehrungen. Auf dem Kopf trägt er eine Mütze, auf diese hat er seine Rennfahrerbrille geschoben.

Der junge Mann ist der Velorennfahrer Henri Vuille, aufgenommen mutmasslich in den frühen 20er-Jahren. Was genau er zu diesem Zeitpunkt gewonnen hat, ist in der Bildquelle im Neuen Museum Biel nicht überliefert, die Bestenliste der Schweizermeister im Radsport weist ihn aber als Vizemeister des Bergzeitfahrens 1921 aus, ein Jahr zuvor wurde er Dritter im Radquer. Unübersehbar zeigt die Aufnahme aber, welches Velo der Athlet fährt. Auf seinem Trikot spannt sich nämlich gross das Logo seines Velosponsors über die Brust. Eine Weltkugel, auf der ein geflügeltes Rad thront, quer darüber der Schriftzug: Cosmos.

 

Ein Grenchner wars
Das Bild stammt aus einer Zeit, da die hiesige Velobranche in Biel ein wichtiger Industriezweig ist. Cosmos ist gar eine der ersten Schweizer Velomarken, die Stadt damit eine der Pionierstätten hiesiger Fahrradproduktion. Dabei war es ein Grenchner, der das Velo nach Biel brachte: Der Ingenieur Theodor Schild begann im Jahr 1894 in der ehemaligen Uhrenfabrik «Seeland» in Madretsch mit der Herstellung von Fahrrädern. Die nötige Investition zur Gründung hatte seine Mutter Elise geleistet. Ein Jahr zuvor hatten im jurassischen Courfaivre die Gebrüder Scheffer die Veloproduktion gestartet. Aus dieser Fabrik geht später die Marke Condor hervor.

Die Entwicklungsarbeit aber hatten andere geleistet. Zwar beflügelt das Velociped in der Zeit um die Jahrhundertwende den Erfindergeist, zahlreiche Patente werden angemeldet, allerdings handelt es sich meist um ausländische Ideen. Und auch die Produkte, welche die schweizerischen Velohändler anbieten, stammen zunächst meist aus England oder Deutschland, wie die damalige Direktorin des Museums Neuhaus in einem Text der Sonderausgabe von «Biel Bienne» zu einer entsprechenden Ausstellung Ende der 80er-Jahre festhält. Auch Schild hatte die Inspiration zu seiner veloindustriellen Tätigkeit zuvor in einem England-Aufenthalt gewonnen. Schliesslich war dort in den 1880er-Jahren das Niederrad vom Typ «Rover» entwickelt worden, das im Gegensatz zum zuvor verbreiteten Hochrad einen wesentlich tieferen Schwerpunkt aufweist, den Fahrer näher an den Boden rückt, somit viel sicherer ist und in den Grundzügen die bis heute verwendete Velo-Konstruktion darstellt. Neben den nötigen Komponenten wurde anfänglich auch das Know-how für den Aufbau der Veloproduktion in die Schweiz importiert: Fachkräfte aus dem Ausland lehrten in Madretsch neue Arbeiter an.

Es folgen erste Boomjahre für das Velo. Während um 1900 noch erst etwa 80 000 Fahrräder über die Schweizer Strassen rollen, sind es 1910 bereits 180 000. Dabei ist ein neues Velo keineswegs ein günstiges Gut: Im Jahr 1908 kostet ein Fahrrad zwischen 260 und 320 Franken, was etwa 380 Stundenlöhnen eines Uhrmachers entspricht. Noch zu Beginn der 30er-Jahre muss ein Uhrenarbeiter 150 Stundenlöhne ansparen, bis er den Preis von 210 Franken für ein neues Velo aufbringen kann.

 

Schweizermeister 1911
Cosmos macht sich mit einer breiten Palette und hoher Qualität rasch einen guten Namen. An der Genfer Landesausstellung 1896 werden die Velos prämiert, an der Weltausstellung 1900 in Paris gibt es eine Silbermedaille. Erfolge im Radsport lassen auch nicht lange auf sich warten: An den Schweizer Strassenmeisterschaften 1911 beispielsweise belegen die Bieler Robert und Emil Chopard die ersten beiden Plätze auf Cosmos.

Vermehrt werden ab den 20er-Jahren auch Frauen in der Werbung eingesetzt. Grosse Aufträge von Militär, PTT, Polizei und Elektrizitätswerken sichern Cosmos zudem einen ansehnlichen Grundumsatz. Das Sortiment wird entsprechend angepasst, auch weil sich das Velo mittlerweile zum Alltagsgefährt gemausert hat. Auch die Kinder werden als Zielgruppe entdeckt, das Velo soll für diese auch erzieherische Funktion haben, wie es in einer Werbung von 1937 heisst: «(…) Pflanzt in jede Kinderseele die Liebe zum Sport. (…) Formt die heranwachsende Jugend zu richtigem Denken und Handeln. (…)»

 

Es entsteht ein Cluster
Es ist aber nicht die Firma Cosmos allein, der die Stadt Biel in den 30er- und 40er-Jahren den Ruf als Metropole der schweizerischen Zweiradindustrie verdient. Wie in der Uhrenbranche entsteht in der Veloindustrie das, was man heute als Cluster bezeichnen würde: Ein Netzwerk aus Herstellern des Endprodukts und ihren Zulieferern. Auch lässt sich die Branche wie in der Horlogerie in Manufakturen und Etablisseure unterteilen: Erstere haben eine möglichst hohe Fertigungstiefe, letztere kaufen möglichst viele Komponenten zu und montieren das Velo bloss.

Einer der bekanntesten Etablissseure ist Emil Baumgartner. Er eröffnet 1907 eine kleine Velohandlung, es ist zu diesem Zeitpunkt schon die elfte in Biel. In der Folge wird er aber auch zum Industriellen, der an vielen Firmen und Entwicklungen beteiligt ist. Seine Sport AG beispielsweise vertreibt die von ihm entwickelte Velobeleuchtung der Marke Phoebus. Und 1934 wird er auch zum Besitzer einer Manufaktur: Er übernimmt die Zesar AG, die wenige Jahre zuvor von einem früheren Cosmos-Mitarbeiter gegründet worden war. Deren Velomarken heissen Helvetic und Selecta, die wichtigen Bestandteile kommen allesamt aus eigener Produktion. Auch entwickelt er die im Tretlager eingebaute Dreigang-Schaltung Mutaped.

Während des Zweiten Weltkriegs steht die Branche dann vor einer besonderen Herausforderung: Es mangelt an Reifen, denn diese kommen aus dem Ausland. Baumgartner setzt alle Hebel in Bewegung, um zu Ware zu kommen, verhandelt beispielsweise zum Unwillen des Bundesrats direkt mit Vichy-Frankreich und sucht nach Materialersatz. Schon zuvor hat die Konkurrenzsituation die beiden grossen Bieler Hersteller zu Innovationen angestachelt. So bringt Cosmos 1936 ein «Leichtmetallfahrrad» auf den Markt, 1938 reagiert Zesar mit einem Velo, dessen Gewicht von 9,95 Kilogramm auch in heutiger Zeit absolut konkurrenzfähig wäre.

 

Viel ist weg, aber nicht alles
Die regionale Velobranche als Ganzes ist dies aber grossteils nicht geblieben. Manche klingende Namen wie Cycles Wolf, von denen einzelne Produkte noch im Neuen Museum Biel zu besichtigen sind, verschwanden in den frühen 80er-Jahren. Die Firmen Cosmos und Zesar existieren zwar noch, haben die Veloproduktion aber längst aufgegeben. Wie andernorts auch, etwa bei Condor, Kristall oder Cilo, ist mit dem Boom des Mountainbikes in den späten 80er- und frühen 90er-Jahren die Transformation zu modernen Lifestyle-Marken verpasst worden. Die Velobranche ist heute stark internationalisiert, aktuelle Schweizer Marken arbeiten zumeist mit Fertigungspartnern in Asien zusammen.

Aus Biel ist aber nicht alles verschwunden. In den letzten Jahren ist etwa das Handwerk wieder auferstanden: In der Altstadt fertigt Patrik Widmer (siehe Folge 5) exklusive Velos aus Stahl auf Kundenwunsch. Und die aus der Vereinigten Drahtwerke AG hervorgegangene DT Swiss hat zwar die Entwicklung der Internationalisierung mitgemacht, ihr Hauptsitz befindet sich aber immer noch in Biel (siehe Folge 21). Wie René Vuille vor fast 100 Jahren gewinnen so auch heute Radsportler wichtige Rennen mit Bieler Material.

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Velo-Museum: Keine Auferstehung

Die Sammlung von Edy Arnold, die in Brügg zu besichtigen war, ist schon seit Mitte 2016 nicht mehr zugänglich. Mittlerweile ist klar, dass das «Velo-Museum Helvetia» nie mehr öffnen wird. Arnold ist weggezogen und kann sich altershalber nicht mehr im nötigen Umfang um die Sammlung kümmern. Die rechtzeitige Bildung einer geeigneten Nachfolgestruktur, die sich dem Fortbestand des Museums hätte widmen können, hat Arnold verpasst. Die Sammlung ist derzeit noch immer in Brügg untergebracht, wird aber kleiner, da Leihgaben zurückgegeben werden. Auch dürften nach und nach Velos verkauft werden. Die Gemeinde Brügg wird höchstens einzelne in der Region hergestellte Velos kaufen und als Exponate im Gebäude belassen. Gleichzeitig steht in der Region eine grössere Sammlung an alten Velos zum Verkauf, sofern das auf der Site velorium.ch aufgeschaltete Angebot noch aktuell ist. Unter den etwa 400 Velos finden sich Dutzende aus regionaler Produktion. tg

Stichwörter: Velo, Produktion, Biel, Zentrum, Branche

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