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Biel

«Fällt man einen Baum, setzt man zwei neue»

Christoph Neuhaus (SVP) dachte, als neuer kantonaler Baudirektor habe er vor allem mit Beton zu tun. Doch bei Geschäften wie dem Westast geht es auch um Emotionen. Das erinnert ihn an die Fahrendendebatte mit grossem Widerstand aus der Bevölkerung.

copyright:matthiaskäser/bieler tagblatt
  • Dossier

Interview: Deborah Balmer


Christoph Neuhaus, was löst es bei Ihnen aus, wenn Sie vom Bieler Westast hören?
Christoph Neuhaus: Jugenderinnerungen. Wer weiss, wie alt ich bin, weiss auch, wie alt die Diskussion um den Westast schon ist. Schon in den 70er-Jahren hat man gerungen und gekämpft. Ich bin ja in Arch aufgewachsen und kenne Biel. Für die Stadt ist der Westast eine grosse Chance. Biel ist, anders als Bern, eine Autostadt. Um Biel weiterzuentwickeln, um Verkehr, Stau und Lärm rauszunehmen, braucht es diesen Autobahnabschnitt.


Vom Westastgegner bis zum Westastbefürworter, sind die Hoffnungen, die jetzt in Sie gesteckt werden, sehr gross. Bekommt man da nicht etwas Angst?
Die Erwartungen sind wahrscheinlich riesig, das stimmt. Doch ich bin nicht der Messias. Wenn ich weiss, dass die einen knapp einen Veloweg möchten, die anderen eine zehnspurige Autobahn, dann ist mir klar, dass ich nicht alle zufriedenstellen kann. Angst habe ich aber nicht, weil ich ja das Gleiche will, wie die Bielerinnen und Bieler: Auch ich will, dass man die Situation vor Ort verbessert. Dass man die Verkehrssituation so gestaltet, dass es eine Entlastung gibt. Der Ball liegt zu einem grossen Teil bei der Stadt selber. Es gilt nun zu entscheiden: Was ist das Beste für Biel?


Was ist die grösste Herausforderung beim Dossier Autobahn, das Sie jetzt studieren?
Es ist ein grosses Dossier mit viel Material. Das ist allerdings nicht das Hauptproblem. Wir haben ja ein Ausführungsprojekt, das gut ausgearbeitet wurde. Eines, das durch den Kanton nach Absprache mit der Region und deren regionalen Arbeitsgruppe so entwickelt wurde. Schon damals hat man sehr viel geprüft: Es gibt wohl keine Variante, die man nicht schon einmal in Betracht gezogen hat. Der Westast mit den beiden Anschlüssen Bienne-Centre und Seevorstadt ist quasi die Lösung, die aus der Region explizit gefordert wurde. Doch plötzlich kommen grosse Zweifel auf.


Und das ist die grosse Herausforderung?
Ja, das ist die grosse Herausforderung. Im Baubereich geht es um viel Beton, aber es stecken eben auch Emotionen drin.


Sie sagten mir, dass sich Leute  melden und Vorschläge machen wie «Bringen Sie doch die Autobahn durchs Grosse Moos wieder aufs Tapet». Sowas prüft man nicht ernsthaft, oder?
Ich schaue alles an, und höre allen zu. Das habe ich versprochen. Für die erwähnte Idee ist man aber Jahrzehnte zu spät, weil wir ja die Kulturlandinitiative haben, sprich im Kanton gibt es einen restriktiven Schutz der Fruchtfolgeflächen. Wer jetzt das Gefühl hat, man könne im Grossen Moos statt Landwirtschaft zu betreiben, anfangen zu betonieren, und dafür Biel zu verschonen, der liegt falsch. Schliesslich geht es darum, die Stadt Biel zu entlasten.


Dieser Mailschreiber erhält vom neuen Baudirektor eine negative Antwort?
Ich werde ihm eine solche Rückmeldung geben, ja. Als früherer Vorsteher der Raumplanung sage ich: Kommt nicht in Frage. Damit hätten wir nicht nur die Bieler und Nidauer auf der Matte, sondern auch die Bauern. Und zwar aus dem ganzen Kanton.


Alle Augen sind nun auf den Faktencheck gerichtet: Wann wird man der Öffentlichkeit konkrete Zahlen präsentieren?
Gewisse Sachen haben wir bereits zusammengetragen, die wir nochmals vertiefen und prüfen werden. Es geht jetzt darum, schnell Transparenz zu schaffen. Wir wollen nach den Sommerferien die Ergebnisse der Abklärungen präsentieren.


Im August wird man also wissen, ob der Alternativ-Vorschlag funktioniert?
Man wird erfahren, welche Auswirkungen er hätte. Was bringt er Biel, was bringt er nicht? Was erreicht man mit dem geplanten Westast? Die Ergebnisse wollen wir mit den verschiedenen Anspruchsgruppen diskutieren. Schliesslich haben wir den Bundesauftrag, eine Lücke im nationalen Strassennetz zu schliessen.


Wollen Sie mit dem Faktencheck nicht ganz einfach beweisen, dass die Alternativvariante nichts taugt, damit der  Kanton endlich Ruhe hat?
Ruhe werden wir nie haben, da bin ich Realist genug. Es wird immer jemanden geben, der keine Freude hat. Biel ist eine Stadt, in der sich die Bevölkerung meldet, wenn ihr etwas nicht passt, was ja ein gutes Zeichen ist. Wir werden klar sagen: Schaut, mit dem Ausführungsprojekt und den zwei Anschlüssen haben wir diese Konsequenzen, mit dem zweispurigen Alternativprojekt jene. Immer mit dem Hintergrund: Den berechneten 2,2 Milliarden Franken stehen geschätzte 1,6 Milliarden Franken gegenüber.


Das Alternativ-Projekt hat also eine reelle Chance?
Wir schauen es an. Weiter lasse ich mich nicht auf die Äste hinaus.


Wer wird sich um die Prüfung kümmern?
Das Tiefbauamt des Kantons wird die Überprüfung vornehmen. Begleitet wird sie eng von mir und  meinem Generalsekretär. Die Ergebnisse werden wir mit allen Beteiligten besprechen und dann offen legen. Ich überlege mir, ob wir die Seeländer in Mehrzweckhallen informieren wollen, sodass die Bevölkerung daran teilnehmen kann.


Besteht die Gefahr, dass es heisst, der Faktencheck wurde nicht neutral durchgeführt?
Es gibt nie etwas völlig Neutrales, weil es ja keine exakte Wissenschaft ist. Wir können aber auch nicht eine teure Studie in Auftrag geben, weil der Hauptfinancier, das Astra, damit nicht einverstanden wäre. Dafür ist kein Geld vorgesehen.


Stellen wir uns vor, dass die Prüfung ergibt, dass «Westast – so besser!» eine echte Alternative ist. Wer entscheidet, welche Variante gebaut wird?
Wir sind weder völlig vogelfrei, noch irgendwie im rechtsfreien Raum. Als Kanton müssen wir also in dieser Frage mit dem Bund verhandeln. Der Bundesrat hat das Generelle Projekt genehmigt. Wenn man also etwas ändern möchte, hiesse dies, mit dem Bundesrat zu reden.


Wie viel Einfluss haben Sie als kantonaler Baudirektor?
Einigen, hoffe ich. Meine Direktion ist ja quasi Bauherrin des Westasts. Wichtig ist aber eben die Meinung des Bundesrates auf der einen Seite, auf der anderen Seite die der betroffenen Gemeinden und Städte. Wie ich bereits angedeutet habe: Man muss die Menschen nicht zu ihrem Glück zwingen. Gegen den Willen der Region Biel ein Bauprojekt durch zu drücken, macht keinen Sinn. Es kommt also darauf an, welche Rückmeldungen wir beim Kanton erhalten, ob wir beim Bundesrat vorstellig werden oder nicht.

Schutzverbände sagen, der Westast sei rechtlich nicht haltbar, weil er das Stadtbild zerstöre und deshalb am Ende vom Bundesgericht abgeschmettert wird.
Mit der Kette Bundesgericht ist schon öfters gerasselt worden. Ich verstehe natürlich diese Befürchtungen und Ängste, gerade die beiden Einschnitte machen Angst, die recht lange Bauzeit bringt Dreck, Lärm und Verkehr. Es tut mir leid um jeden einzelnen Baum, der gefällt und jedes Haus, das abgerissen werden muss. Auf der anderen Seite muss man sich aber fragen: Was bringt das Ganze? Nicht nur auf fünf Jahre gesehen, sondern auf 20, 50 oder 100.

Der Nutzen der Autobahn ist hoch, das sieht man ja jetzt beim Ostast, der eine sehr grosse Verkehrsentlastung bringt. Was die Bäume angeht, habe ich auf dem Bauernhof, wo ich aufgewachsen bin, gelernt, dass man sie ersetzen kann. Wenn man einen fällt, setzt man wieder mindestens einen oder zwei. Das Ausführungsprojekt ist mit Sorgfalt gemacht worden, man hat alle rechtlichen Vorgaben angeschaut. Man wünschte, dass es diese Anschlüsse gibt und man hat sie kleinstmöglich geplant. Nach schweren Unfällen, etwa im Mont Blanc Tunnel, musste man die Vorgaben nochmals ändern, Bienne-Centre darf nicht überdacht werden. Ich gehe also davon aus, dass das Projekt ausführungsfähig ist und dass es vor Gericht entsprechend standhalten würde.


Die Debatte um den Westast wird auch emotional geführt. Erinnert Sie das an die Diskussionen um die Fahrendenplätze?
Das erinnert mich auf jeden Fall daran, ja. Auch diese Plätze haben grosse Ängste und Befürchtungen in der Bevölkerung hervorgerufen. Auch bei der Bieler Westumfahrung bestehen wie erwähnt viele Ängste, die ich sehr ernst nehme. Die Diskussion darüber muss geführt werden.


Sie wollen ja bei den Gemeindepräsidien persönlich vorsprechen.
Ich will mir persönlich ein Bild machen davon, wie die Gemeindepräsidenten die Situation einschätzen, welche Wünsche und Erwartungen sie an den Kanton haben und welche Wege sie sehen, um aus der jetzigen schwierigen Situation zu kommen. Gestützt darauf, werde ich an der nächsten Sitzung der Behördendelegation zum Projekt Umfahrung Biel einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen machen.


Was haben Sie heute noch  für eine Beziehung zum Seeland?
Als Regierungsrat bin ich im ganzen Kanton unterwegs, trotzdem vermisse ich das Seeland immer wieder. Meine Eltern und Verwandte leben in Arch, Busswil und Lyss. Es «heimelet» also in gewisser Weise, wenn ich in Biel bin.

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